Beschreibung
"Welcher Art die Reifeprüfung ist, der sich die Klasse 12A, vor allem das Paar Ingrid Babendererde und Klaus Niebuhr, der Gustav Adolf-Oberschule in der Woche nach Pfingsten des Jahres 1953 unterziehen muß, hat Uwe Johnson selbst am besten in den Begleitumständen geschildert: 'Mehr aus Übermut, ja aus Spass war der Schüler Niebuhr von dem Theater des elisabethanischen Zeitalters zu reden gekommen auf eine andere Elisabeth, ein Kind aus einer unteren Klasse mit Namen Rehfelde, der war gestern von ihrem Gruppenleiter in der F.D.J. so zugesetzt worden mit ihrer Anhänglichkeit an die Junge Gemeinde [eine kirchliche Organisation], dass sie ihm das Mitgliedsbuch seines Vereins vor die Füße geknallt hatte, vor zu vielen Zeugen. (.) Und schon am Mittwoch (.) würde das Verfahren gegen die Junge Gemeinde in dieser kleinen Stadt in Mecklenburg durchgezogen werden (.). Bei dieser Gelegenheit stritten die beiden sich einmal, Klaus mit Ingrid. Er weiss, wie die Veranstaltung, wie eine Abstimmung unter solchen Umständen vor sich gehen werden, er findet diesen Betrieb von >Parlament und Demokratie< albern; was er vorzieht ist dies: >Lieben Ingrid komm mit segeln. Da ist doch Wind in der Luft, riechst du das nicht?< Aber er zieht an diesem Nachmittag allein über den Obersee mit seiner H-Jolle, und er weiss, was der Rest der 12A ihm beim Treffen an der Badestelle erzählen wird: Diese Ingrid Babendererde ist aus der F.D.J. ausgeschlossen. Mit 289 gegen 17 Stimmen. Ihr ist das Betreten des Schulgeländes ab sofort verboten. Für eine Rede. Für bloss eine Rede.'"
Autorenportrait
Uwe Johnson wurde am 20. Juli 1934 in Kammin (Pommern), dem heutigen Kamien Pomorski, geboren und starb am 22. oder 23. Februar 1984 in Sheerness-on-Sea. 1945 floh er mit seiner Mutter und seiner Schwester zunächst nach Recknitz, dann nach Güstrow in Mecklenburg. Sein Vater wurde von der Roten Armee interniert und 1948 für tot erklärt. 1953 schrieb er sich an der Universität Leipzig als Germanistikstudent ein und legte sein Diplom über Ernst Barlachs Der gestohlene Mond ab. Bereits während des Studiums begann er mit der Niederschrift des Romans Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953. Er bot ihn 1956 verschiedenen Verlagen der DDR an, die eine Publikation ablehnten. 1957 lehnte auch Peter Suhrkamp die Veröffentlichung ab. Der Roman wurde erst nach dem Tode von Uwe Johnson veröffentlicht. Der erste veröffentlichte Roman von Uwe Johnson ist Mutmassungen über Jakob. Von 1966 - 1968 lebte Uwe Johnson in New York. Das erste Jahr dort arbeitete er als Schulbuch-Lektor, das zweite wurde durch ein Stipendium finanziert. Am 29. Januar 1968 schrieb er in New York die ersten Zeilen der Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl nieder. Deren erste >Lieferung< erschien 1970. Die Teile zwei und drei schlossen sich 1971 und 1973 an. 1974 zog Uwe Johnson nach Sheerness-on Sea in der englischen Grafschaft Kent an der Themsemündung. Dort begann er unter einer Schreibblockade zu leiden, weshalb der letzte Teil der Jahrestage erst 1983 erscheinen konnte. 1979 war Uwe Johnson Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Ein Jahr später erschienen seine Vorlesungen unter dem Titel Begleitumstände. Sein Nachlass befindet sich im Uwe Johnson-Archiv an der Universität Rostock.