Eine absolute Empfehlung von Laura:
Hundstage in Hawaii, Heilbronn. Brennende Sommerhitze und sich zuspitzende Ereignisse. Mittendrin Kemal Arslan, Ex-Profifußballer, Gestrandeter, Suchender - jemand, der eigentlich so gerne unbeteiligt wäre.
In der Momentaufnahme von 2 Tagen und 3 Nächten zieht er durch die Straßen von Heilbronn und dem ehemaligen Probemviertel der Stadt - Hawaii - das auch jetzt nicht so paradiesisch ist, wie sein Name suggeriert. Und wir treffen mit ihm andere, die nach Veränderung suchen oder sie gleich erzwingen wollen. Glücksspielende, Träumende, aber auch Hassende. Denn dort, mitten in Hawaii, fängt es an zu brodeln, wenn 'HWA' ("Heilbronn wach auf"), ein Schulterschluss verschiedener Rechtsextremisten, "einen toten Ausländer für jeden toten Deutschen" skandiert und türkisch-nationalistische 'Kankas', die stark an die 'Grauen Wölfe' erinnern, einen Bürgerkrieg heraufbeschwören.
Hier eskaliert etwas, aber viel stiller, viel feiner kann man in Cihan Acars Debütroman von der Identitätssuche lesen: Wenn man für die einen zu deutsch und die anderen zu türkisch ist. Wenn man seine große Liebe vergrault, weil Profifußballer ja so viel mehr wollen sollen. Wenn es so aussichtslos ist, einen Job zu bekommen, dass man am Ende sogar mit ominösen Leuten am Tisch sitzt, mit denen man eigentlich gar nicht am Tisch sitzen möchte. Wenn immerzu verlangt wird, einen Standpunkt zu vertreten, obwohl man selbst nicht weißt, wo man steht. Wenn neben der Tanzfläche statt mittendrin keine Option ist.
Man kann hier davon lesen, was es mit einem macht, wenn der NSU jahrelang morden kann, weil viel zu häufig- und auch später noch - woanders hingeschaut wird. Und man lernt etwas darüber, wie ist es, immer dazwischen zu stehen, es niemandem recht machen zu können, wenn alle anderen besser wissen, wer du bist.
Dieser Roman porträtiert mühelos und voller sprachlicher Feinheit eine Stadt, einen Mann und eine Zeit, die repräsentativ für eine ganze Generation und ein allumfassendes Gefühl stehen. Was sich in Hawaii zuspitzt ist überall in Deutschland gelebte Angst. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und gleichzeitig der Wunsch danach, als Individuum betrachtet zu werden, das man ist, - nicht immer nur als der Türke, der Fußballer, der Versager aus dem Problemviertel, "der Typ zwischendrin" - ist Alltag für so viele wie Kemal. Auf diversen Ebenen schafft es Cihan Acar zu beschreiben, wie es sich anfühlt, in einem brodelnden Kessel zu leben: dem im Kopf, in den Straßenzügen oder in einer ganzen Gesellschaft, die darin versagt, zu verhindern, was von Anfang an hätte verhindert werden müssen. Dieser Roman ist ein Zeitzeuge, einfühlsam, authentisch und aufrüttelnd - absolute Empfehlung!