Was für eine Lesereise. Mein Leseexemplar von Blutbuch sticht ganz schön aus meinem Regal heraus. Nicht nur wegen des genialen Covers, sondern weil ich selten ein Buch so "zerlesen" habe. Ich konnte es einfach nicht mehr aus der Hand legen. Blutbuch liest sich wie ein langer Brief an Kim de l'Horizons Großmutter, im Schweizer Dialekt "Großmeer" genannt. Als diese an Demenz erkrankt und in ein Heim ziehen soll, begibt sich die Erzählperson auf eine Suche nach den eigenen binären Wurzeln der Familie. Ein essayistisches Buch übers Aufwachsen, Reflektieren über die Beziehung zur Mutter und Großmutter, die Frage nach Weiblichkeit in der Familie und ihre Bedeutung und die eigene Positionierung jenseits dieser Binarität. Kim De L’Horizon seziert die eigene Identität, Sexualität, Rassismus und generationenübergreifende Traumata. Von historischen Ausführungen über die Geschichte der Blutbuche, eigene Körperwahrnehmung bis hin zur Hexenverfolgung, existentiell und obsessiv. Vor allem werden durch die eindrucksvolle experimentelle und poetische
Sprache alle Konventionen gesprengt. Sensibel, schroff und direkt, und gleichsam unglaublich berührend. Große Empfehlung für dieses in jeder Hinsicht außergewöhnliche Werk!