Leseprobe
Von Vorstellungswelt und Weltvorstellung Die beiden Maler begegneten sich 2019 in der Ausstellung Im Schatten der Genies, in der sich Künstler aus Bretten, Oberkirch und Arnstadt präsentierten und sich auf Melanchthon, Grimmelshausen und Bach bezogen. Spontan beschlossen sie damals eine Zusammenarbeit zum Thema Reise. Als Paten wurden aufgerufen Alexander von Humboldt und Paul Gauguin. Mit den beiden historischen Größen sind Koordinaten unseres Kulturraumes aufgespannt, deren Anliegen bekanntermaßen das gezielte Reisen war; Reisen so sehr im geografischen wie im geistesgeschichtlichen Raum. Alexander von Humboldts (1769-1859) Reiseberichte legen Grundlagen für wissenschaftliches Reise. Er beobachtete vor Ort, vermaß und suchte Zusammenhänge, katalogisierte und formte mit seinen Beobachtungen und Büchern neue Ordnungs- und Gedankensysteme. Seine Beschreibungen bilden den Standard für alle späteren Forschungsreisenden etwa für die Anthropologen. Mit dem Namen Humboldt ist auch der ältere Bruder Wilhelm anwesend. Er hatte Alexander das Reisen empfohlen als ein Verfahren, in der Ferne Zusammenhänge zu sehen und Erkenntnisse zu gewinnen. Er formte die Vorstellung vom Individuum und seinen Zielen, die heute wertig sind. Er analysierte Sprache, Literatur und Kunst. Aus seinem ganzheitlichen humanistischen Anspruch entstanden das allgemeine Bildungssystem. In der Zeit der industriellen Revolution und ihrem geistigen Umbruch entwickelte er seine Staatstheorie, auf der unsere Kultur aufbaut. Sein Wirken ist essentiell für die moderne Identität. - Die Gebrüder Humboldt lebten in der Zeit des euphorischen Aufbruchs, der industriellen Revolution, der aufblühenden Wissenschaften. Auch Gauguins (1848-1903) Reise ist Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Sein exzessives Ringen mit van Gogh ist vielfach verfilmt. Beide waren Getriebene, die sich ganz der Malerei verschrieben haben. Lart pour lart war die transzendente Losung. Die Kunst wird autonom, sieht sich als eigengesetzlichen Kosmos; als distante Existenzweise. Gauguin reist in die Südsee nach Tahiti, auf der Suche nach Ursprünglichkeit, nach natürlicher Unschuld. Er sucht ein einfaches und direktes Leben, eine paradiesische Utopie. Er sucht die überzeugende Darstellung eines Ideals mit den Mitteln der Malerei. Kunst selbst ist der Andersort, Utopia. Mit Humboldt und Gauguin ist der Geistesraum umrissen, auf dem unsere Kultur basiert. Sie wurde allerdings verdunkelt durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, durch ihren moralischen Zusammenbruch und der Korruption ihrer Wertvorstellungen. Die abendländische Kultur erleidet moralisch Bankrott. In der Kunstlandschaft der zweiten Jahrhunderthälfte findet dieses virulente Trauma seinen Widerhall. Die überkommenen korrumpierten Werte werden vollends abgerissen, die verpönten Ideale beiseite geworfen, überkommene Regeln geschleift, tradierte Formvorstellung zerrieben. Alle Bezüge werden gekappt. Die Abstraktion hat ihren Höhenflug. Anything goes. Es sind keine Kriterien mehr erkennbar, die zu einer akzeptablen Wertvorstellung, zu verantwortungsvoller Individualität führen. Die Sehnsucht nach einem Anders wächst allenthalben. Strategien sind gefragt, um zu zusammenhängender Sicht zu finden. Wer sich heute der Kunst verschreibt, muss sich selbst um eine Begründung kümmern, muss Wege suchen, die zu einer tragfähigen Identität führen; in dem Spannungsfeld zwischen Weltentwurf und Wirklichkeitsflucht. Für Dorsten Klauke war Südamerika schon immer Sehnsuchtsort. Als Maler bereist er Gegenden und Orte, die Alexander von Humboldt beschrieben hat. Zusammen mit seinem Freund Dr. Hartmut Pontius, der damals Leiter des Naturkundemuseums in Erfurt war, besuchte er 1992 Venezuela; im Gepäck Humboldts Buch Auf Steppen und Strömen Südamerikas. Dorsten sucht den Reisezustand, wo die Zeitgrenzen zerfließen, wo Gegenwärtiges und Vergangenes übereinander lagern, wo Ideen und Vorstellungen flüssig werden. Er malt Situationen, die er vor Ort erlebt. In den Bildern überlagern sich das mit eigenen Augen Gesehene mit den historischen Narrativen. Es gelingen ihm authentische Bilder, in denen Idee und Wirklichkeit eine Melange bilden. Dorsten Klauke gelingen frische Bilder. Seine Tierbilder sind von einer lebendigen Direktheit, die man schon lange nicht mehr gesehen hat. Was ist ein Bild, ein gutes, ein schönes, fragt sich Benedikt Forster. Doch hierzulande ist das Schöne in der Kunst unter Verdacht geraten. Der Künstler greift auf die Strategie Gauguins zurück. Er reist in die unbelastete Südsee (nach Hawaii) und malt seine schönen Bilder in einer Region, die mit Schönheit nicht hadert. Es entstehen Bilder von sphärischer Anmutung, von luftigen Farbnuancen und strahlender Helligkeit. Danach kann er das Leuchten auch in der Kraichgauer Geografie sehen. Seine Landschaften strahlen aus einem inneren Licht. Um das Geheimnis ihrer Schönheit zu ergründen, lässt er in seinen neuesten Bildern das Auge über Blumen wandern. In ihrer Formenstrenge gleichen sie der gebundenen Gedichtsform. Die letzte Bilderserie Hymne hat die Knappheit japanischer Haikus. Felix Walden