Die Tochter der Geliebten

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783453407060
Sprache: Deutsch
Umfang: 236 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 18.8 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Was empfindet man, wenn man im Alter von einunddreißig Jahren erfährt, dass man nicht die leibliche Tochter seiner Eltern, sondern ein Adoptivkind ist? A. M. Homes schildert hier auf eindringliche Weise ihre eigene Lebensgeschichte als emotionale Spurensuche. Eine höchst authentische und brillante Antwort auf Fragen, die wir uns alle stellen: Wer bin ich – und wie bin ich zu dem geworden, was ich bin?

Leseprobe

Ich erinnere mich, wie sie darauf bestanden, dass ich ins Wohnzimmer komme und mich setze, wie der dunkle Raum auf einmal bedrohlich wirkte, wie ich mit einem geleegefüllten Donut in der Küchentür stand, wo ich doch nie geleegefüllte Donuts esse. Ich erinnere mich, nichts zu wissen; zuerst zu denken, dass etwas ganz Schlimmes passiert sei, und mit Tod zu rechnen - dass jemand gestorben war. Und dann erinnere ich mich, es zu wissen. Weihnachten 1992 fahre ich nach Hause, nach Washington D. C., meine Familie besuchen. Am Abend meiner Ankunft sagt meine Mutter gleich nach dem Essen: 'Komm ins Wohnzimmer. Setz dich. Wir müssen dir was erzählen.' Ihr Tonfall macht mich nervös. Meine Eltern sind eigentlich nicht so förmlich - man setzt sich nicht ins Wohnzimmer. Ich stehe in der Küche. Der Hund schaut zu mir auf. 'Komm ins Wohnzimmer. Setz dich', sagt meine Mutter. 'Warum?' 'Wir müssen mit dir über etwas reden.' 'Über was?' 'Komm her, dann sagen wir es dir.' 'Sagt es mir jetzt, und hier.' 'Komm zu uns', sagt sie und klopft auf das Polster neben ihr. 'Wer ist gestorben?', frage ich erschrocken. 'Niemand ist gestorben. Alles ist bestens.' 'Aber was ist dann los?' Sie schweigen. 'Geht es um mich?' 'Ja. Es geht um dich. Wir wurden angerufen. Jemand sucht nach dir.' Nachdem ich mein ganzes Leben in einem virtuellen Zeugenschutzprogramm verbracht habe, ist meine Tarnung nun aufgeflogen. Als ich aufstehe, weiß ich etwas über mich: Ich bin die Tochter der Geliebten. Meine leibliche Mutter war jung und unverheiratet, mein Vater älter und verheiratet, hatte bereits Familie. Als ich im Dezember 1961 geboren wurde, rief ein Rechtsanwalt meine Adoptiveltern an und sagte: 'Ihr Päckchen ist angekommen, und es hat eine rosa Schleife.' Meine Mutter fängt an zu weinen. 'Du musst gar nichts unternehmen, du kannst es einfach damit bewenden lassen', sagt sie, um mir die Last abzunehmen. 'Aber der Rechtsanwalt hat gesagt, er würde gern mit dir reden. Er war ganz reizend.' 'Erzählt noch mal - was ist passiert?' Einzelheiten, Kleinigkeiten; als könnten die Fakten, das Echo von Fragen und Antworten der Sache Sinn verleihen, Ordnung, Form, vor allem das, was ihr am meisten fehlt - Logik. 'Vor ungefähr zwei Wochen haben wir einen Anruf erhalten. Von Stanley Frosh, dem Anwalt, der sich um die Adoption gekümmert hat. Und der hat erzählt, dass ihn eine Frau angerufen und gesagt hat, wenn du Kontakt mit ihr aufnehmen wolltest, sei sie bereit, etwas von dir zu hören.' 'Was soll das bedeuten: >bereit, etwas von dir zu hören<? Will sie mit mir reden oder nicht?' 'Weiß ich nicht', sagt meine Mutter. 'Was hat Frosh denn gesagt?' 'Er war ganz reizend. Er hat gesagt, dass er diesen Anruf bekommen hat - am Tag vor deinem Geburtstag - und sich nicht sicher war, was wir mit dieser Information anfangen würden, aber er fand schon, dass wir sie bekommen sollten. Möchtest du ihren Namen wissen?' 'Nein', antworte ich. 'Wir haben darüber diskutiert, ob wir es dir erzählen sollen oder nicht', sagt mein Vater. 'Diskutiert? Wie könnt ihr denn darauf kommen, es mir zu verschweigen? Die Information ist doch nicht für euch. Und was, wenn ihr es mir nicht erzählt hättet, und dann wäre euch was zugestoßen, und ich hätte es hinterher erfahren?' 'Aber wir sagen es dir doch jetzt', sagt meine Mutter. 'Mr. Frosh sagt, du kannst ihn jederzeit anrufen.' Sie bietet mir Frosh an, als ob ein Gespräch mit ihm irgendwas ausrichten könnte - die Sache klären zum Beispiel. 'Das alles ist schon zwei Wochen her, und ihr erzählt es mir erst jetzt?' 'Wir wollten warten, bis du zu Hause bist.' 'Warum hat Frosh denn euch angerufen? Und nicht gleich mich?' Ich war einunddreißig, erwachsen, aber sie behandelten mich wie ein schutzbedürftiges Kleinkind. 'Der Teufel soll sie holen', sagt meine Mutter. 'Sie ist wirklich dreist.' Es war der schlimmste Albtraum meiner Mutter: Sie hatte immer gefürchtet, dass jemand kommen und mich wegholen könnte. Ich wuchs im Wissen um diese Angst