In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen

Gedichte, Reihe Lyrik 75

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783948336103
Sprache: Deutsch
Umfang: 96 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 24.7 x 17.7 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Martina Hefters Buch In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen schillert zwischen Gedicht, Essay und szenischen Schreibformen. Wie schon in "Es könnte auch schön werden", ihrer dichten Auseinandersetzung mit Pflegearbeit, sind die Texte im neuen Band so radikal persönlich, wie sie fiktional sind. Im titelgebenden Essay in Versen "In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen" schläft eine Mutter im übriggebliebenen, klapprigen Bett eines erwachsenen Kindes. Auf der Suche nach einem neuen Bett denkt sie über Holzwirtschaft und Möbelproduktion, über westlichen Lebensstandard und Askese nach. Welcher Preis ist für ein neues Bett zu zahlen? Ist es möglich, auf dem Fußboden zu schlafen? Kann Askese ein taugliches, gegenwärtiges Mittel sein, nachhaltig und ressourcenschonend, "gut" zu leben? Im Mittelpunkt der Sage "Flammen" steht Artemis Cynthia Moll, die seit ihrer frühen Jugend in einem Baumhaus im Wald lebt, Falken hält, Bogen schießt und das Wesen der Liebe erkunden will. In den Wald sind Klimaflüchtlinge aus Leipzig gezogen, die versuchen, ihre naiv-utopischen Vorstellungen von Gesellschaft zu verwirklichen - und vielleicht grandios scheitern. "Flammen" fragt zudem, inwieweit die Mythengestalt Artemis heute zum weiblichen Role-Model taugt, befragt das emanzipatorische Potenzial ihrer Attribute Fitness und Sportlichkeit, Kampfkunst, Falknerei und Asexualität. Im langen Gedichtmonolog "Linn Meier (gestorben2019)" spricht diese über ihre Zeit als magersüchtige Jugendliche und die Erfahrung sexueller Gewalt. Passagen der Reflexion über Fehlernährung und Hunger und des poetischen Sprechens, die die euphorischen Momente des Hungers widerspiegeln, stehen Passagen von großer Direktheit und Wut über das Erlebte gegenüber. "Geistern" schließlich sind Gedichte, die Geister auferstehen lassen.

Autorenportrait

Martina Hefter lebt in Leipzig und arbeitet als Autorin und auf dem Gebiet der szenischen Performance sowie regelmäßig als Gastdozentin für Lyrik und performative Schreibweisen, u. a. am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig sowie an der Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein. Ihr Band Es könnte auch schön werden, kookbooks 2019, war eine der Lyrikempfehlungen 2019 und erschien in griechischer Übersetzung. Den zentralen Text des Bandes setzte sie als Solo-Bühnenarbeit für das Festival KOOK.MONO. schrift spricht in Berlin um sowie mit dem Performancekollektiv Pik7 für die Schaubühne Lindenfels in Leipzig. Martina Hefter erhielt u. a. den Lyrikpreis Meran sowie den Münchner Lyrikpreis.

Leseprobe

In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen Das Gute Bett. Wofür im Amazonasgebiet eine Mücke um ihr Leben aus einer Holzarbeiterin Blut saugt. Wofür in einem Hobbykeller in Deutschland eine Stichsäge Kanthölzer in gleichlange Stücke zu je zehn Zentimeter schneidet. Wofür 2006 der Leipziger Toombaumarkt abbrannte. Wofür ein Holzarbeiter in Brasilien sich den rechten Ringfinger absägt. Wofür immer jemand anderer schuftet. Alle Mücken werden mit einem Giftflugzeug getötet. Das letzte Tigerbaby der Erde wird geboren im Leipziger Zoo. Jemand trinkt eine Tasse Hopfentee. Ein Bett, drauf schlafen, die Sekunde, die das dauert. Früh am Morgen, Geister steigen runter, man sieht ihre Augen. Wirklichkeit ist eine Mischung aus dem, was ich beschreiben kann, und dem, was ich für sichtbar halte. Das Bett, in dem ich schlaf, 2002 gekauft, damals für eins meiner Kinder. Es blieb irgendwie übrig. 200 × 90, aus Fichte. "Eh" machen die Bretter, wenn ich mich aufsetz oder mich dreh. Das Bett kracht dauernd zusammen, Gewissheiten über Unsterblichkeit schrumpfen oder verpuffen. Mein zerbrechlicher Schlaf, den chinesische Frachter begleiten, sie tragen bedampfte Bretter, illegal aus der Taiga geschlagen, übern Seeweg nach Deutschland. Deutschland = Felder, drauf Möbelhäuser, die, in Kriegszeiten als Bunker genutzt, ihren Zweck mehr als erfüllen. Geister steigen runter, sie mögen, wenn ich unruhig schlaf. Gebt mir doch endlich ein Kingsizebett. Nein, doch nicht. Ein Kingsizebett würde meine Bewegungen schlucken, ich wär Teil der Welt - Einkommen, Nachtschränkchen mit Blumen drauf, Teppich aus Sisal, Putzhilfe, Hausgeister, die eine 1a Mensch aus mir machen. Ich lieg auf dem Bett, überflieg junge, weiche Wälder, Lichtungen machen Platz für meinen Schatten. Fallen werd ich, wie jede Nacht. (. )