Beschreibung
Diese Arbeit bestimmt das Selbst im Sinne der Selbstorganisation, d.h. als die Art und Weise, wie sich Lebewesen strukturieren. Von diesem Ausgangspunkt wird zum einen das menschliche Selbst vor allem in seiner Doppelexistenz als leibliches Individuum und als soziale und sprachliche Singularität betrachtet und über den Begriff der Einstellung beschrieben. Zum anderen wird versucht Selbstbestimmung als ein Tun zu charakterisieren, in dem der Mensch sich selbst definiert, entwirft und praktisch umsetzt, und zwar nicht im Sinne einer Selbstschau, sondern vielmehr im Sinne einer praktischen Aneignung.
Autorenportrait
Susann Köppl, geboren 1980, studierte Philosophie und Musikwissenschaft in Berlin. Zu ihren Publikationen gehören unter anderem Haltung Einstellung Selbst(organisation). Ein Differenzierungsversuch, Das Selbst als Organisationsprinzip. Vom wahren Selbst zur Konsensbildung, Subjektivation und Selbstsein, Sei ganz du selbst! Gedanken über die Authentizität als normatives Ideal in Zeiten des modernen Individualismus und Wir müssen die Frage der Freiheit neu formulieren. Von der unwürdigen Entscheidungsfreiheit zur Freiheit als Projektion eine Spurensuche bei Vilém Flusser.
Leseprobe
Textprobe:Einführung in die Problematik:a. Der Mensch und seine Selbsterfahrung:Wir Menschen sind biologische, soziale und kulturelle Wesen und stehen immer in Bezügen zu uns selbst wie zu einer Welt. Wir nehmen wahr, fühlen, denken, wollen und handeln und verfügen über ein Bewusstsein und Sprache. So können wir uns auf die Welt und uns selbst beziehen, diese erleben, beschreiben und deuten. Wir haben verschiedene Vorstellungen von uns selbst, ein Gefühl uns selbst gegenüber, ein Wissen von uns und verschiedene Wünsche, Gedanken und Begehren, die uns antreiben und zu denen wir uns verhalten können.Und wir sind mit uns vertraut, d.h. wir hegen normalerweise keinerlei Zweifel daran, dass wir selbst es sind, die etwas wahrnehmen, fühlen, denken, wollen und tun, und die ihren Körper und ihren Geist ganz selbstverständlich bewegen und benutzen und zwar in unserem Sinne und Interesse. So verstanden besitzen wir uns und sind wir wir selbst. Wir empfinden uns, zumindest zumeist, als Urheber/-innen unserer Gedanken und Taten, als handelnde Wesen. Wir tun, so unser Eindruck, was wir wollen und für richtig erachten, wir agieren frei und eigenständig und sind dabei urteilende und wertende Instanzen. Daran hängen unsere Vorstellungen von Selbstbestimmung und Verantwortung. Dabei verstehen wir uns als zeitliche Wesen mit einer Lebensgeschichte, die erzählt, wie wir zu dem Menschen wurden, der wir sind. Wir haben eine Vorstellung davon, wie wir (gegenwärtig) sind und zumeist auch eine Vorstellung davon, wie wir (zukünftig) gern wären. Unser Sein umfasst unsere gegenwärtigen, erinnerten wie projizierten Aspekte, d.h. unsere Möglichkeiten wie unsere Realität.Diese verschiedenen Merkmale menschlichen Seins, und man könnte noch mehr nennen, charakterisieren das, was wir im allgemeinen als unser Selbst bezeichnen. Ein solches Selbst schreiben wir jedem Menschen zu, auch wenn es mitunter an eine bestimmte Entwicklungsstufe und einen gewissen Gesundheitszustand gebunden wird. Dieses Selbst ist für uns selbst unbestritten existent. Es benennt den Bezugspunkt unseres Fühlens, Denkens, Wollens und Handelns und beschert uns ein Zentrum und eine Innerlichkeit. Es bezeichnet unseren Standpunkt, von dem aus wir die Welt und uns selbst erfahren und mit der Welt interagieren, und unsere individuelle Perspektive. Und es umfasst unseren Charakter, unsere Biographie wie auch unseren Antrieb und unsere Leidensfähigkeit.Es macht uns zu Handlungssubjekten, zu Träger/-innen von Verantwortung, zum Subjekt der Politik und des Rechts und im besten Fall zu mündigen Bürger/-innen. Denn es scheint zweierlei zu verbürgen. Zum einen impliziert es, dass wir jemande sind, d.h. Menschen mit einer bestimmten Biographie und einem Charakter. Zum anderen impliziert es, dass wir selbst es sind, die etwas tun und zwar im besten Fall nach den eigenen Wünschen und Einsichten. Wir sind nicht nur Getriebene der Umstände oder auch fremder Willen, sondern eben Handelnde mit eigenen Motiven und Bedürfnissen, die sich im Zuge einer Lebensgeschichte verwirklichen. In diesem Sinne scheint das Selbst als Annahme unverzichtbar zu sein, wenn wir Menschen eine gewisse Autonomie, Vernünftigkeit und Verantwortung, aber auch eine gewisse Einzigartigkeit oder Individualität zuschreiben wollen, die wiederum eine Grundlage von Würde und Anerkennung benennt.Nun sind uns jedoch gewisse Aussetzer in unserem Selbstverständnis und unserem Selbstsein nicht unbekannt. Wir haben nicht immer den Eindruck zu tun, was wir wollen oder für richtig erachten. Wir kennen das Gefühl, nicht über unseren Schatten springen zu können, uns nicht wirklich zu kennen, uns in uns selbst zu täuschen oder uns anderen Erwartungen anzupassen, sei es im Sinne einer Fremdbestimmung, eines inneren Zwangs oder auch einer Unentschlossenheit oder Passivität. Wir sind nicht immer ganz wir selbst. Trotz dieser Erfahrungen würden wir jedoch nicht behaupten wollen, dass wir selbstlos in dem Sinne sind, dass wir einfach im biologischen und sozialen Geschehen treiben, eben weil wir uns doch auch, wenn auch nicht ständig, als selbstbestimmte Wesen erfahren.b. Drei Probleme mit dem Selbst:Neben der Erfahrung des nicht man selbst Seins gibt es noch andere Probleme mit dem Selbst, von denen hier nur drei benannt werden sollen. Zum einen ist nicht klar, was wir mit dem Begriff des Selbst überhaupt konkret bezeichnen. Der Begriff als solcher ist schwammig und unterbestimmt. So ist das Selbst etwa für die eine etwas Ursprüngliches und für die andere etwas Gewordenes. Der eine hält es für etwas Individuelles, der andere für etwas uns allen Gemeinsames. Die Fragen danach, ob das Selbst etwas Statisches oder etwas Dynamisches ist, ob es etwas Freies oder Bedingtes ist, ob es nur eins oder vielleicht auch mehrere davon gibt und ob das Selbst etwas ist, das als solches nur dem Menschen zukommt, werden unterschiedlich und zum Teil nur vage beantwortet.Zum Zweiten, aber mit dem ersten verbunden, stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit eines solchen Selbst. Handelt es sich dabei um eine immaterielle Seele, einen Geist, der den Körper bewegt, oder vielmehr um etwas Physisches, Materielles? Ersteres mag man in der Wissenschaft zumeist nicht mehr annehmen, da es sich hier um metaphysische oder religiöse Vorstellungen zu handeln scheint, die sich als solche nicht wissenschaftlich belegen lassen. Zweiteres birgt die Schwierigkeit, das Selbst an einer bestimmten Stelle lokalisieren zu müssen oder es mit bestimmten physischen Vorgängen gleich zu setzen. Zwar führt die naturwissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung mit dem Selbst auch zu neuen Konzepten desselben, die meisten Wissenschaftler/-innen verwerfen die Vorstellung eines Selbst jedoch bzw. erklären es zur Illusion, und zwar zumeist mit dem Argument, dass es sich dabei lediglich um eine vom Gehirn erzeugte Repräsentation handle. Damit verabschiedet man zumeist zeitgleich die Vorstellung einer Willensfreiheit oder einer persönlichen Verantwortung. Wenn der Mensch nur den Naturgesetzen unterliegt, wenn es also keine geistige Instanz gibt, die diese zu überwinden vermag, dann tun wir einfach das, was wir tun. Wir folgen den Gesetzen der Physik, den biologischen Bedürfnissen und unseren genetischen Dispositionen. Denn wir können nicht anders, als wir sind.Die Gegner/-innen dieser Ansicht argumentieren verschieden. Ich möchte hier nur drei Argumente kurz benennen. Das erste zielt auf das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität. Jeder Mensch hat eine individuelle Perspektive und subjektive Erfahrungen, d.h. eine eigene Art, wie die Dinge für ihn sind. Diese lässt sich mit den Mitteln der Naturwissenschaften nicht objektiv beschreiben. Man kann nicht sagen, wie aus elektrischen Aktivitäten im Gehirn subjektive Erfahrungen entstehen oder wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Deswegen ist eine rein naturalistische Beschreibung des Selbst aus dieser Perspektive unzureichend, da es hier immer eine Erklärungslücke gibt.Zum zweiten wird argumentiert, dass der Rede davon, dass das Selbst eine Illusion sei, oftmals eine bestimmte Vorstellung des Selbst zu Grunde liegt, nämlich eine, die von einer souveränen Instanz ausgeht, bei der alle Wahrnehmungen zusammen laufen und von der alle Handlungsimpulse ausgehen müssten. Verabschiedet man sich von dieser Vorstellung, heißt das nicht, dass man automatisch auch den Begriff des Selbst aufgeben müsste. Dieser lässt sich vielmehr auch anders bestimmen. So schreibt etwa Michael Pauen: Wenn wir im Alltag von uns selbst sprechen, dann meinen wir unseren Körper, unsere Wünsche und Überzeugungen und unsere Biographie, und es spricht im Allgemeinen wenig dafür, dass all dies nicht existiert. Die Frage ist auch hier, was wir genau mit dem Begriff des Selbst meinen. Zum dritten wird argumentiert, dass das Selbst nicht nur physikalisch und physiologisch, sondern wesentlich auch sozial konstituiert ist, ja dass es als solches gar als ein soziales Phänomen zu verstehen ist. Auch in diesem Sinne wird ihm eine rein naturwissenschaftliche Erklärung nicht gerecht.Ein drittes Problem ist, dass uns dieses Selbst, das wir so direkt erfahren, das wir sind und als das wir agieren, nicht in Gänze zugänglich ist. Wenn wir überlegen, wer oder wie wir sind, warum wir bestimmte Gefühle, Gedanken oder Wünsche haben, warum wir uns selbst und die Welt so und nicht anders auffassen, kommen wir in die Bredouille. Wir entziehen uns uns selbst, sind uns selbst immer nur zu Teilen greifbar. Der Mensch kann in Folge dessen nie voll für sich einstehen. Somit stellt sich die Frage, inwiefern er sich selbst bestimmen kann und ob er für sein Tun verantwortlich ist bzw. verantwortlich gemacht werden darf.
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