Sie ist die jüngste Tochter. Die Mazoziya. Die Tochter, die nicht mehr erwartet wurde und als einzige in Frankreich statt Algerien zur Welt kam. Zusammen mit zwei Schwestern, keinen Brüdern, einer Königin und einem Patriarchen wächst sie im Pariser Banlieue Clichy-sous-Bois auf, erzählt von Routinen, von Lebensabschnitten, von Hilflosigkeit, von verwehrten Chancen, von Gewalt und Resilienz, von Zuneigung und Abwertung, von Erwartungshaltung und dem Bruch damit.
Fatima Daas Debütroman, veröffentlicht unter einem Pseudonym, übersetzt ins Deutsche von Sina de Malafosse, erzählt von einer gläubigen, homosexuellen Muslimin, die viel mehr als der fehlende Sohn sein möchte, in dem Wissen, dass ihr Glaube ihr dafür keinen Raum vorsieht, aber auch in dem Wissen, dass im Koran die konsensuale gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen nie explizit Erwähnung findet. Sie versucht ihren Identitätskonflikt zu lösen, versucht ihrer Familie keine Sünde aufzuerlegen, von der sie fest ausgeht, dass sie sie begeht und vor allem versucht sie ihre Sprachlosigkeit zu überwinden. Sie verliebt sich, mehrmals, aber nie wirklich, bis sie Nina trifft, die sich ihrerseits nicht öffnen kann und zu Fatimas Muse avanciert. Fatima fängt an zu schreiben, den Roman, den wir heute in den Händen halten, auch um endlich Wörter zu finden für die Person, die sie ist und sein kann:
“[Der Roman] erzählt die Geschichte eines Mädchens, das kein richtiges Mädchen ist, das weder algerisch noch französisch ist, weder Vorstädterin noch Pariserin, eine Muslimin, glaube ich, aber keine gute Muslimin, eine Lesbe mit anerzogener Homophobie. Was noch?”
Fatima Daas Debüt ist eine Wucht! Ihre Erzählstrategie ist nicht linear, überall gibt es etwas zu entdecken, nirgends lassen sich einfache Antworten finden, die Struktur orientiert sich am Koran, ist klar, lyrisch. Das Repetitive ist für mich Formvollendung, ihre Authentizität öffnet die Perspektive und während ich zeitweise in eine distanzierte Beobachtungsrolle falle, kann ich die Erzählung an anderen Stellen fast berühren. Zurecht wird dieses Debüt gefeiert und zurecht ist es auf der Shortlist des internationalen Literaturpreises 2021!
Eine Besprechung von Laura.