Beschreibung
Das Wartburgfest, dessen 200. Jubiläum in das Jahr 2017 fällt, war die erste politische Kundgebung in Deutschland von nationaler Dimension. Zugleich war es ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte Thüringens. Das Fest stand im Zeichen des Protestes gegen die Restaurationspolitik der Fürsten und die fortbestehende Kleinstaaterei und erregte gewaltiges Aufsehen. Es war kein Zufall, wenn das studentische Treffen im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach stattfand. Das Großherzogtum galt als liberaler Musterstaat und Eldorado der freien Presse. Großherzog Carl August, der Freund Goethes, hatte das Treffen genehmigt und den Studenten die Wartburg zur Verfügung gestellt. Nach dem Fest malten deutsche Fürsten und Regierungen das Phantom einer 'Wartburgverschwörung' an die Wand. Die 'Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober', die im Auftrag des Vorstands der Jenaer Burschenschaft von den Studenten Heinrich Riemann und Karl Müller ausgearbeitet wurden, forderten bürgerliche Freiheitsrechte und die nationale Einigung Deutschlands. Ihre Formulierungen fanden später zum Teil wörtlich in die Paulskirchenverfassung von 1849, in die Weimarer Verfassung von 1919 und in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 Eingang.
Leseprobe
I. Das Fest am 18. und 19. Oktober 1817 Der 18. Oktober 1817 war für die Bürger von Eisenach ein großer Tag. Bereits an den beiden Tagen zuvor hatten sich etwa 500 Studenten eingefunden. Es gab damals im Gebiet des Deutschen Bundes nur etwa 8.500 Studierende, und so war immerhin jeder siebzehnte gekommen. Aus der Universitätsstadt Jena waren mehr als 200 Studierende eingetroffen, aus Göttingen über 70, aus Berlin, Gießen und Kiel jeweils etwa 30, aus Erlangen, Marburg und Heidelberg je über 20, aus Leipzig 15, aus Rostock 9, aus Tübingen und Würzburg je zwei, von der Bergakademie Freiberg einer. Unter den Studenten aus Jena waren acht Ungarn und Slowaken, unter den Göttingern einige Letten und Esten, unter den Kielern einige Dänen. Viele der Studenten waren zu Fuß angereist. Die Studenten aus dem 400 Kilometer entfernten Kiel waren 14 Tage lang unterwegs gewesen, waren in Braunschweig, Wolfenbüttel und Mühlhausen eingekehrt und hatten den Brocken bestiegen. Am 18. Oktober nun versammelten sich die jungen Männer gegen acht Uhr auf dem Eisenacher Marktplatz. Eine halbe Stunde später setzten sie sich bei Glockenklang und feierlicher Musik in Marsch. Eine rot-schwarz-rote Fahne mit einem aufgestickten goldenen Eichenzweig und der Aufschrift 'Ehre, Freiheit, Vaterland' wurde dem Zug vorangetragen. Die meisten der Studenten trugen lange schwarze Tuchröcke, dazu Barette - eine Tracht, die man damals 'altdeutsch' nannte. Etliche von ihnen hatten sich einen Vollbart wachsen lassen und trugen das Haar lang. Die Studenten gingen paarweise in langem Zug. An der Spitze des Zuges schritt der Jenenser Student Karl Hermann Scheidler, der zum 'Burgvogt' gewählt worden war. Er trug in der Rechten das Schwert der Jenenser Burschenschaft. Ihm folgten die 'Burgmänner' Daniel von Binzer aus Kiel, Johann Anton Christian Joseph Lauteren aus Heidelberg, Heinrich August Linstedt aus Leipzig und Karl Christian Wilhelm Sartorius aus Gießen, der 'Fähnrich' des Tages Eduard Ernst Karl Graf von Keller aus Jena und die Fahnenbegleiter Georg Heinrich August Crome aus Göttingen, Ernst August Aegidi aus Berlin, Carl Ludwig Sand aus Erlangen und Philipp Heinrich aus Marburg. Es war einer jener sonnigen klaren Tage, die zuweilen den Oktober verklären. Der studentische Zug bewegte sich zur Wartburg hin, deren Konturen sich bereits deutlich aus dem Morgendunst herausschälten. Diese berühmte Burg hatte im hohen Mittelalter die Minnesänger Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide in ihren Mauern gesehen. In den Jahren 1521/22 hatte hier Kurfürst Friedrich der Weise dem von Papst und Kaiser gebannten Martin Luther Zuflucht geboten. Hier hatte der Reformator seine großartige Übersetzung des Neuen Testaments niedergeschrieben. Gegen zehn Uhr langten die Studenten auf der Wartburg an. Im Großherzogtum Sachsen-Weimar, zu dem Eisenach gehörte, bestand eine militärisch organisierte Gendarmerie. Das Tor der Burg war von Gendarmen bewacht, die nur Personen einließen, die eine der 1.000 ausgegebenen Einlaßkarten vorweisen konnten. Auf der Burg wurden die Studenten und Bürger von den leitenden Beamten der Region, dem Präsidenten der Eisenacher Landesdirektion, Philipp Wilhelm von Motz, dem Vizepräsidenten Friedrich-Christian August von Schwendler, dem Polizeiinspektor von Eisenach, Johann Christian Lorenz sowie vom Kastellan der Burg, Wilhelm Bernhard Völker erwartet. Auch vier namhafte Professoren der Jenaer Universität hatten sich eingefunden: der Philosoph Jakob Friedrich Fries, der Mediziner Dietrich Georg Kieser, der Naturforscher Lorenz Oken und der Jurist Christian Wilhelm Schweitzer. Gemeinsam betrat man den 'Rittersaal' im Erdgeschoß des Palas. Die Burg war damals in einem recht verfallenen Zustand. Die Studenten waren auf die Burg gezogen, um zwei nationale Gedenktage zu feiern: den 300. Jahrestag von Luthers Thesenanschlag und den vierten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig. Nach einem kurzen Gebet sang man gemeinsam Luthers Choral 'Ein feste Burg ist unser Gott'. Dann hielt der Theologiestudent Heinrich Hermann Riemann die Festansprache. Riemann hatte 1813 im Lützowschen Freikorps gekämpft. 1815 hatte er als Leutnant an der Schlacht bei Ligny teilgenommen und war mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Der ernste und bescheidene junge Mann war mittlerweile 23 Jahre alt und galt allgemein als der anerkannte Wortführer der Jenaer Studenten. Riemann pries Martin Luther als einen Streiter für die Geistesfreiheit und würdigte die Kämpfer des Befreiungskrieges von 1813. Zur aktuellen Situation in Deutschland sagte er: 'Vier Jahre sind seit jener Schlacht [bei Leipzig 1813] verflossen; das deutsche Volk hatte schöne Hoffnungen gefaßt, sie sind alle vereitelt. Alles ist anders gekommen, als wir erwartet hatten; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte, ist unterblieben; mit manchem heiligen und edlen Gefühl ist Spott und Hohn getrieben worden. Von allen Fürsten Deutschlands hat nur einer sein gegebenes Wort gelöst, der, in dessen freiem Lande wir das Schlachtfest begehen.' Der letzte Satz bezog sich, wie jeder der Anwesenden wußte, auf Carl August, den populären Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach und Freund Goethes. Der junge Redner rief seine Kommilitonen auf, sich nicht etwa mit der deutschen Misere abzufinden, sondern all ihre Kraft für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes einzusetzen. Nach Riemanns Vortrag sangen die Studenten den Choral 'Nun danket alle Gott'. Fries hatte 200 Exemplare seiner 'Rede an die Burschen' drucken lassen und verteilte sie jetzt. Auf Bitte seiner Studenten improvisierte er eine kurze Ansprache. Sie endete mit dem Wahlspruch: 'Ein Gott, Ein Deutsches Schwert, Ein Deutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit!'. Auch Oken ergriff das Wort. Er beschwor die Studenten, nicht auseinander zu gehen, ohne sich im Prinzip über die Gründung einer deutschen Burschenschaft verständigt zu haben. Gegen zwölf Uhr nahmen die Studenten und Gäste im 'Minnesängersaal' und den anstoßenden Räumen gemeinsam das Mittagsmahl ein. Dabei wurden zahlreiche Trinksprüche ausgebracht, insbesondere auf die Märtyrer des Befreiungskampfes Ferdinand von Schill, Gerhard von Scharnhorst, Friedrich Friesen und Theodor Körner, auf die Propagandisten des Befreiungskrieges Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn und auf Professor Fries. Nach 13 Uhr zogen die Studenten wieder zur Stadt hinab, wo 14 Uhr in der Georgenkirche ein Festgottesdienst stattfand. Die Regierung in Weimar hatte angeordnet, für alle Fälle den Eisenacher Landsturm bereitzustellen. Landsturmmänner, Studenten und die Leiter der Eisenacher Behörden, zusammen mehr als 1.000 Menschen, nahmen gemeinsam am Gottesdienst teil. Superintendent Johann August Nebe erinnerte in seiner Predigt an die Völkerschlacht bei Leipzig und nahm auch Bezug zum Treffen auf der Wartburg. Nach dem Gottesdienst sangen Studenten und Landsturmmänner auf dem Marktplatz gemeinsam Freiheitslieder. Turner (zumeist Jenaer und Berliner Studenten) führten Laufübungen, Bockspringen, 'Ziehkampf am langen Ziehtau' und Kletterübungen vor. Am Abend fand dann auf dem Wartenberg nordwestlich von Eisenach eine 'Sieges- und Dankfeier' zur Erinnerung an die Völkerschlacht statt. Die Studenten versammelten sich gegen 18.00 Uhr auf dem Marktplatz und zogen paarweise mit Fackeln zum Berg hinauf. Nur einer der Professoren, Fries, schloß sich ihnen an. Der Landsturm und einige tausend Eisenacher Bürger waren bereits zur Stelle, und es brannten mächtige 'Siegesfeuer'. Der Wartenberg bot viel mehr Raum als die Wartburg. Es waren Schaubuden, Zelte und Verkaufsstände aufgebaut, an denen Getränke und Leckerbissen angeboten wurden. Man sang und unterhielt sich, es kam Volksfeststimmung auf. Der Jenaer Student der Philosophie Ludwig Rödiger sprach zu seinen Kommilitonen. Hatte sich der besonnene Riemann mittags bei der Wortwahl um Mäßigung bemüht, so griff Rödiger jetzt die deutschen Obrigkeiten heftig an und klagte das Re...