Beschreibung
Timber Ridge 1877: Nach dem Tod ihres Mannes kämpft Rachel Boyd nicht nur mit ihrem Vertrauen zu Gott, sondern auch darum, die Rinderfarm aus eigener Kraft weiterzuführen - für ihre beiden Söhne. Doch als in Timber Ridge der neue Arzt Dr. Rand Brookston mit revolutionären medizinischen Methoden von sich reden macht, wird Rachel mit den Wünschen ihres Herzens konfrontiert. Denn eigentlich träumt sie von etwas ganz anderem als Ställe auszumisten und Rinder auf die Weide zu treiben. Die spannende Geschichte einer starken Frau mit Charakter und besonderen Gaben.
Autorenportrait
Tamera Alexander ist für ihre historischen Romane schon mehrfach mit dem Christy Award ausgezeichnet worden, dem bedeutendsten christlichen Buchpreis in den USA. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern in Nashville.
Leseprobe
Kapitel 1 Timber Ridge, Colorado, Rocky Mountains 12. April 1877 Rachel Boyd stand regungslos im Mittelgang des Gemischtwarenladens und wusste, dass sie eigentlich nicht lauschen sollte. Aber ihr blieb keine andere Wahl. Da sie fürchtete, dass Ben und Lyda Mullins sie hörten, falls sie versuchte, eilig zu verschwinden, blieb sie mit dem Melasseglas in der Hand stehen, konnte sich aber trotzdem ein Kichern nicht verkneifen. Sie war die einzige Kundin im Laden und war dankbar, dass im Moment ein wenig Ruhe herrschte, bevor das Nachmittagsgeschäft einsetzte. Das Liebesgeflüster hinter dem Vorhang amüsierte, überraschte sie aber auch ein wenig. Ein leises Kichern. Ben Mullins, was ist in dich gefahren? Es könnte jeden Augenblick jemand kommen. Ein tiefes Lachen. Wer soll schon ins Lager kommen? Ich will doch nur einen kleinen Kuss. Komm zu mir, Frau, und lass mich Rachel konnte das leise Murmeln, das folgte, nicht verstehen. Das brauchte sie auch nicht. Ihre Fantasie füllte die Lücke perfekt aus. Ungebeten übersprang ihr Gedächtnis die letzten zwei Jahre und Gefühle, die sie seit Thomas Tod tief vergraben, wenn auch nie vergessen hatte, erwachten langsam zu neuem Leben. Mit ihnen kamen bittersüße Erinnerungen an die Zärtlichkeit, mit der sie von ihrem Mann geliebt worden war. Eine Sehnsucht, die lange geschlummert hatte, begann, sich in ihr zu regen. Doch sie wollte diese Sehnsucht nicht. Sie würde - und könnte - nie einen anderen Mann so lieben, wie sie Thomas geliebt hatte. Nach seinem Tod hatte es Augenblicke gegeben, in denen sie nicht wusste, wie sie überleben sollte. Sie hatte sehr lange gebraucht, um ihren Weg aus diesem Nebel heraus zu finden, aus diesem tiefen, dunklen Ort, obwohl sie doch weiterleben musste - wenn vielleicht auch nur für ihre Jungen. Im Laufe der Zeit und mit der unablässigen Ermutigung durch ihre Familie und Freunde hatte sie schließlich wieder ins Sonnenlicht zurückgefunden. Aber jemanden so vollständig zu lieben, sich einem Mann so bedingungslos hinzugeben, gab ihm die Macht, sie tiefer zu verletzen, als es sonst jemand konnte, selbst wenn das nicht seine Absicht war. Und sie wollte nie wieder so verletzt werden. Nie wieder! Mehr als einmal hatte man ihr nahegelegt, wieder zu heiraten, wenn auch vielleicht nur um der Jungen willen. Aber genauso wie sie ihr Herz kein zweites Mal verschenken wollte, würde sie nicht das Risiko eingehen, dass ihre Söhne einen solchen Schmerz wie den Tod ihres Vaters noch einmal erleiden müssten. Außerdem kamen sie, Mitchell und Kurt zu dritt gut zurecht. Ihr angeschlagenes Selbstvertrauen erhielt einen unsanften Seitenhieb. Sie fuhr mit dem Finger über das Melasseglas in ihrer Hand. Gut war vielleicht nicht unbedingt die richtige Beschreibung, aber sie kamen so gut zurecht, wie es unter den gegebenen Umständen möglich war. Sie strich mit der Hand über ihren Rock und schluckte die Welle von Gefühlen, die sie überrollen wollte, hinunter. Mühsam konzentrierte sie ihre Gedanken auf andere Dinge. Die Schule war in einer Stunde aus und sie hatte vor, mit der Lehrerin über Kurt zu sprechen. Sie hatte keinen Termin und es war auch nicht ihr erstes Gespräch mit Miss Stafford wegen ihres jüngeren Sohnes. Sie wollte nur sicherstellen, dass alles gut lief und dass Kurt nicht schon wieder etwas angestellt hatte so wie vor zwei Wochen, als er beim Toilettenhäuschen der Schule an einem Streich beteiligt gewesen war. Er war zwar nicht der Einzige gewesen, aber sie hatte den Verdacht, dass er die ganze Sache angezettelt hatte. Sie wand sich innerlich, als sie daran dachte, und versuchte, sich in Miss Staffords Lage zu versetzen. Judith Stafford war jung und unerfahren und brachte, soweit Rachel es beurteilen konnte, viel Geduld für Kurt auf. Der Vorfall musste für sie sehr peinlich gewesen sein. Kurt hatte eine schriftliche Entschuldigung verfasst und auch sie hatte Judith Stafford einen Brief geschrieben, in dem sie ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht und sich bei der Lehrerin für ihr Verständnis bedankt hatte. Hoffentlich würde ein kurzer Besuch heute dafür sorgen, dass alles weiterhin in geordneten Bahnen verlief. Wenn sie das erledigt hätte, wartete viel Arbeit auf der Ranch auf sie, ganz zu schweigen von dem Gespräch wegen der überfälligen Ratenzahlung. Mr Fossey, der Bankdirektor, war sehr nachsichtig, aber sie merkte, dass er allmählich die Geduld verlor. Sie stellte das Melasseglas ins Regal zurück. Angesichts ihrer knappen Finanzen wäre es ein zu großer Luxus. Trotz allem, womit sie zu kämpfen hatte, war sie nach wie vor fest entschlossen, Thomas Traum für ihre zwei Söhne am Leben zu erhalten. Dieses Ziel trieb sie jeden Morgen aus dem Bett und begleitete sie durch jeden Tag, bis sie lange nach Einbruch der Dunkelheit erschöpft auf ihre Matratze sank. Und das Versprechen, das sie sich beide gegeben hatten: Mitchell und Kurt ein Erbe zu hinterlassen, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen, als es die Jungen gehabt hätten, wenn sie und Thomas nach dem Krieg in Tennessee geblieben wären. Sie berührte die Schwielen auf ihrer Handfläche. Sie durfte die Ranch, für die Thomas so schwer gearbeitet hatte, auf keinen Fall verlieren. Denn sonst könnte sie ihren Söhnen kein besseres Leben ermöglichen. Sie hatte am Grab ihres Mannes gestanden und den feierlichen Eid abgelegt, dafür zu sorgen, dass sein Traum - ihr gemeinsamer Traum - wahr werden würde. Sie war fest entschlossen, dieses Versprechen zu halten. Falls es Mr Fossey nach wie vor für vertretbar hielt, ihr einen Kredit zu gewähren. Immer noch hörte Rachel, wie Ben und Lyda hinter dem blaugelbkarierten Volant-Vorhang flüsterten und sich offenbar küssten. Rachel errötete und bedauerte, dass sie den Laden nicht schon früher verlassen hatte. Sie ging zur Tür und hoffte, dass sie unbemerkt verschwinden konnte, ohne dass die Türangel quietschte. Trotz ihrer Schuldgefühle musste sie schmunzeln. Es tat gut zu wissen, dass Ben und Lyda auch nach über zwanzig Ehejahren noch so zärtliche Gefühle füreinander hegten. Ben? Als sie die große Besorgnis in Lydas Tonfall bemerkte, blieb Rachel mit der Hand auf dem Türgriff stehen. Ben, was ? Ein ersticktes Keuchen war aus dem Lagerraum zu hören. Schatz, was ist mit dir? Ben ? Ein dumpfer Schlag. Ben! Rachel raste zum Vorhang, der den Laden vom hinteren Teil des Gebäudes abtrennte, blieb aber unmittelbar davor stehen. Lyda, ich bin es. Rachel. Ist alles in Ordnung? Sie wartete ungeduldig. Lyda? Nein, es ist etwas mit Ben Schatz, kannst du mich hören? Lydas Stimme war vor Angst ganz heiser. Rachel! Ich ich glaube, er atmet nicht mehr! Rachel schob schnell den Vorhang beiseite und eilte zum Lagerraum, wo sie abrupt stehen blieb. Ben lag regungslos auf dem Boden. Die ganze Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Lyda kniete nahe neben ihm. Panik stand in ihrem Gesicht geschrieben. Rachel drückte sich neben die beiden in den engen Raum. Was ist passiert? Sie überprüfte Bens Puls, zuerst an der Unterseite seines Handgelenks, dann an seinem Hals. Lyda standen Tränen in den Augen. Ihre Hände zitterten. Wir haben uns Sie wandte den Blick ab und in Rachel regten sich leichte Schuldgefühle. Wir haben uns geküsst und einen Moment später griff sich Ben an den Arm. Panik schwang in ihrer Stimme mit. Es sah aus, als bekäme er keine Luft, und dann Sie biss sich auf die Unterlippe und konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Dann sackte er einfach zusammen. Rachel schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, einen Puls zu finden. Wenn sie nur das alte Stethoskop ihres Vaters hätte! Hatte Ben so etwas schon früher? Lyda schüttelte den Kopf und rüttelte mit zitternder Hand leicht an der Schulter ihres Mannes. Ben, flüsterte sie, kannst du mich hören? Rachel drückte die Fingerspitzen an die Unterseite seines Handgelenks und wartete. Da! Endlich fühlte sie etwas. Einen Pulsschlag. Dünn und schwach. Viel zu schwach. Er braucht Dr. Brookston, flüsterte sie. Sie berührte Bens Stirn und stellte fest, d...