Beschreibung
"Oft taten wir nichts anderes als schauen. Zu schauen gab es immer etwas." Während der "Optionszeit" verließen viele Südtiroler Familien ihre Heimat, um in eigens errichteten Wohneinheiten in Österreich und Deutschland ein neues Zuhause zu finden. Margit Weiß wuchs in den Sechziger- und Siebzigerjahren in einer solchen Südtirolersiedlung auf. Mit den Augen eines Kindes betrachtet sie den damaligen Alltag und die illustren Persönlichkeiten in der Siedlung: Da gibt es den blumenpflückenden Herrn Maier, die Fani-Tant mit ihren Liebschaften oder den geliebten Großvater Carlo. Was sie alle eint, ist der Verlust der Heimat.
Autorenportrait
In der Südtirolersiedlung Kufstein geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium mit den Schwerpunkten Pädagogik, Psychologie, Theologie und Soziologie in Wien war sie zunächst in der Jugendarbeit, Beratung und Sozialpsychiatrie tätig. Anschließend absolvierte sie eine Psychotherapieausbildung in Innsbruck und Wien. Seit 14 Jahren praktiziert sie als Psychotherapeutin mit eigener Praxis.
Leseprobe
Oft taten wir nichts anderes als schauen. Zu schauen gab es immer etwas. Was mir sehr interessant erschien, war Herr Maier. Wenn seine Frau nicht gerade losmarschierte, setzte er sich in Bewegung. Er war im Gegensatz zu seiner Frau ein großer, hagerer Mann, mit haarlosem Kopf und scharfem Blick. Er war mir nicht geheuer. Herr Maier umkreiste in bedächtigen Schritten das Haus immer in der gleichen Richtung, rechtsherum. Dabei beugte er seinen ohnedies gebeugten Rücken immer wieder zum Boden und pflückte die da wachsenden zarten Gräser. Nicht die grünen Blätter, sondern die zarten Samenstiele. Er pflückte sie und ordnete sie in seiner Hand zu einem stetig wachsenden Sträußchen feiner Gräser. Das faszinierte mich. Sonst sah ich nur Kinder Sträußchen pflücken. Wenn er hinter dem Hauseck verschwand, wartete ich, bis er um das Haus herum war. Ich wusste, es würde etwas dauern, da er sich ja stets bücken musste. Irgendwann kam er dann wieder an Opa und mir vorbei.