Zierfische in Händen von Idioten

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783036950037
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 19 x 12.4 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Sommer 96: Take That haben sich getrennt, die Welt tanzt Macarena, und Bundestrainer Berti Vogts kämpft bei der EM ums berufliche Überleben. Und auch in der schleswig-holsteinischen Provinz gibt es Probleme: Tobis Eltern verabschieden sich in einen zweiwöchigen Urlaub. Vierzehn Tage, in denen Tobi zum ersten Mal mit Lisa schlafen möchte, die Führerscheinprüfung ansteht und er sich um Papas Seepferdchen kümmern soll. Nichts davon wird klappen. Überhaupt läuft wenig so, wie er es will: Lisa macht Schluss, ihr bester Freund Georg nervt, und Tobis unkontrollierbarer Freund Scholzen zieht bei ihm ein. Als Georg eine Nachricht von seiner tot geglaubten Mutter aus London erhält, kapern die vier kurz entschlossen ihr Fahrschulauto, um von der Ostsee über die Niederlande nach England zu reisen. Ohne Geld, ohne Plan, aber dafür mit den Seepferdchen im Kofferraum.

Autorenportrait

Manuel Butt schreibt seit über zwanzig Jahren Comedy fürs Fernsehen. Er verfasste Drehbücher für die Serie Pastewka, ist seit zehn Jahren Autor der heute show und gewann 2018 als Headwriter der Satire-Show Mann, Sieber! den Deutschen Comedypreis. Zuletzt schrieb er für LOL - Last One Laughing. Manuel Butt lebt in Berlin.

Leseprobe

PROLOG DONNERSTAG, 27. JUNI 1996 18:03 UHR Tobi war kein Idiot. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass es auf ihrem Weg Probleme geben würde. Er war nicht mal davon ausgegangen, es auch nur in die Nähe ihres Ziels zu schaffen. Als die Polizei im Rückspiegel auftauchte, war er trotzdem baff. Denn sie waren noch gar nicht losgefahren. Der Golf III, Sonderedition Bon Jovi, stand unverändert an der Zapfsäule der alten Nordoel-Tankstelle. Hatten die anderen etwas mitbekommen? Lisa vielleicht. Schließlich saß sie am Steuer und konnte ebenfalls in einen der Spiegel schauen. Georg dagegen wohl eher nicht. Zum Glück, denn wenn er eine Sache gerade nicht gebrauchen konnte, war das zusätzliche Aufregung. Er lag auf der Rückbank, die Augen bedeckt mit seiner Armbeuge. Er sah beinahe lässig aus, wären da nicht der bebende Brustkorb und das unüberhörbare Schleifen gewesen. Sein Luftholen klang, als zöge jemand in der Ferne Kartons über schmutzigen Betonboden. Auch Tobi hätte ein wenig Entspannung gutgetan. Niemand kontrolliert ein Fahrschulauto, sagte er sich. Logisch. War schließlich klar, dass die Insassen keinen Führerschein hatten. Niemand kontrolliert ein Fahrschulauto, wiederholte er lautlos. Und dieser Satz hätte ihn tatsächlich fast beruhigt, hätte nicht die Stimme im Kopf hinterhergemurmelt: Es sei denn, das Auto ist bereits als gestohlen gemeldet. Tobis Herz pumpte. Es rauschte in den Ohren. Er blickte in den Rückspiegel. Der Streifenwagen stand nun an der Zapfsäule hinter ihnen. Am Steuer saß ein Polizist in kurzärmeligem Hemd, der Beifahrersitz war frei. Warum tankte der Typ nicht einfach? Worauf wartete er? Auf Verstärkung? Um sich abzulenken, kramte Tobi im Handschuhfach. Alles war jetzt besser als die eigenen Gedanken. Er zog eine CD heraus: Bon Jovi, These Days. Das Album war Teil der Sonderausstattung dieses merkwürdigen Autos. Tobi tastete das Handschuhfach bis in die Ecken ab. Er hoffte auf eine zweite CD. Vergeblich. Also schob er seufzend These Days in den Schlitz des Players, bis die CD eingezogen wurde. Musik. Endlich war das Rauschen nicht mehr das Lauteste. Jon Bon Jovi sang ernst und beschwörend. Er gab den Anwalt der Gottverlassenen. Seine Sammelklage mündete im patzig vorgetragenen Chorus: »Hey God, tell me, what the hell is going on?« Gute Frage, dachte Tobi. Auch bei ihnen war einiges schiefgelaufen. Seit der Party am Samstag eigentlich alles. »Wo bleibt denn Scholzen?«, hustete Georg in seinen Ärmel. Und auch wenn Tobi sich seit Minuten die gleiche Frage stellte, antwortete er so selbstverständlich wie möglich: »Er sollte ja auch noch Wasser mitbringen.« »Ja und?«, raunte Georg. »Da muss man sich ja erst mal entscheiden. Es gibt verschiedene Sorten. Mit oder ohne Kohlensäure. Und Medium, das gibts auch.« »Wenn der in zwei Minuten nicht da ist, fahren wir«, sagte Lisa, ohne Tobi anzusehen. »Wir müssen auf Scholzen warten«, gab Tobi dennoch zu bedenken. »Er hat das Asthmaspray.« Georg richtete sich ächzend auf. »Ich geh ihn holen.« Keine gute Idee, dachte Tobi. Draußen würde Georg den Polizisten sehen. Und der Polizist ihn. Und dann würde Georg endgültig kollabieren vor Aufregung. Georg musste im Wagen bleiben. Tobi drehte sich zu ihm, aber eigentlich nur, um im Auge zu behalten, was hinter ihnen passierte. Der Polizist stand jetzt neben seinem Wagen. Er kratzte sich da, wo das Hemd am meisten spannte, und starrte auf die Anzeige der Zapfsäule. Tobi wollte das Gespräch am Laufen halten. Aber wie? Er und Georg hatten noch nie über das Notwendige hinaus miteinander geredet. »Vielleicht bringt Scholzen ja Fachingen mit. Könnte dir guttun. Ist eine staatlich anerkannte Heilquelle.« Tobi versuchte Begeisterung mitklingen zu lassen. Zumindest Lisa erreichte er damit nicht. Sie sah ihn nun doch an, vielleicht zum ersten Mal an diesem Tag. »Wie lange willst du noch über Wasser reden?«, fragte sie genervt. »Ich würde dann währenddessen Musik hören.« Georg griff an den Türöffner. »Warte doch mal«, sagte Tobi hastig. »Wusstest du, dass Fachingen weder normaler Sprudel ist noch Medium? Das ist dazwischen, also was den Perlfaktor angeht.« Während Tobi darüber HEY HEY HEY HEY GOD? DO YOU EVER THINK ABOUT ME?« Es klopfte. Ans rechte Seitenfenster. Tobi schaute nicht hin. Er wusste ja, wer da stand. Niemand kontrollierte ein Fahrschulauto, es sei denn, man stellte sich außergewöhnlich dämlich an. Tobi drückte die Musik leise. Es klopfte noch mal. Jetzt hatten es auch die anderen gehört. Der Polizist stand so nah, dass das Seitenfenster von seinem Bauch ausgefüllt wurde. Georg sank wortlos in sich zusammen. Als ließe jemand die Luft raus. Passend dazu entwich seinen Bronchien ein leises Pfeifen. Lisa dagegen hatte das Atmen eingestellt. Ihr Blick streifte Tobi und den Polizistenbauch und flatterte weiter. »Was sollen wir machen?«, flüsterte sie. Der Polizist schaute durchs Fenster und klopfte energischer. Lisa reagierte nicht, Georg auch nicht, also handelte Tobi. Er ließ die Scheibe herunter. »Guten Tag.« Aus Tobis Mund klang es wie eine Frage, mit deren Bestätigung nicht zu rechnen war. Auch der Polizist grüßte und genoss die anschließende Pause. Dann legte er nach: »Leute, ich war auch mal jung. Aber im Straßenverkehr die Musik immer nur so laut, dass sie die anderen nicht stört und einen selbst nicht ablenkt.« »Wir dachten, weil wir ja gerade stehen und -« »Wo ist er denn, euer Fahrlehrer?«, wurde Tobi unterbrochen. Er schwieg. Lisa sprang ein: »Bezahlen.« »Ach so, ja klar.« Der Polizist nickte zufrieden. Tobi blickte zum Tankstellenhäuschen. Sosehr er sich fragte, was zur Hölle Scholzen eigentlich da drinnen machte, so sehr hoffte er, dass es noch ein wenig dauern würde. Scholzen hätte an keinem Tag einen glaubwürdigen Fahrlehrer abgegeben, aber an diesem Donnerstagabend erst recht nicht. Vor einer halben Stunde hatte er sich zwei Pillen eingeworfen. Und niemand, nicht mal er, wusste, wie die Dinger wirken würden. »Moment mal«, sagte der Polizist. Er ging einen Schritt zurück und musterte den Wagen. Dann trat er wieder ans Seitenfenster und ließ seinen Blick das Armaturenbrett entlangwandern. Seine Augen weiteten sich. »Handelt es sich bei diesem Wagen etwa um «, er stockte, beugte den Oberkörper nach hinten und schaute noch mal prüfend auf den Kotflügel, » den Golf Bon Jovi?« Tobi nickte mit zusammengepressten Lippen, die alles Nötige ausdrücken sollten: eine Mischung aus Spott und Bedauern für jeden, der mit so einem Modell gesehen wurde. Der Polizist strahlte. »Schönes Teil. Hat der Wirbelkammereinspritzung?« Tobi schaute fragend hinter sich. Wenn irgendjemand mit technischen Details vertraut war, dann Georg. Aber der schwieg. »Woher sollt ihr so etwas auch wissen? Ihr seid ja nur die Fahrschüler«, dachte der Polizist laut. Er lächelte ins Wageninnere. Kollektives Nicken. »Ich warte einfach kurz auf euren Fahrlehrer. Der wirds mir sagen können.« Tobi nickte immer noch, während er mit einem Auge zum Tankstellenshop lugte. Er versuchte, Scholzen ...

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Ein wilder Ritt durch den Sommer von 1996>