WestEnd 2016/1: Privatheit und politische Freiheit

Neue Zeitschrift für Sozialforschung, WestEnd 24

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593505589
Sprache: Deutsch
Umfang: 220 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 24 x 17 cm
Auflage: 1. Auflage 2016
Einband: Paperback

Beschreibung

In Anlehnung an die berühmte 'Zeitschrift für Sozialforschung' (1932 - 1941) verfolgt auch ihre seit 2004 halbjährlich erscheinende Nachfolgerin 'WestEnd' den Anspruch einer kritischen Gesellschaftsanalyse. Zur Veröffentlichung kommen Aufsätze und Essays aus Soziologie, Philosophie, politischer Theorie, Ästhetik, Geschichte, Entwicklungspsychologie, Rechtswissenschaft und politischer Ökonomie. Neben den Rubriken 'Studien' und 'Eingriffe' behandelt jedes Heft ein Schwerpunktthema. Das Private ist im digitalen Zeitalter in neuer Weise gefährdet: Staatliche und wirtschaftliche Akteure sammeln exzessiv persönliche Lebensdaten, und die Menschen geben diese Daten immer offener preis. Der Sphäre des Privaten droht die Kolonisierung durch ökonomisch-technische Imperative. Doch wie verändern die neuen Medien unsere kommunikativen Praktiken und sozialen Beziehungen? Worin besteht der Wert des Privaten? Die Aufsätze zeigen, dass Privatheit mehr bedeutet als das Recht auf persönlichen Rückzug und individuelle Freiheit. Das Private ist auch grundlegend für unsere sozialen Beziehungen und für die Demokratie. Inhalt: Studien Peter E. Gordon: Kritische Theorie zwischen dem Heiligen und dem Profanen Thomas Khurana: Die Kunst der zweiten Natur. Zu einem modernen Kulturbegriff nach Kant, Schiller und Hegel Paul Thompson und Kendra Briken: Kognitiver Kapitalismus. Wider eine fragwürdige Diagnose Stichwort: Privatheit und politische Freiheit, hg. von Sandra Seubert Sandra Seubert: Zwischen Emanzipation und Beherrschung. Das Private im digitalen Zeitalter Beate Rössler: Wie wir uns regieren. Soziale Dimensionen des Privaten in der Post-Snowden-Ära Andrew Roberts: Privatheit und republikanische Freiheit Paula Helm: Freiheit durch Anonymität? Privatheitsansprüche, Privatheitsnormen und der Kampf um Anerkennung Johannes Voelz: Der Wert des Privaten und die Literatur der 'Neuen Aufrichtigkeit' Eingriffe Richard J. Bernstein: Replik auf Peter E. Gordon Axel Honneth: Neoliberalismus? Eine skeptische Wortmeldung anlässlich einer Studie von David M. Kotz Archiv Dirk Braunstein: Theodor W. Adornos Einleitung in das soziologische Hauptseminar 'Probleme der qualitativen Analyse' Theodor W. Adorno: Einleitung in das soziologische Hauptseminar 'Probleme der qualitativen Analyse', 9. Mai 1961 Mitteilungen aus dem IfS Zum Tod von Helmut Dubiel Zum Tod von Christa Sonnenfeld Christa Sonnenfeld: Das Archiv des Instituts für Sozialforschung Frankfurter Adorno-Vorlesungen

Leseprobe

Peter E. Gordon Kritische Theorie zwischen dem Heiligen und dem Profanen "O Wort, du Wort, das mir fehlt!" Moses in Arnold Schönbergs unvollendeter Oper Moses und Aron Lange Zeit haben die meisten Intellektuellen, die sich der politischen Linken zuordnen, sei diese liberal oder revolutionär, dem normativen Programm der Säkularisierung die Treue gehalten.1 Seit dem Zeitalter der Aufklärung war unter ihnen die Ansicht verbreitet, dass für sozialen Fortschritt und Freiheit eine Loslösung vom Heiligen unabdingbar ist und nur sie den Boden für eine neue, allein auf sich selbst gestützte Ordnung bereiten kann. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass das Paradigma der Säkularisierung selten, wenn überhaupt je, ein rein empirisch-historisches Modell gewesen ist. Es hatte stets sowohl eine deskriptive als auch eine präskriptive Bedeutung. Zum einen diente "Säkularisierung" als Oberbegriff, der einen objektiven soziohistorischen Prozess beschrieb: In institutioneller Hinsicht bezeichnete er die gesetzlich vorgeschriebene Trennung von Kirche und Staat, in weltanschaulicher Hinsicht den Wandel von der teleologischen Vorstellung einer von außen, durch ein göttliches Gesetz geleiteten Schöpfung hin zu der mechanistischen Auffassung, nach der das Universum einzig und allein einer in ihm selbst liegenden anonymen und rein deterministischen Kausalität unterworfen ist; bezogen auf die subjektive Erfahrung verweist der Ausdruck auf einen statistisch signifikanten Rückgang sowohl der Bindung an Institutionen als auch der selbstberichteten Religiosität. Das deskriptive Modell der Säkularisierung setzte offensichtlich eine panoramaartige und in gewisser Weise stilisierte Konzeption der historischen Vergangenheit voraus; es war nie bloß empirisch. Sein dem Anschein nach objektiv-empirischer Status bewahrte nur deshalb so lange seine Kraft, weil die Säkularisierung starke normative Implikationen sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft enthielt. Selbst jene, die sich nicht auf Kant beriefen, teilten seinen Begriff der Aufklärung als kollektiver und gattungsübergreifender Loslösung vom untergeordneten Status der Unmündigkeit [im Original deutsch] oder "Unreife". Sie verschrieben sich dem säkularen Ideal als dem Terminus ad quem nicht nur für sich selbst, sondern für all jene Gesellschaften, die, unabhängig von ihrer Kultur und historischen Entwicklung, Prinzipien der Gerechtigkeit und Aufklärung jenseits religiöser Zwistigkeiten anstrebten. Im frühen 20. Jahrhundert jedoch hatte das Ideal einer gänzlich säkularisierten Gesellschaft viel von seinem einstigen Glanz verloren. Die emanzipatorische Fabel vom Niedergang der Religion (ein idealisierendes Narrativ, das einst linkshegelianische Religionskritiker wie Feuerbach und Marx inspiriert hatte), wurde nur noch hinter vorgehaltener Hand erzählt. Das Ideal lebte in der neu gegründeten Disziplin der Soziologie weiter, aber es war nun mit Einschränkungen verbunden. So passte sich der junge Durkheim in seinen eher teleologischen Werken zum Übergang von der mechanischen zur organischen Solidarität noch ohne Skrupel an die säkulare Ideologie der Dritten Republik an. In seinen späteren Reflexionen über die elementaren Formen der Religion dagegen war das Sakrale nicht länger eine zu überwindende Stufe, sondern eine dauerhafte, sogar transhistorische Konstante, ohne die das soziale Band als solches nicht möglich wäre. Der säkulare Nationalismus, so behauptete er, war selbst eine sakrale Einheit. Die Frage, ob es eine andere und rationalere Form des politischen Lebens geben könnte, die ohne quasimythische Strukturen einer sakralen Verbindung auskommt, stellte Durkheim nicht. Unterdessen hatte das Säkulare bei Weber seine Geltung als utopisches Ideal verloren. Für ihn war es bloß noch eine kontingente Konsequenz des Rationalisierungsprozesses, der auf dem Heiligen oder dem Charismatischen beruhende Formen des sozialen Zusammenhalts durch legalistische und bürokrati

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