Beschreibung
". ich wünsche dir, dass du mit deiner beginnenden Blutung mehr und mehr dein Leben als etwas Fließendes und Kraftvolles verstehen lernst und stolz darauf bist damit beschenkt - und eine Frau zu sein." Ursprünglich zur Initiation für ihre eigene Tochter gedacht, hat Julia Becket 30 Frauen erzählen lassen, wie es war, als sie zum ersten Mal bluteten. Daraus entstand eine Sammlung lebendiger Erinnerungen aus vier Frauengenerationen an die Zeit der ersten Regel. Sehr persönliche Bekenntnisse zum Prozess des Frauwerdens, die von dem sich über acht Jahrzehnte hinweg gewandelten Selbstverständnis erzählen und darüber, wie frau sich behalf, bevor der Tampon und der Begriff Damenhygiene erfunden waren.
Autorenportrait
Die Herausgeberin, Julia Becket absolvierte nach einem Grund-Studium in der Theologie, Romanistik und Sozialwissenschaften eine Hebammenausbildung und war zunächst als freiberufliche und angestellte Hebamme im Ruhrgebiet tätig. Heute lebt und arbeitet sie gemeinsam mit ihrer Tochter im schwäbischen Raum.
Leseprobe
EINSTIMMUNG IN DIE RUBINROTE ZEIT 01.April RAUM SCHAFFEN FÜR DAS KOMMENDE Eine weiße Feder schaut aus meinem Briefkasten heraus: Der erste Beitrag für die Rubinrote Zeit ist da. Ich schaffe Platz, entferne alles, was auf meiner Kommode steht. Hier befindet sich, was mir eine Zeitlang lieb und wichtig ist, woran ich mich erfreue, was mich erinnert an Quellen, die meinem Innersten gut tun und mich lieben lernen. Jetzt decke ich ein rotes Samttuch aus, belasse lediglich das Räuchergefäß und die kleine silberglänzende Dose mit Deckel, in der sich Hirsemehl befindet. An der Wand ein Lebensbaum-Zweig und ein Schmetterling, den Luisa mal gefaltet hat aus Recyclingpapier mit Fühlern, die in orangefarbene Tropfen münden. Im Eine-Welt-Kalender wechsle ich vom Deckblatt auf den September. Die Farben des grünen Regenwaldes in Vietnam passen wunderbar belebend zum roten Samttuch. Eine Mutter paddelt im Boot, ihr Kind im Tragetuch. Mutter und Kind gemeinsam im Boot, gemeinsam im Fluss. Sie kennt den Weg, führt und trägt ihr Kind eine Weile, bis die oder der Kleine so weit ist, selbst zu paddeln. In meinem Kontext sehe ich in dem Kind gern eine kleine Tochter und ich freue mich darauf, mit vereinter Frauenkraft und Frauengeschichte über Erinnern und Erzählen ein Stück Frauenkultur zu gestalten. Ich habe mir bekannte Frauen gebeten, aufzuschreiben, wie es war, das erste Mal, die erste Blutung, dieser Teil des Frauwerdens, der einen Prozess einleitet, der im Laufe eines Lebens viele Facetten und Farben erfahren wird. 08. April SO UND ANDERS ! Im Bett liegend sehe ich auf das Samttuch und die Konturen eineDrachens heben sich vor dem Buchenholz ab. Der zweite Beitrag ist angekommen, bereits im PC. Gespräche mit meiner Oma, meiner Mutter und Tanten sind eindeutig: ' das war nichts Schönes, es gehörte halt dazu, ich wollte ja Kinder kriegen, ich war beunruhigt, als mit 15 immer noch nichts passiert war. Dann später wurde meine Gebärmutter entfernt. Da war mit einem Schlag Schluss und da war ich froh drüber' 19. April ICH BLUTE Mein Blut fließt, unbemerkt begonnen, zieht es nun meine ganze Aufmerksamkeit und Wärme in mein Becken, mein Kreuzbein ist wohlig durchblutet, gelegentlich zieht es hin zum Rücken oder in die Oberschenken oder hin zum Schamhügel. Meine Hände und Füße sind eine ganze Weile sehr kalt und da ich die Gelegenheit habe, nutze ich sie, mich hinzulegen und einen langen Mittagschlaf zu halten. Gewärmt wache ich wieder auf. Das Ziehen geht weiter, mal mehr, mal weniger. Manchmal kündigt sie sich an, meine Blutung. Dann bin ich Tage zuvor von großem Bewegungsdrang getrieben. Es gibt Zeiten, da schafft sich eine traurige und trostlose Stimmung Raum und ich weine leichter als sonst. Manchmal habe ich auch einen unbändigen Hunger. Oder ich merke daran, dass meine Hände trocken werden, dass die Zeit meiner Blutung nah ist. SCHMERZ UND LUST Ich erinnere mich, dass die ersten Blutungen ganz ohne Schmerzen waren. Erst in dem Alter als ich begann, mit meinem Freund zu schlafen, stellten sich auch Schmerzen ein. Das habe ich dann als schlimm empfunden. Und ich sehnte die Zeit herbei, dass ich mal schwanger wäre und Ruhe hätte von diesen Schmerzen und diesem Leiden. Einmal schlich sich der Verdacht ein, es könnte sein, dass ich all die aufgesparten Schmerzen dann auf einmal bei der Geburt durchstehen müsste und ich wusste nicht mehr, was ich mir wünschen sollte. Damals hatte ich noch keinen Schimmer davon, dass ich durch allen Schmerz hindurch, Geburt als sehr ur-gewaltig und mich als sehr kraft- und lustvoll erleben würde. Heute noch bin ich dankbar, dieses Wunders und Erdbebens teilhaftig geworden zu sein. Der Schrecken vor einer möglichen Schwangerschaft und das Bangen, kommt mein Blut oder kommt es nicht, hat vermutlich einen Teil der Schmerzen ausgemacht, die mich in dieser Zeit begleitet haben. Eine andere Ursache mag auch das ambivalente Erleben von Sexualität sein, in einer Zeit geprägt von überholten Rollenklischees und inneren Kämpfen. Schmerzmittel habe ich nicht ausprobiert. Schlafen, Bewegung, Wärme und frische Luft tun mir gut. Die größte Lust, Sexualität zu leben, habe ich zur Zeit meines Eisprungs und kurz vor der Periode. Wenn mein Blut dann zu fließen beginnt, ist meine Energie anders gebunden. Ich bin dann oft lieber für mich, und empfinde, dass es stimmiger ist und sich besser anfühlt, dass das Blut aus mir raus kommen kann, als dass noch was oder jemand in mich hinein kommt. Spüre ich die Weite und Geschmeidigkeit meiner Scheide, die ausgebettet ist von einem warmen samtigen Balsam, kommt auch die Lust wieder. 20.April MITTEL UND WEGE Es kommen Nachrichten aus den verschiedensten Himmelsrichtungen. 'Du, die Idee find ich toll, ich habe auch versucht, mich hinzusetzen, aber im Moment ist es nicht geflossen'. Oder: du, es geht doch viel langsamer als ich dachte, macht es was, wenn es später wird?' Ich bin gespannt.