Beschreibung
Alles wird gut - zumindest für die Familie Schöne im ostdeutschen Görlitz. Die zu DDR-Zeiten enteignete Villa ist wieder hergestellt, und für das Familienunternehmen Schöne-Plastik ist endlich Erfolg in Sicht. Drei Generationen Schönes, Vater Friedrich, Tochter Christa und Enkelin Cornelia, könnten sich eigentlich freuen, wären da nicht zu große Träume, die unentrinnbare Vergangenheit, manch tückischer Zufall oder gar selbst gestellte Hürden, die ihnen das Leben schwer machen. Und dann kündigt sich auch noch ein höchst irritierender Besuch aus Südafrika in der Schöne-Villa an.
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MONTAG, 12. APRIL Weißer Kies auf allen Wegen, Johannas Traum Johanna lehnt sich gegen den Kellertürpfosten, weil ihr Rücken schmerzt. Von unten steigt Schimmelgeruch in ihre Nase. Was zu viel ist, ist zu viel. Der Mann muss wahnsinnig sein, dass er jeden Wisch aufbewahrt: 18 kohlenschmutzige, halb auseinander fallende Kartons und eine grün gestrichene Stahlblechkiste. Sie ärgert sich dermaßen, dass sie beinah vergisst, wie sehr sie sich auf den Ball freut und wofür sie die ganze Schufterei auf sich nimmt. Roman steigt die steile Treppe aus dem Heizungskeller nach oben und hievt im Flur des Souterrains den nächsten Pappkartonklumpen auf ihre Sackkarre. "Vier noch und die Munitionskiste!", keucht er. Sven Scherwonny in seinem froschgrünen Overall blickt nicht von seinen Formularen auf, bloß keinen Handschlag zu viel! Nur zu gern würde sie dem Burschen mit seinem, ihm von der Heizungsverordnung verliehenen, längeren Hebel auf die faulen Finger dreschen. Roman hilft ihr, die Karre auf die Räder zu kippen, dann rollt sie den Karton bis zur Gartentür und nach draußen, wo die Gehwegplatten unter ihren Füßen hin und her wackeln wie ein morsches Schiffsdeck. Sie hat Friedrich damals gleich gesagt, er soll den Quatsch lassen, aber irgendein Bezirksbonze mit Aktueller Kamera wurde erwartet - "schnell, schnell!", hieß es da, Platten auf die Erde, der nächste Regen kommt erst nach der Delegation, sie mussten ja immerzu steigern und erhöhen, außen hui und drunter hohl. "Das Sein bestimmt das Bewusstsein", hat Friedrich dazu kluggeschissen, und in diesem Fall gibt sie ihm ausnahmsweise Recht: Auf den Platten latscht es sich "plump", "plump", "plump" - die gepflegten Kieswege zwischen den Rosenrabatten des Parks dagegen, auf denen Fräulein Kohl sie in ihrem ersten richtigen Ballkleid und Schnürstiefeletten mit Absatz den "würdigen Schritt" hat üben lassen, zwangen zu aufrechter Haltung, man musste mit dem Fuß die Balance fühlen. Weißer Kies auf allen Wegen bis hinunter zur Bautzener Straße, das wäre ihr Traum. Allerdings ist darin auch die altersdunkle Remise abgerissen, wird der Park von einem schmiedeeisernen Gitter begrenzt und leuchtet die Außenfassade der Villa in originaler Pracht, mit Stuck und marmornen Engeln an der Beletage und allem Drum und Dran! Friedrich würde den Mund nicht wieder zukriegen. Sie kippt die Kartons mit Schwung auf die Wiese zu den anderen und bleibt kurz stehen, um zu verschnaufen und die neue Zahnprothese, die sich immerzu lockert und in die Zunge schneidet, fest an den Gaumen zu saugen. Verblichene Aufkleber lösen sich von der Kartonpappe und segeln ins Gras: "DEWAG" und "Bautzener Senf" steht darauf und "24 Stück Haushalttrichter, VEB Plaste und Elaste Görlitz, EVP 1,65". Wie oft hat sie Friedrich gesagt, dass er seinen Krempel aus dem Heizungskeller räumen soll, wenigstens aussortieren, niemand kann alles aufheben. Warum krallt der Kerl sich fest an Kram, den andere nicht mal geschenkt haben wollen? Ob der alte Bolschewist Waffen für die Weltrevolution in seiner Munitionskiste versteckt? Das Schmunzeln vergeht ihr sofort, denn wie zur Strafe für ihre müßigen Gedanken sticht die Arthrose heiß und heftig im rechten Fußgelenk. Sie muss weiter, in Bewegung bleiben, die Sackkarre vor sich her, den wackligen Plattenweg zurück, und an den Kanten schön die Füße heben - denn in ihrem Alter fällt man, wenn man fällt, gern mal gleich ins Grab -, durch die Gartentür mit der losen und stets klappernden Scheibe, zur Stufe, zur Kellertreppe, geschafft. Romans TShirt ist vom Schweiß dunkel gefleckt. Der Junge ist für einen Achtzehnjährigen kräftig, aber sie lässt ihn ungern grobe Arbeiten verrichten. Vom schweren Gewicht werden seine Finger steif, und nachher kann er vor lauter Zittern nicht mehr an der Venus weitermalen, und wenn das Deckengemälde nicht spätestens Ende dieser Woche gefirnisst ist, gerät ihr Zeitplan ins Rutschen und, und, und schon wieder ist sie dabei, mehr Ärger als Freude angesich Leseprobe