Beschreibung
Die Gedichte in aire spüren inneren und äußeren Umbrüchen nach - etwa Krankheit, Umzug, Verlust - und interessieren sich für disruptive oder allmähliche Veränderungen: für die sukzessive Integration von Sinneseindrücken, das Gären von Gefühlen, Gedanken- und Erinnerungsspuren sowie die dadurch ausgelöste spezifische Unruhe - und deren Sprünge und Transformation in neue Erfahrung. Die poetischen Prozesse, die sie entwickeln und denen sie sich aussetzen, sind Unternehmungen in instabiles Terrain. Reize und Eindrücke, die vertraut erscheinen, wandeln und entziehen sich, geraten aber nie ganz aus dem Blick. Die Gedichte durchwandern Lichtungen und Wüstungen, ikonische Bildschichten, stoßen auf Schamquellen, surreale Meere, Gegenengel und Gehirnwellen. Dabei greifen sie unter anderem auf Quellen aus der Fotografie (Francesca Woodman) und Malerei (Gerhard Richter), der Psychoanalyse, der Neuropsychologie und Meditationsforschung zurück - und setzen auf die Erfahrung erweiternde und transformierende Kraft der Kunst.
Autorenportrait
Birgit Kreipe, geboren 1964 in Hildesheim, studierte Psychologie und Germanistik und arbeitet als Psychotherapeutin, Autorin und Übersetzerin von Lyrik in Berlin. 2012 erschien ihr Gedichtband schönheitsfarm beim Verlagshaus Berlin, 2016 ihr Gedichtband SOMA bei kookbooks. Zuletzt publizierte sie in transistor und park. Ihre Gedichte wurden mit dem Münchner Lyrikpreis und dem Irseer Pegasus 2014 ausgezeichnet. 2016 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats. 2018 war sie Finalistin beim Lyrikpreis Meran. 2021/22 ist sie Stipendiatin der deutschen Akademie Rom, Casa Baldi, und des Berliner Senats.
Leseprobe
ich suche den zweiten park, den man nicht sieht. der puls wird ruhiger dort. engel-fallschirme landen unablässig im laub. der park selbst träumt diesen ort. sonnenlicht fließt grünlicher honig, zwischen stämmen hinab aus einem angekippten klaren topf: das ist die gnade. gottesanbeterinnen mannshoch, steigen mit mächtigen gliedern an lichtfäden auf, wie an durchsichtigen lianen. reste von staubblumen - vögeln. grünfaserig die aufgerauten gedächtnisspeicher der bäume. überall blüht mülltütenmüll, überall eisbecher spritzen. ruinen von bushaltestellen und bussen. hier kleben noch meine alten gebete. warten. werden allmählich gelb, platzen auf. verhoben und ehrlich, knallten sie auf beton. und wenn die dunkelheit ihre trupps schickt mich einzukreisen, kratze ich die wenigen tropfen licht auf hänge sie in die nacht wie kleine, aufsteigende leitern.