Beschreibung
Als Hans-Georg Windelband eines Morgens in der Zeitung seine eigene Todesanzeige liest, hält er dies zunächst für einen makabren Scherz - ist er doch jung und erfreut sich bester Gesundheit. Sein väterlicher und einziger Freund, der Schlachter, rät ihm, für eine Weile zu verschwinden, eine kleine Auszeit vom hektischen Leben zu nehmen und Erholung zu suchen. Windelband ist zunächst auch geneigt, die kleine Verschnaufpause vom tristen Alltag entsprechend zu nutzen, aber dann siegt die Neugier: Gar zu gern möchte er wissen, wer eigentlich der Tote ist, der in wenigen Tagen unter seinem Namen beigesetzt werden soll. Er beschließt, zur Beerdigung zu gehen und sich unter die Trauergemeinde zu mischen. Im Krematorium lernt er den alten Malvin kennen, der bei einer Flasche Calvados bereitwillig erzählt, was er über den Toten mit dem schrecklich zugerichteten Gesicht weiss. Der Schlachter und Malvin bilden nur den Anfang einer Kette schillernder Figuren, welche die Spur säumen, der Windelband quer durch die Osloer Unterwelt folgt und die andererseits immer wieder zu angesehenen Bürgern der Stadt führt. Denn eines ist schon bald auch Hans-Georg Windelband klar: Der falsche Tote wurde ermordet - und sein eigenes Leben wird niemals mehr sein wie zuvor. Auch in Der falsche Tote besticht Lars Saabye Christensen mit seinem unverwechselbaren Ton, dieser Mischung aus absoluter Zärtlichkeit für seine Figuren, verbunden mit einem Schuß Melancholie und einer großen Portion Situationskomik.
Autorenportrait
Lars Saabye Christensen, 1953 in Oslo geboren, ist einer der bedeutendsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Seine Bücher sind in 36 Sprachen übersetzt und wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nordischen Literaturpreis, mehrmals mit dem Norwegischen Kritikerpreis, dem Preis des Norwegischen Buchhandels sowie dem Preis des Norwegischen Verlegerverbandes.
Leseprobe
1 Doch ich war nicht tot. Doch es stand in der Zeitung. Ich erhob mich langsam aus dem Sessel, ging zum Fernseher und ließ einen müden Zeigefinger mit schwarzem Rand unter einem bläulichen Nagel auf den Ausknopf fallen. Das Bild zog sich zusammen und verschwand. Der Mann, der eben noch finstere Wettermeldungen vorgelesen hatte, verschwand aus meinem Zimmer, wahrscheinlich ging er rüber zum Nachbarn und servierte dort weitere unangenehme Temperaturen. Ich stand eine Weile da und lauschte gedankenverloren der Straßenbahn, die die Theresesgate hinunterratterte, einigen Stimmen, die zu laut sprachen, um freundlich zu sein, und einem Plattenspieler, der sich in den Schlagersänger Jens Book-Jenssen verliebt hatte. Es dauerte eine Weile, bevor mein Kopf die Situation voll und ganz erfassen konnte, oder genauer gesagt, ich brauchte einige Minuten, bevor ich mich an das Jenseitige gewöhnt hatte. Dann nickte ich den Engeln zu und ging zurück zu meinem Sessel. Es war keine groß aufgemachte Anzeige, kein unser lieber, schmerzlich vermisster oder unersetzlicher, keine Auflistung netter Namen, die sich meiner mit Wehmut erinnern. Nur mein Name. Hans Georg Windelband. Er ging nicht von jemandem. Er ging nur fort. Aus Oslo. Am 15. Februar 1978. Heute war der 18. Februar, Samstag. Hans Georg Windelband sollte am Dienstag, dem 21. Februar im Vestre Krematorium beigesetzt werden. Aus einem Schrank, der keine Zauberformeln braucht, um sich zu öffnen, holte ich eine Flasche hervor, deren Boden mit Calvados bedeckt war. Den goss ich in ein grünes Glas, setzte mich bequem in den Sessel und wartete auf die Glückwünsche. Aber es kamen keine Glückwünsche. Das Telefon stand da wie ein kaltes Bügeleisen, vor mir lag die Aftenposten, die simplen Kreuzworträtsel grinsten mich daraus an. Und zwischen all den nichts sagenden Namen war ich platziert. Hans Georg Windelband. Ich dachte: Das ist das erste Mal, dass mein Name in der Zeitung steht. Dieser Gedanke machte nicht wenig Eindruck auf mich. Aber andererseits: Darf man alles glauben, was in der Zeitung steht?
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