Lin Hierse erzählt in ihrem Debüt „Wovon wir träumen“ einen Strom aus kurzen gegenwärtigen und alltäglichen Episoden, die, mit Erinnerungen, Träumen und kleinen Einschüben versehen, ihr selbst gehören könnten: Lin Hierse, der Ich-Erzählerin. Sie verfolgt mit ihrem Erzählstrom die Spuren der Frauen aus ihrer Familie in Deutschland und China - die der Ma, der A’bu und der Oma – in Sehnsucht danach, sich selbst irgendwie zu verorten. Die Ich-Erzählerin scheitert im Wesentlichen, es gibt zu viele Leerstellen: Die Erinnerungen und Erzählungen ihrer Vorfahrinnen bleiben vage. Geheimnisse werden nicht ausgesprochen und Wendepunkte nur manchmal geteilt. Das Leben der A’bu reimt sie sich vor allem aus den Geschichtsbüchern und dem, was andere weitersagen zusammen. Ihre Oma verstirbt schon zuvor. Teilweise bleiben der Ich-Erzählerin nur Träume, vielleicht ähneln sie denen ihrer Ma, die behauptet, irgendwann mit dem Träumen aufgehört zu haben. Und dennoch dominiert hier eine liebevolle Komplizinnenschaft, vor allem zwischen Mutter und Tochter. Gemeinsam waten sie zwischen hier und dort, wir Leser:innen waten mit: Die Gebräuche und Glaubensbekenntnisse der chinesischen und die Gewohnheiten und Gebete der deutschen Familie; die jahrzehntelange Entwicklung der Dörfer und Metropolen, Grabstätten, Plätze und Gärten; die Sprache, ihr Erlernen und ihr Fehlen; die historischen Fakten und ihre Einordnung in die vielen Lebensläufe; die persönlichen Geschenke, Gedenken und Briefe erzählen dann ganz subtil und wunderschön die Geschichte einer Mutter-Tochterbeziehung, die von einer Suche nach Zugehörigkeit, von Migration und ihrem bleibenden Hintergrund, von Trauma, Verlust und Fragmentarischem, aber vor allem und überhaupt von all den (gemeinsamen) Träumen geprägt ist.