Jüdisches Denken. Theologie - Philosophie - Mystik

eBook - Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593406985
Sprache: Deutsch
Umfang: 935 S., 75.69 MB
Auflage: 2. Auflage 2021
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Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Seit dem Mittelalter versuchen Juden die unübersichtliche Welt zu deuten und den Ort des Menschen in ihr zu finden. Dazu diente ihnen auch die Kabbala, in die Modelle der Philosophie ebenso wie der Sprache, die Lehre von Engeln und Dämonen sowie der göttlichen Allbeseeltheit Eingang fanden. Der wissende Mensch kann, als Magier, diese Erkenntnisse verwenden und wird zum Partner Gottes in der Welterhaltung und -gestaltung. Der Kabbala zufolge fließt das göttliche Fluidum in allem, Menschenseelen erfüllen in der Seelenwanderung (Gilgul) menschliche Körper, Tiere, Pflanzen und Minerale. Riten und Gebotserfüllung werden neu gedeutet so ist schon die tägliche Mahlzeit ein sakramentaler Akt. Karl Erich Grözinger stellt in Band 2 die verschiedenen kabbalistischen Modelle vor, bis hin zum Buch Sohar, das all diese Fäden zu einer phantastisch romanhaften Literatur verbindet, und zum osteuropäischen Chassidismus, der die kabbalistische Theosophie in eine mystische Anthropologie verwandelt.

Autorenportrait

Karl Erich Grözinger ist Professor emeritus für Religionswissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Potsdam und war Senior Professor am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Er ist Vorsitzender der Ephraim Veitel Stiftung, der ältesten und von ihm seit 2007 wiederbelebten jüdischen Stiftung in Deutschland.

Leseprobe

VorwortDer zweite Band von Jüdisches Denken widmet sich ausschließlich dem, was im allgemeinen Bewusstsein als »Jüdische Mystik« firmiert. Das sind die mittelalterliche und frühneuzeitliche Kabbala sowie der mittelalterliche und der spätere osteuropäische Hasidismus des 18./19. Jahrhunderts samt dessen Ausläufern in der Gegenwart. Der Leser dieses Bandes wird jedoch sehr bald erkennen, dass Kabbala und Hasidismus in erster Linie als esoterische Theologien zu betrachten sind, die wie die anderen Richtungen der jüdischen Theologie und Philosophie auch ihre mystischen Seiten haben. Die Kabbalisten nennen ihre Lehre darum Hochma nisteret, »Verborgene Weisheit«, was sich durch das schöne Kürzel HeN, mit der Bedeutung »Huld« ausdrücken ließ. Überdies zeigt die Einfügung dieser esoterischen Theologien in das Denken der mittelalterlichen jüdischen Philosophen, die im ersten Band dargestellt wurden, dass Kabbala und Hasidismus sich als eine spezifische jüdische Synthese aus altrabbinischer Tradition und mittelalterlicher Philosophie darstellen, die man mit den Kabbalisten sehr wohl die Torat Emet, die »Wahre Tora«, also die vera philosophia judaica, des Mittelalters bezeichnen kann. Haben die mittelalterlichen jüdischen Philosophen den Versuch unternommen, die altjüdische Theologie, Kosmologie und Anthropologie mit den Mitteln der griechisch-arabischen Philosophie darzustellen, so haben die Kabbalisten den umgekehrten Weg beschritten. Sie haben die zentralen Gedanken der Philosophie in das Gewand der genuin jüdischen Traditionen gekleidet. Hier wird unter Berücksichtigung nicht hintergehbarer philosophischer Positionen Judentum mit den zentralen Themen jüdischen Denkens neu formuliert. Darum ist es nicht verwunderlich, dass die Kabbala bis in die Gegenwart, vor allem in Gestalt des Hasidismus, sich eine feste und weit ausgebreitete Bleibe im Judentum verschaffen konnte, während die Philosophie eher den Rückzug antrat, um erst durch die Aufklärung wieder in den Vordergrund treten zu können.Die Einfügung von Kabbala und Hasidismus in ihren mittelalterlichen geistigen Mutterboden hat zahlreiche neue Sichten und Seiten des kabbalistischen Denkens zutage gefördert, die weithin unbekannt sind. Gewiss hat die hiermit vorgelegte Darstellung reichen Gebrauch von den Ergebnissen der internationalen modernen Kabbala-Forschung gemacht, aber die auf ausgedehnte Quellenlektüre gestützte Zusammenschau hat doch viele neue Einsichten erbracht und bisher nicht dagewesene Deutungen ermöglicht.An dieser Stelle muss auch ein Wort zu der Abweichung von der dem deutschen Leser vertrauten Schreibung des Begriffs Chassidismus gesagt werden. Die hier verwendete Schreibweise, die im Übrigen in der wissenschaftlichen Welt allgemein verbreitet ist, wurde darum gewählt, um den vielen geläufigen Verballhornungen dieses Wortes vorzubeugen. Wie für den Hasidismus wurde für alle hebräischen Wörter eine Transkription angewandt, die einzig das Ziel verfolgt, im Munde des Nichthebraisten eine Aussprache zu erzeugen, die der hebräischen Aussprache mit Hilfe der deutschen Phonetik so nahe wie möglich kommt. Dieses Ziel steht vor dem System einer stets gleichen Wiedergabe hebräischer Buchstaben durch einen entsprechenden deutschen. Im Vergleich zum ersten Band wird der Leser auch feststellen, dass ihm im zweiten sehr viel mehr hebräische Wörter zugemutet werden, deren Übersetzung aber möglichst häufig in Klammern beigefügt wird. Diese Vermehrung des Hebräischen hat mit dem Gegenstand zu tun, der nicht nur, wie schon angedeutet, sich sehr viel stärker der alten hebräischen Tradition zuwendet, sondern aus der hebräischen Sprache einen zentralen Teil seiner Theologie macht, deren Übersetzung gleich der Übertragung von Poesie in eine andere Sprache schwierig, wenn oft fast unmöglich ist.Eine andere Unregelmäßigkeit neben der Transkriptionsweise, dieses Mal eine nicht freiwillig gewählte und noch weniger gerne angenommene, ist durch das über uns hereingebrochene Chaos der so genannten »Rechtschreibreform« entstanden. Anfangs von mir mit Offenheit angenommen, hat sie sich zunehmend als Behinderung und abzulehnende Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten erwiesen und wurde hier in weitem Maße wieder zurückgenommen soweit dies eben möglich war.Denjenigen Lesern, die schon im ersten Band eine zusammenfassende Bibliographie der zahlreichen herangezogenen Werke sowie ein Abkürzungsverzeichnis vermissten, sei an dieser Stelle angekündigt, dass dies für alle drei Bände dem dritten Band beigegeben werden wird, um so das Auffinden gekürzt zitierter Literatur zu erleichtern. Bis dahin muss ich den Benutzer um Geduld und Nachsicht für die Mühe bitten, die das Aufsuchen der vollen Titel macht.Ein Band wie dieser hier vorgelegte hat zwar einen Autor, aber viele, denen er zu Dank verpflichtet ist. Allen voran muss hier das Jerusalemer Institute for Advanced Studies genannt werden, das mir durch eine Einladung für ein halbes Jahr die Freiheit zum Schreiben und Forschen ohne Verpflichtungen in Lehre und Verwaltung ermöglichte. Jerusalem hat mit seinen reichen Schätzen an alter und neuer Literatur diesen Band in einer Weise bereichert, die in Berlin und Potsdam so nicht gegeben ist. Hinzu kommen die zahlreichen Gespräche und Anregungen der israelischen Freunde und Kollegen, welche diesem Bandeinen erkennbaren Stempel aufdrückten. Da waren die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe am Institut, Ronit Meros, Eli Yassif, Yehuda Liebes, Haviva Pedaya, Elhanan Reiner, Dina Stein, Joshua Levinson, Richard Kalmin, außerdem Moshe Idel, Moshe Hallamish, Bracha Sack, Rachel Elior und Haym Soloveitchik, Esther Liebes und ihre Mitarbeiter an der Gershom Scholem Bibliothek, ihnen allen sei gedankt. Ebenso danke ich dem Leiter des Instituts, Professor Benjamin Z. Kedar, und dessen Mitarbeiterinnen, die alles taten, um unseren Aufenthalt in Jerusalem angenehm und effektiv zu machen, Pnina Feldman, Smadar Danziger und Dalia Aviely.Ganz nahe am Text waren wieder die vertrauten kritischen Leser, Helga Völkening, für die erste Hälfte des Bandes, und der neu hinzugekommene Nathanael Riemer für dessen zweite Hälfte und die Gesamtredaktion, denen die Leser viel an Lesbarkeit des Textes zu verdanken haben. Die ersten Korrekturen in Jerusalem und die letzten in Berlin sind meiner Frau Elvira zu verdanken und der schwierige Satz, die Gestaltung des Layouts und des Registers wieder Sigrid Senkbeil an meinem Potsdamer Lehrstuhl.Zufrieden mit dem Erarbeiteten werde ich sein, wenn sich im Denken der Menschen, der Wissenschaftler wie der gebildeten Öffentlichkeit, die Einsicht und das bestimmte Wissen einprägen wird, dass mit der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christen, weder das Judentum noch dessen geistige Produktion zu Ende gekommen ist. Dass vielmehr gerade in nachbiblischer Zeit, durch die Jahrhunderte und Jahrtausende bis in die Gegenwart, das Judentum eine ungebrochene geistige, kulturelle und theologische Kreativität entfaltet hat, die das Judentum stetig und nachhaltig prägte, und dass der Versuch der Beschränkung des Jüdischen auf die biblische Tradition durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Judentum ist, wie jede Kultur, nur da wirklich existent, wo der schöpferische Prozess voranschreitet, und wo dieser Prozess in seiner Fülle wahrgenommen wird. Ich sage dies angesichts des schmerzlichen Bewusstseins, dass hier nur ein kleiner Ausschnitt aus dieser schier grenzenlosen Fülle geboten werden kann.

Inhalt

VORWORTEINFÜHRUNGSEFER JEZIRA »DAS BUCH DER SCHÖPFUNG« GRUNDLAGE UND VORAUSSETZUNG DER ASCHKENASISCHEN THEOLOGIE UND DER KABBALA1. Das Buch der Schöpfung Sefer Jezira2. Gott und die Schöpfung3. Die Einheit als zentrale Botschaft des Buches4. Die 32 Wege der Weisheit die Verbindung der Zahlen- und Buchstabentradition5. Der Sefer Jezira und die Magie der Erzvater AbrahamDIE ESOTERISCHE THEOLOGIE DER ASCHKENASISCHEN HASIDIM1. Gruppen und Texte2. Der geistige Ort zwischen Philosophie und antiker Onomatologie3. Gott4. Schöpfung von Welt und Mensch5. Die ethischen LehrenDIE KABBALAI. DAS SEFIROTISCH-GNOSTISIERENDE MODELLA. Sefer ha-Bahir »Das Buch der Helle«1. Das Buch und sein Charakter2. Die Kabbala und die Gnosis Gemeinsames und Trennendes3. Gott und die Schöpfung4. Die Herkunft des Bösen5. Anthropologie6. Gottesdienst als Theurgie7. Namen, Buchstaben und Vokale die OnomatologieB. Die kastilischen Gnostiker: Ja'akov und Jizchak ha-Kohen, Mosche aus Burgos und Todros 'Abul'afja1. Die kastilischen Kabbalisten ihr Ort in der Entfaltung der Kabbala2. Gott und seine Offenbarung3. Die Herkunft des Bösen4. Die Kosmologie Jizchaks5. Die gnostisierende Anthropologie nach Moses aus BurgosII. PHILOSOPHISCH-ONOMATOLOGISCHE DEUTUNGEN DER TRADITION DIE 'IJJUN-TEXTE1. Die Schriften des 'Ijjun-Kreises ihr Ort in der Entfaltung der Kabbala2. Gott3. Die vielfältige Rede vom Einen und die Lehre vom vierfachen SchriftsinnIII. DAS SEFIROTISCH-PHILOSOPHISCHE MODELLA. Der provençalische Kreis Jizchak der Blinde1. Der provençalische Kabbalistenkreis2. Jizchak Sagi Nahor der Blinde3. Gott4. Der Kosmos5. Der Mensch6. Die Herkunft des BösenB. Der Kabbalistenkreis von Gerona 'Asri'el aus Gerona1. Der Kabbalistenkreis von Gerona2. Rabbi 'Asri'el aus Gerona3. Gott4. Urzeit Weltzeit Endzeit5. Der MenschIV. DAS ONOMATOLOGISCHE MODELL JOSEF GIKATILLA GINNAT 'EGOS1. Die Onomatologie, ihre Herkunft und ihr Ort im Rahmen der Kabbala2. Der geistige Ort zwischen Maimonides und Onomatologie3. Gott4. Kosmos5. Der MenschV. DAS PHILOSOPHISCH-GLOSSOSOPHISCHE MODELL DIE PROPHETISCHE KABBALA 'AVRAHAM 'ABUL'AFJA1. 'Avraham 'Abul'afja, der Mensch und seine prophetische Kabbala2. Gott und die Schöpfung3. Der Mensch4. Buchstabenkombinatorische HermeneutikVI. DAS SEFIROTISCH-ONOMATOLOGISCHE MODELL DER SPÄTE JOSEF GIKATILLA1. Der späte Josef Gikatilla2. Gott und die Welt3. Die Herkunft des Bösen4. Der Mensch5. Die Aufgabe des MenschenVII. DIE GROSSE SYNTHESE DER SOHARA. Der SoharB. Das philosophisch-rabbinische Modell: Der Midrasch ha-Ne'elam1. Geistiger Ort und Charakter des Midrasch ha-Ne'elam2. Die Schöpfung3. Der Mensch4. Aufgabe und Ziel des Menschen in der Welt5. Der soharische Midrasch zu Ruth und sein Verhältnis zum Midrasch ha-Ne'elam und zum Hauptteil des SoharC. Das literarisch-mythologische Modella. Der Sohar zur Tora1. Die literarische Form des Sohar2. Die Entsprechungslehre als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis des Sohar3. Die Gottheit4. Der Kosmos5. Die Herkunft des Bösen in der Welt6. Der Mensch7. Die Tora und das Ziel des Menschenb. Ra'ja Mehemna und Tikkune ha-Sohar1. Literarische Form und Charakter der beiden Werke2. Gott 'En Sof und die Sefirot3. Die Welt als vierstufige Hierarchie4. Der Mensch5. Die Tora und ihre GeboteVIII. DAS KOSMOSOPHISCH-WISSENSCHAFTLICHE MODELL JIZCHAK LURJA1. Die »Schriften des 'Ari« das Geflecht der Editionen2. Lurjas Lehre Mythos oder »Wissenschaft«?3. Gott und Welt4. Der Mensch5. Aufgabe und Ziel des Menschen in der WeltDER OSTEUROPÄISCHE HASIDISMUS EIN ANTHROPOSOPHISCH-MYSTISCHES MODELLDER KABBALAI. VORAUSSETZUNGEN ZUM VERSTEHEN DES HASIDISMUS1. Unterschiedliche Deutungen des Hasidismus M. Buber und G.

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