Rote Sirenen von Victoria Belim, übersetzt aus dem Englischen von Ekaterina Pavlova, ist einer dieser Romane, die ich in die Hand nehme, um mich einem Thema über Literatur zu nähern – in diesem Fall dem Krieg gegen die Ukraine. Er fächert die Hintergründe für Vieles auf, was wir seit über einem Jahr täglich und eigentlich ja schon länger als Nachrichten lesen können.
Dabei verweisen lediglich Vor- und Nachwort auf die Ereignisse seit 2022, die erzählte Gegenwart schreibt das Jahr 2014. Die Annexion der Krim veranlasst die Protagonistin (Name und Leben entsprechen quasi dem der Autorin) Brüssel gegen die Ukraine zu tauschen, um Zeit mit und in Erinnerung an diejenigen Menschen zu verbringen, die ihre dortige Kindheit mitgeprägt haben.
Wie stehen oder standen sie zur Sowjetunion und ihren Nachwirkungen? Was ist mit dem Urgroßonkel passiert, der in den 1930er Jahren verschwunden ist? Mit diesen Fragen reist Victoria durchs Land. Die Dringlichkeit ihrer Neugier steht im Kontrast zum hartnäckigen Schweigen ihrer Großmutter, in deren Kirschgarten Victoria ihre Recherchepausen führen. Vor allem dort wird die Verbundenheit deutlich, welche die Verwandtschaft über Kontinente hinweg zusammenhält.
Belim flicht und entwirrt – zumindest teilweise, ab und zu hätte ich mir einen Stammbaum oder eine Landkarte gewünscht – das Netz aus Ereignissen, das die Familiengeschichte und die der Ukraine bildet. Auf detaillierte, spannende und zärtlich-nahbare Art wurde sie mir so verständlicher.