Beschreibung
Eine Mutter, ein Vater, zwei Söhne: Mit diesem Roman, dem Drama um den Verlust von Kindheit und Geborgenheit, ist William Maxwell 1937 der Durchbruch gelungen. Generationen von Schriftstellern, von Michael Ondaatje über Richard Ford bis John Updike, gehören zu den Verehrern von Maxwells kristallklarer Prosa, deren großes Thema die Zerstörung von Liebe, Beziehungen und Glück ist. "Maxwells Stimme gehört zu den klügsten und scharfsinnigsten der amerikanischen Literatur." (John Updike)
Autorenportrait
William Maxwell, 1908 in Lincoln/Illinois geboren, wuchs in Chicago auf und studierte an den Universitäten von Illinois und Harvard. Er veröffentlichte Romane und Erzählungen, war von 1969 bis 1972 Präsident des International Institute of Arts and Letters und gehörte jahrelang zur Redaktion der Zeitschrift The New Yorker. Maxwell lebt in New York. Zuletzt bei Zsolnay erschienen: Mit der Zeit wird es dunkler (1996), Also dann bis morgen (1998), Sie kamen wie die Schwalben (2001).
Leseprobe
"Was machst du da? Geschirrtücher?" Bunny fiel auf, daß seine Mutter eine äußerst merkwürdige Art hatte, den Kopf zu schütteln. Als würde sie einen lästig herumsummenden Gedanken fortwedeln. "Sie sehen aber doch wie Geschirrtücher aus!" Er interessierte sich praktisch unablässig für alle ihre Angelegenheiten. Wenn sie irgendwo zum Kartenspielen eingeladen war, wollte er danach wissen, wer den Preis gewonnen und was es zu essen gegeben hatte und wie die Tischkarten ausgesehen hatten. Wenn sie in Peoria Einkäufe machte, wollte er unbedingt mit, so daß er sein Urteil über ihre Kleider abgeben konnte, auch wenn das langes Warten vor der Anprobekabine bedeutete. Und sie waren auch nicht immer einer Meinung. Über die Tapete im Eßzimmer zum Beispiel. Bunny hatte die alte ganz hübsch gefunden. Vor allem den Zierrand, auf dem jeden Meter der gleiche Berg mit einer Burg darauf zu sehen war. Und immer die gleichen drei Ritter, die zu jeder der Burgen hinaufritten. Trotzdem hatte seine Mutter sie mit einer einfarbigen Tapete überkleben lassen, die keinerlei Gedanken in ihm anregte und seiner Ansicht nach viel besser für die Küche gepaßt hätte, wo es nicht so darauf ankam. "Wenn es keine Geschirrtücher sind, was sind es dann?" Er wartete ungeduldig, während sie den Faden abbiß und ein neues Stück von der Spule abwickelte. "Windeln." Das Wort löste eine unbestimmte Erregung in ihm aus. Nachdenklich ging er hinüber und setzte sich neben seine Mutter auf die Fensterbank. Von hier aus konnte er den Garten und den Zaun sehen, den Garten der Koenigs und die Seitenfront des weißen Hauses der Koenigs. Die Koenigs waren Deutsche, aber sie konnten nichts dafür, und sie hatten ein kleines Mädchen, das Anna hieß. Im Januar würde Anna ein Jahr alt werden. Mr. Koenig stand sehr früh auf, um mit der Waschmaschine zu helfen, bevor er zur Arbeit ging. Die Waschmaschine stampfte und rumpelte, stampfte und rumpelte, um fünf Uhr morgens. Zur Frühstückszeit hing dann eine Leine voll weißer Flaggen, die im Herbstwind flatterten. Es waren natürlich keine Flaggen, es waren Windeln. Und eben das war's. Man nähte keine Windeln, wenn nicht jemand ein Baby erwartete. Bunny lauschte. Einen Augenblick lang war er draußen im Regen. Er war naß und glänzte vor Nässe. Seine Gedanken wehten im Wind. Er riß ein nasses Blatt ab. Aber von solchen Dingen sprach man nicht. Immer wenn er und seine Mutter allein waren, erschien die Bibliothek anheimelnd und vertraut. Sie redeten nicht miteinander und sahen sich nicht einmal an; nur gelegentlich. Und doch war jedes von ihnen bei dem und durch das, was sie gerade machten, sich der Gegenwart des anderen bewußt. Wenn seine Mutter nicht da war, wenn sie oben in ihrem Zimmer war oder in der Küche draußen Sophie Anweisungen für das Mittagessen gab, war für Bunny nichts wirklich - oder lebendig. Die zinnoberroten und die gelben Blätter, die sich auf den Vorhängen zusammenrollten und entfalteten, waren voll und ganz auf seine Mutter angewiesen. Ohne sie hatten sie weder Farbe noch bewegten sie sich. Und als er jetzt neben seiner Mutter am Fenster saß, war Bunny ebenso von ihr abhängig. Alle Linien und Oberflächen des Raums liefen auf seine Mutter zu, so daß er, wenn er das Muster des Teppichs betrachtete, es notwendig in Beziehung zu ihrer Schuhspitze sah. In gewisser Hinsicht war er noch stärker auf ihre Gegenwart angewiesen als die Blätter oder Blumen. Denn alle seine Besitztümer waren so beschaffen, daß sie sein konnten, was sie tatsächlich waren, aber zu gewissen Zeiten sich auch in Ritter und Kreuzfahrer oder in Flugzeuge oder in einen Zug Elefanten verwandelten. Wenn seine Mutter in der Stadt war, um Binden für das Rote Leseprobe