Quellcode

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608937695
Sprache: Deutsch
Umfang: 448 S.
Format (T/L/B): 3.1 x 21 x 13.7 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Schillernde Figuren und eine spannungsgeladene Handlung verbindet William Gibson in seinem neunten Roman zu einer Innenschau unserer paranoiden, postmodernen Welt. Überall lauern im Quellcode unserer Gesellschaft Gefahren, die nicht mehr lokalisiert werden können. Die eigentlich Mächtigen bleiben virtuell. Ein Gefühl der Bedrohung liegt über allem. Dem Großmeister der Science-Fiction ist eine faszinierende Diagnose unserer Gegenwart gelungen, indem er die Voraussetzungen für den globalen Terror spürbar macht.

Autorenportrait

William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff 'Cyberspace' prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen.

Leseprobe

Februar 2006 1. WEISSES LEGO 'Rausch', sagte jemand im Handy von Hollis Henry. 'Node', sagte er. Hollis machte die Nachttischlampe an. Das Licht fiel auf die am Vorabend geleerte Dose Asahi Draft aus dem Pink Dot und auf ihr mit Stickern zugepflastertes PowerBook, das zugeklappt schlummerte. Sie beneidete es. 'Hallo, Philip.' Node war derzeit ihr Arbeitgeber, wenn man das bei ihr so nennen konnte, und Philip Rausch der für sie zuständige Redakteur. Nach dem letzten Gespräch mit ihm war Hollis gleich hierher nach L.A. geflogen, was aber mehr mit ihrer schlechten finanziellen Lage zu tun hatte als mit Rauschs Überzeugungskraft, und hatte sich im Mondrian einquartiert. In der Art und Weise, wie Rausch den Magazinnamen aussprach, schwang etwas mit, dessen sie bald überdrüssig sein würde. Sie hörte vom Badezimmer her, wie der Roboter von Odile Richard sanft irgendwo anstieß. 'Bei Ihnen ist es jetzt drei', sagte er. 'Habe ich Sie geweckt?' 'Nein', log sie. Odiles Roboter war aus Lego. Weiße Legosteine, darunter eine ungerade Anzahl weißer Räder mit schwarzen Reifen. Auf der Rückseite waren Dinger angeschraubt, die wie Solarzellen aussahen. Sie hörte, wie er sich geduldig, aber doch ohne System über den Teppich ihres Zimmers bewegte. Gab es Packungen mit ausschließlich weißen Legosteinen zu kaufen? Es passte hierher, wo so vieles weiß war. Hübscher Kontrast zu den ägäisblauen Tischbeinen. 'Sie wollen Ihnen sein bestes Werk zeigen', sagte Rausch. 'Wann?' 'Jetzt. Sie erwarten Sie vor Odiles Hotel. Dem Standard.' Hollis kannte das Standard. Es war mit königsblauem Astroturf-Kunstrasen ausgelegt und im ganzen Gebäude war ihrem Gefühl nach nichts und niemand älter als sie selbst. Hinter der Rezeption gab es so etwas wie ein Riesenterrarium, in dem sich manchmal ethnisch undefinierbare Bikini-Girls räkelten, als ob sie sich sonnten, oder große Bildbände betrachteten. 'Haben Sie sich um die Hotelrechnung gekümmert, Philip? Beim Einchecken war sie noch auf meine Karte gebucht.' 'Es ist alles erledigt.' Sie glaubte ihm nicht. 'Haben wir für diese Story schon eine Deadline?' 'Nein.' Rausch seufzte genervt, irgendwo in einem London, das sie sich jetzt nicht vorstellen konnte und wollte. 'Der Launch ist verschoben worden. Auf August.' Hollis hatte noch niemanden vom Node kennen gelernt, auch niemanden, der für das Magazin schrieb. Es sollte wohl eine europäische Version von Wired sein, auch wenn sie das nie so sagten. Geld aus Belgien, via Dublin, Büros in London - oder, wenn keine Büros, dann zumindest dieser Philip. Der wie siebzehn klang. Siebzehn, und den Sinn für Humor hatte man ihm wohl rausoperiert. 'Eine Menge Zeit also', meinte sie. Sie wusste nicht genau, was sie damit sagen wollte, hatte aber irgendwie ihr Bankkonto im Hinterkopf. 'Odile wartet.' 'Okay.' Hollis schloss die Augen und klappte ihr Handy zu. Konnte man in diesem Hotel wohnen und trotzdem als obdachlos gelten? Anscheinend ja. Sie lag unter dem weißen Laken und lauschte auf den Roboter der Französin, wie er irgendwo anstieß, klackte, zurücksetzte. Er war wahrscheinlich wie einer dieser japanischen Staubsauger darauf programmiert, so lange irgendwo anzustoßen, bis die Arbeit erledigt war. Odile hatte gesagt, er sammle Daten mit Hilfe eines eingebauten GPSModuls - es schien ganz so. Als sie sich aufsetzte, rutschte ihr das feine Laken auf die Oberschenkel hinab. Draußen änderte der Wind den Angriffswinkel auf ihre Fenster, die gespenstisch klapperten. Jede sehr ausgeprägte Wetterlage hier verunsicherte sie. Die Zeitungen morgen würden darüber wie über ein leichtes Erdbeben berichten. Fünfzehn Minuten Regen und die tiefergelegenen Bereiche im Zentrum von Beverly Hills standen unter Wasser. Hausgroße Felsbrocken glitten majestätisch hangabwärts in belebte Kreuzungen. Sie hatte das hier schon einmal erlebt. Hollis stand auf, ging zum Fenster hinüber und hoffte, dabei nicht auf den Roboter zu treten. Sie tastete nach der Kordel, mit der man die schweren weißen Vorhänge öffnete. Sechs Stockwerke tiefer schlugen die Palmen am Sunset Drive im Wind wie Tänzer, die die letzten Zuckungen eines Sci-Fi-Monsters darstellen. Drei Uhr zehn an einem Mittwochmorgen und der Wind hatte den Sunset Strip menschenleer gefegt. Nicht denken, ermahnte sie sich selbst. Nicht die E-Mails checken. Ab ins Badezimmer, wo die ausgefeilte Beleuchtung all das sichtbar machen würde, was noch nie gestimmt hatte an ihr. Eine Viertelstunde später, nachdem sie ihr Bestes getan hatte mit all dem, was noch nie gestimmt hatte an ihr, fuhr sie in einem Philippe-Starck-Aufzug in die Lobby hinunter, mit dem festen Vorsatz, den Details darin möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hatte einmal in einem Artikel über Starck gelesen, dass der Designer eine Austernfarm besitzt, in der nur quadratische Austern gezüchtet werden, in speziell dafür angefertigten Stahlrahmen. Die Aufzugtüren gaben den Blick auf eine helle Holzfläche frei. Das platonische Ideal eines kleinen Orientteppichs wurde von der Decke aus daraufprojiziert: stilisierte Lichtschnörkel, die an etwas weniger stilisierte Schnörkel aus gefärbter Wolle erinnerten. Ursprünglich dazu da, um eine Beleidigung Allahs zu verhindern, wie ihr mal jemand gesagt hatte. Sie ging rasch über die Lichtreflexe hinweg auf den Eingang zu. Als sie eine der Türen aufdrückte, gegen das merkwürdig warme Wirbeln des Windes, sah ein Security-Mann des Mondrian mit militärisch scharfkantigem Haarschnitt zu ihr hin, Bluetooth hinterm Ohr. Er fragte sie etwas, aber eine jähe Fallwindbö verschluckte den Satz. 'Nein', sagte sie in der Annahme, er hätte gefragt, ob ihr Auto (das sie gar nicht besaß) vorgefahren werden solle oder ob sie ein Taxi brauche. Und da bemerkte sie auch ein Taxi, der Fahrer zurückgelehnt, wahrscheinlich schlief er und träumte von den Weiten Aserbaidschans. Sie ging daran vorbei und fühlte unerwartet unbändige Freude in sich aufsteigen, als der Wind so wild und unkontrolliert vom Records Tower her den Sunset Boulevard entlangbrauste wie der Turbinenstrahl eines Flugzeugs vor dem Abheben. Hollis meinte zu hören, dass ihr der Security-Mann etwas zurief, aber dann trafen ihre Adidas auf das ganz ungestylte Gehwegpflaster des Sunset Boulevards, abstrakter Pointilismus in schwarzgewordenem Kaugummi. Das riesige Offene-Türen-Monument des Mondrian lag jetzt hinter ihr, und im Gehen schloss sie den Reißverschluß ihrer Kapuzenjacke bis obenhin. Es zog sie weniger zum Standard als einfach nur fort. Die Luft war voll von den trockenen Partikeln der Palmenblätter, die die Atemwege reizten. Du bist verrückt, sagte sie sich. Aber im Moment war das völlig in Ordnung, obwohl das hier kein idealer Straßenabschnitt für eine Frau ohne Begleitung war. Für Fußgänger überhaupt, zu dieser Zeit am Morgen. Aber dieses Wetter, dieses außergewöhnliche L.A.-Klima, hatte offenbar ihren Sinn für Gefahren beiseitegefegt. Die Straße war genauso leer wie die Straße in Godzilla, bevor man den ersten Schritt des Monsters hört. Schwankende Palmen, bebende Luft und Hollis, jetzt unter einer schwarzen Kapuze, zielstrebig unterwegs. Zeitungsseiten und Werbezettel von Clubs flatterten ihr um die Knöchel. Ein Polizeiauto zischte vorbei in Richtung Tower Records. Der behäbige Fahrer, der in schlechter Haltung hinter dem Lenkrad saß, beachtete sie nicht. Das Motto der US-Polizei fiel ihr ein: To serve and protect. Der Wind sprang jählings um, blies ihre Kapuze nach hinten und zerzauste ihr Haar. Aber sie musste ohnehin zum Friseur. Odile Richard wartete in der weißen Hotelzufahrt unter dem Schriftzug The Standard - aus Gründen, die nur den Designern bekannt waren, stand er auf dem Kopf. Odile lebte noch nach Pariser Zeit und deswegen hatte Hollis sich zu einem Treffen in den frühen Morgenstunden bereiterklärt. Außerdem war es die ideale Tageszeit, um sich diese Art von Kunst anzusehen. Neben Odile stand ein junger Latino, kräftig gebaut, mit rasiertem Schädel und einem Retro-Pendlet...

Schlagzeile

Ein Roman über undurchsichtige Bedrohungslagen, der unter die Haut geht.>