Beschreibung
Der Regenschirm ist weit mehr als ein profaner Alltagsgegenstand, den wir nur mit nach draußen nehmen, weil wir nicht nass werden wollen. Ein Regenschirm ist ein Dach ohne Haus, ein Mikrouniversum über unseren Köpfen, das zu einer eigenen Klimazone um uns herum wird, in der es feucht, aber nicht nass, kühl, aber nicht kalt, schattig, aber nicht dunkel wird. Wir spannen ihn auf, und er schenkt uns ein Stück Geborgenheit in unfreundlicher Umgebung. Und womöglich ist der Regenschirm das am häufigsten verwendete Accessoire der Literatur- und Kunstgeschichte. Mit Regenschirmen werden Verbrechen begangen, es wird geflogen, getanzt, gefeiert und vieles mehr. Alexander Kluy unternimmt einen alles andere als trockenen Spaziergang durch die Welt des Regenschirms - von seiner Erfindung über die weitreichende Kultur- und Kunstgeschichte bis hin zu vergnüglichen Zweckentfremdungen.
Autorenportrait
Alexander Kluy, geboren 1966, lebt als Autor, Journalist und Herausgeber in München. Er schreibt regelmäßig u.a. für Standard, Buchkultur und Psychologie Heute. In der Edition Atelier hat er zuletzt »Giraffen. Eine Kulturgeschichte« veröffentlicht.
Leseprobe
»Die Geschichte des Regenschirms wie seines Confrère, des Sonnenschirms, reicht tief zurück in die Menschheitsgeschichte, die einen Schattenspender benötigte oder Trockenheit suchte. Der Weg führt zu Königen, Päpsten und Bürgern, zu europäischen Künstlern und chinesischen Martial-Arts-Kämpfern, nach Indien und ins rumänisch-ukrainische Grenzland, zu Impressionisten und Nietzsche und Neville Chamberlain, zu René Magritte und Mary Poppins. Der Schirm war Signum des erhobenen, ja des allerhöchsten Standes und Ausweis prononcierter Bürgerlichkeit; und zugleich letzte Hilfe jener, die sich wie Carl Spitzwegs armer Poet von 1837 nur ein Dachkämmerchen mit lecken Dachsparren leisten konnten und sich beschirmen mussten im klammen Bett mit dünnem Plumeau. Oder er fungierte als Hüter weißer Hautnoblesse. Zu sehen auf Spitzwegs Bild einer spätbiedermeierlichen Familie 1844 bei hochsommerlichem Sonntagsspaziergang durch ein Feld. Die Figuren des Gemäldes beschirmen sich mit Paraplüs, der etwas lächerliche Pater familias mit einer lächerlichen Karikatur davon, er hält seinen hohen Hut auf erhobenem Gehstock über sich. So ist der Schirm, auch hier, auch damals, ein Symbol.«