Anatol, Mitte 30, eigenen Beschreibungen nach nicht sonderlich gut aussehend, lebt als Single und verkannter Autor von "Graues Brot" in Zürich, in einer Wohnung, die ihm nicht wirklich gefällt, mit einem Job als "Allrounder" in einem Pflegeheim und zu viel Zeit zum Nachdenken. Das kann Anatol dafür ziemlich gut, hackt sich in jeden Kopf rein, der ihm mal ein bisschen Aufmerksamkeit zukommen lässt, und glaubt, er weiß genau Bescheid, was die Personen denken und fühlen, die mit ihm in Kontakt treten. Obwohl – eigentlich wünscht er sich wohl meist eher, dass sie solche Sachen denken. Zumindest die Frauen. Auch so ein Kapitel für sich. Und das lässt sich recht einfach zusammenfassen: Anatol und die Frauen, das läuft einfach nicht. Dabei ist er eigentlich ganz schlau, manchmal sogar lustig, ein guter Analytiker, der nur leider zu oft einfach nicht aus seiner Haut kann. So liegt er schon zu Beginn angespannt daneben, als es zwei Frauen in seinem Bett krachen lassen. Und auch sonst möchte man ihm gern zurufen: Weniger denken, mehr handeln. Aber das macht nunmal Anatol aus und dieses Buch auch sehr unterhaltsam. Denn so manch eine*r wird sich sicher auch in Anatol wiederfinden.
"Wie die meisten hielt Anatol sich für einen Menschen mit erlesenem Musikgeschmack und wie die meisten hatte er eigentlich keinen guten Grund dafür. Mehrere Minuten suchte er nach einer Musik, die ihm passend erschien. Schließlich fand er Walk on the wild side. Er drehte die Musik bis zum Anschlag auf und versuchte, das Fenster herunterzukurbeln, damit die Welt hören konnte, was bei ihnen im Auto gerade los war. Doch das Fenster klemmte, also begnügte er sich damit, irgendwie besonders wild zum Fenster rauszuschauen, bis Jola völlig genervt 'Mach die verdammte Musik aus' schrie."
Dass die Sache mit Jola, die er während eines skurrilen Auftrags in Polen kennenlernt, auch nicht so fantastisch läuft, lässt sich damit wohl erahnen. Ich hätte Anatol gern öfter mal in den Arm genommen. Denn so scheiße ist er doch gar nicht.
Eine Besprechung von Jessika