Rendezvous mit dem Weltgeist

Heidelberger Reminiszenzen. 1945-1951, Sombart Autobiografie 2

24,00 €
(inkl. MwSt.)
In den Warenkorb

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783961600816
Sprache: Deutsch
Umfang: 240 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 22 x 15.2 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Mit den "Reminiszenzen" an seine Studienzeit in Heidelberg sowie dem "Bericht" über seine "Jugend in Berlin" (Band 1 der Autobiografie) startet eine Neuedition der autobiografischen Schriften Nicolaus Sombarts anlässlich dessen 100. Geburtstages im Mai 2023. - Im Sommer 1945 wird Sombart aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen und nennt als Zielort spontan: Heidelberg. Viel mehr, als dass die Stadt nahezu unzerstört ist und eine berühmte Universität besitzt, weiß er da noch nicht, aber er hat "das berauschende Gefühl, an einem Anfang zu stehen. Die Welt musste neu gedacht, neu vermessen werden - wir waren dazu bereit." Er studiert bei den alten und neuen Geistesgrößen jener Jahre: bei Karl Jaspers, Alfred Weber, Alexander Mitscherlich, Dolf Sternberger; er entdeckt das Heidelberg der zwanziger Jahre und den noch immer wirkenden Geist von Karl Mannheim und Georg Lukács; und er registriert Gegenströmungen, die sich in der Person Carl Schmitts manifestieren. - "Rendezvous mit dem Weltgeist" erzählt in unterhaltsamem Tonfall von den Träumen der ersten Stunde gleichermaßen wie von der Beharrlichkeit des Überkommenen.

Autorenportrait

Nicolaus Sombart (1923-2008), Sohn des Nationalökonomen Werner Sombart, war Gründungsmitglied der Gruppe 47. Er wurde 1952 in Heidelberg mit einer Dissertation über Henri de Saint-Simon promoviert. Zwischen 1954 und 1984 arbeitete er beim Europarat in Straßburg. Er schrieb u. a. Essays über Charles Fourier, Wilhelm II. und Carl Schmitt.

Leseprobe

Meine Vermieter waren ein exemplarisches Paar der Heidelberger Urbevölkerung. Kleine Leute der schlimmsten Sorte, denen ihre politische Gesinnung ins Gesicht geschrieben stand, Nazis, Pg, SA und NS-Frauenbund. Er muss Blockwart gewesen sein, wenn nicht Schlimmeres. Von der Sorte, die in der Pogromnacht im November 1938 die Synagogen in Brand gesteckt hatte, im Braunhemd, mit Hakenkreuzarmbinde und Schulterriemen. Das jedenfalls glaubte ich mit einem Blick zu erfassen: Unser Luftschutzwart im Grunewald war genau derselbe Typ. Die beiden waren mir so unsympathisch wie ich ihnen. Der Mann, Mitte vierzig, ohne Stellung und Arbeit, in ein Entnazifizierungsverfahren verstrickt, saß schmollend zu Hause. Ein Wicht, ein Gartenzwerg, der rechte Arm mit automatischer Hitlergrußmechanik, im Arsch ein eingebauter Sprengsatz. Ganz unten auf der Stufenleiter der Menschheit angesiedelt, ganz unten auf der Stufenleiter der Bösewichte, ein Nichts verglichen mit den Bonzen, den Gauleitern, den hohen SS-Chargen, die ihn verachteten und auf ihm herumtraten. Das Einzige, was ihm blieb, war, auf den Juden herumzutrampeln. Die Frau, etwa gleichen Alters, kompensierte ihre politische Frustration mit frenetischer Hausarbeit, sie putzte. Von morgens bis abends lief sie in einer blaurosageblümten Kittelschürze und braunkarierten Filzpantoffeln herum, den Staubsauger oder Eimer oder Feudel zur Hand. Dabei schimpfte sie halblaut über die Amerikaner. Beide waren schlecht ernährt, mal baisée, wie der Franzose treffend sagt, womit alles gesagt ist. Beide erkannten in mir mit sicherem Instinkt sofort den Feind.