Medienkultur und Bildung

Ästhetische Erziehung im Zeitalter digitaler Netzwerke

52,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593500683
Sprache: Deutsch
Umfang: 361 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.4 x 14 cm
Auflage: 1. Auflage 2015
Einband: Paperback

Beschreibung

Unsere schnelllebige Medienkultur wurde von der Medienpädagogik bislang vor allem als Quelle sozialer Probleme behandelt. Die Autorinnen und Autoren, u.a. Alain Bergala, Henry Jenkins und Martin Seel, öffnen den Blick auf eine Medienbildung, der nicht nur eine sozialpädagogische Aufgabe zukommt, sondern auch eine ästhetisch-künstlerische. Sie entwerfen eine Programmatik der ästhetischen Erziehung, die zum Ziel hat, das Wahrnehmungsund Urteilsvermögen der Menschen in der neuen Medienkultur zu schulen.

Autorenportrait

Malte Hagener ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Marburg. Vinzenz Hediger ist Professor für Filmwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main.

Leseprobe

Vorwort Malte Hagener und Vinzenz Hediger Etwas hat sich verändert. Stießen die traditionellen Medien aus der Printwelt lange Zeit noch vornehmlich in das bewahrpädagogische Horn und warnten vor den vermeintlichen Gefahren neuer, digitaler Medien, so scheint sich diese Haltung grundlegend gewandelt zu haben. So titelte Der Spiegel im Januar 2014 "Spielen macht klug" und Die Zeit sorgte sich im November 2014, ob die deutschen Schulen den "Anschluss verschlafen" (Kutter 2014: 31f.) hätten in Sachen digitale Medien im Unterricht. Die digitale Welt ist offenbar nicht länger etwas für Nerds und andere anti-soziale Außenseiter. Es dämmert auch der breiten Öffentlichkeit, dass der gesellschaftlichen Sprengkraft der Medien anders begegnet werden muss als mit Ablehnung und Verboten. Die Besorgnis angesichts der Ignoranz gegenüber den veränderten Medienbedingungen ist allerdings weniger aus der Erkenntnis geboren, dass hier ein genuin neues Feld von Selbst- und Weltbeziehungen in einen umfassenden Bildungsprozess integriert werden muss. Vielmehr speist sie sich zuallererst aus einer Logik des nationalstaatlichen Wettbewerbs. Das schlechte Abschneiden in internationalen Vergleichsstudien, in aller Regel von der OECD koordiniert, ist - wie beim so genannten "Pisa-Schock" - der Auslöser für diese heftigen Attacken von Selbstgeißelung, meist gefolgt von eilig eingerichteten "Schwerpunktprogrammen" und "Aktionsplänen". Auf einer politökonomischen Ebene artikuliert sich darin die Vorstellung eines sich selbst perpetuierenden Wettbewerbs, den man auf individueller, regionaler und nationaler Ebene nicht verschlafen dürfe, sondern immer wieder neu annehmen müsse. Medienkompetenz wird hier zum Standortfaktor, der sich mit dem Ziel der permanenten Selbstoptimierung messen, vergleichen und verbessern lässt. Im Hintergrund der Befürchtungen und Ängste, mit denen noch jede neue Medientechnologie konfrontiert wird, steht jedoch noch eine andere, extrem hartnäckige Vorstellung von Persönlichkeitsentwicklung, Identität und Subjektivität, die viel stärker als Ursache für diese periodisch auftretenden Erregungen gelten muss als die tatsächlichen und imaginierten Gefahren für die Gesellschaft im kontinuierlichen Wettbewerb. Namentlich ist dies eine Vorstellung von persönlicher Entwicklung und Bildung, die in der Romantik verwurzelt ist. Ob Rousseaus Vorstellung vom edlen Wilden, Philip Otto Runges "Hülsenbecksche Kinder" oder Fröbels Kinder-Garten - stets wird ein vermeintlich originärer Naturzustand einer kulturell deformierten Gegenwart gegenübergestellt. Von dieser furchtsam betrachteten Unübersichtlichkeit des Jetzt ausgehend wird eine Zukunft projiziert, die von gesellschaftlicher Zersetzung, Gewalt und allgemeinem Werteverfall bestimmt ist. Erziehung besteht dann vor allem in der Abwehr von Gefahren, die von außen, ja von außerhalb der Gesellschaft auf das Individuum eindrängen. Wenn sich nun der Tonfall in den klassischen Medien ändert, dann mag das mag eine Momentaufnahme sein. Es zeugt aber wohl doch von einer wachsenden Einsicht in die Tatsache, dass die mediale Welt keineswegs von unserer Lebenswelt abgetrennt ist, dass es also keine virtuelle Realität (VR) auf der einen und ein echtes Leben, ein "real life (RL)", auf der anderen Seite gibt, die ontologische Gegensätze darstellen. Stattdessen zeigt sich darin die Erkenntnis, dass unsere Kultur eine Medienkultur ist. Wir leben in einer Welt, in der bewegte Bilder und Töne, ja auch Bücher und andere Schriftmedien über digitale Plattformen und mobile Endgeräte so leicht zugänglich sind wie nie zuvor; wir bewegen uns in einer Welt, in der alle unablässig über digitale Netzwerke miteinander zu kommunizieren scheinen. Die grundlegende mediale Verfasstheit unserer Lebensform wirft dabei eine Vielzahl von Fragen auf, auch und gerade mit Blick auf Bildung und Erziehung. In der Öffentlichkeit wurden die Debatten über die neue Medienkultur einige Jahre vor allem im Zeichen des Begriffs der Medienkompetenz geführt. Ob Manfred Spitzers Rede von der "digitalen Demenz" (2012), Frank Schirrmachers Befürchtung, wir würden unser Denken externalisieren und an die digitalen Netzwerke abgeben (2009) oder Nicholas Carrs "Surfen im Seichten" (2013) - die neue Medienkultur erschien zumindest in populären Kassenerfolgen in erster Linie als Quelle sozialer Probleme und gesellschaftlicher Risiken. Das Ziel dieser Kritiker ist es, Kinder und Jugendliche im Umgang mit den Gefahrenpotentialen der neuen Medien zu schulen. Medienbildung in diesem Sinne steht in einer Linie mit der Bewahrpädagogik des 19. Jahrhunderts; es geht in erster Linie um die Prävention vor Gefahren, die in ihrer Konsequenz noch gar nicht abzusehen sind. Der vorliegenden Band schlägt einen anderen Zugang und einen Paradigmenwechsel in dieser Debatte vor. Die Beiträge in dem Band nehmen die neue Medienkultur als neue Ordnung von Wahrnehmung und Erfahrung in den Blick, die es auch und gerade in ihrer ästhetischen Dimension zu verstehen gilt und die in einer historischen Tiefenperspektive untersucht werden will. Sie umreißen die Konturen eines Verständnisses von Medienbildung, das davon ausgeht, dass Kinder und Jugendliche über Kompetenz und Wissen im Umgang mit technischen Medien immer schon in einem hohen Maß verfügen. Die Beiträge vertreten einen Ansatz von Medienbildung, der sich als Ziel setzt, dieses größtenteils implizite Wissen explizit zu machen und dieses Wissen um vertiefte Kenntnisse der Geschichte und Genese der gegenwärtigen Medienkultur zu ergänzen. Als Ansatzpunkt dient den Beiträgen dabei namentlich das Leitmedium Film, das auch unter digitalen Netzwerkbedingungen in seiner Breitenwirkung als exemplarisch für die kulturprägende Wirkung der technischen Medien gelten kann. Wenn Luhmanns Diktum zutrifft, dass wir das meiste, was wir wissen, so wissen, wie Plato Kenntnis von Atlantis hatte, nämlich vom Hörensagen, dann trifft heute mehr denn je zu, dass wir die Dinge weniger vom Hörensagen als vom Gesehen-Haben kennen (Luhmann 2004). Lauschte man einst mündlichen Berichten und las später die Zeitung, so teilen wir uns heute mit, indem wir Links zu Videoplattformen mit anderen teilen. Mehr noch: Wir verarbeiten nicht mehr nur Wissen durch und über den Film, wir sind selbst zu Produzenten von filmischem, filmbasiertem Wissen geworden. Jedes Mobiltelefon ist heute auch eine Kamera, und das Herstellen einer Videobotschaft und das Teilen eines selbstgedrehten Films ist mittlerweile leichter geworden als das Schreiben einer Postkarte, mit erheblichen Konsequenzen nicht zuletzt für das, was wir immer noch politische Öffentlichkeit nennen und was gerade einen erneuten Strukturwandel durchläuft, wie nicht zuletzt die politischen Bewegungen in der arabischen Welt, im Iran und in Mittelosteuropa in den letzten Jahren zeigten. Anders als der Medienarchäologe Siegfried Zielinski vor einem Vierteljahrhundert noch prophezeite, sind Film und Fernsehen mit anderen Worten keineswegs Zwischenspiele der Mediengeschichte geblieben (1989). In der Verknüpfung mit der digitalen Netzwerkkommunikation sind sie vielmehr zum neuen Paradigma der Wissensordnung in der digitalen Welt geworden. Unter den derzeitigen Bedingungen muss damit auch neu ausgehandelt werden, wie wir eine zentrale Vorstellung der Printkultur wie "Literalität" neu justieren. Literalität war immer schon mehr als die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben, sondern bezog stets auch pragmatische und kontextuelle Faktoren ein. Literalität in diesem Sinne impliziert die Einordnung eines Textes in Bezug auf das Selbst- und Weltverständnis des Individuums - welche Bedeutung hat ein Text für mich und was teilt er über die Umwelt mit? Ob wir ein Goethe-Gedicht oder eine Twitter-Meldung, eine Verwaltungsanordnung oder einen Rap-Text vor uns haben, erfordert jeweils die Aktivierung ganz anderer Fähigkeiten, Verarbeitungsschritte und semiotischer Rahmen. Insofern wäre es ein Kurzschluss, Textliteralität monol...

Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
Campus Verlag GmbH
info@campus.de
Werderstr. 10
DE 69469 Weinheim