Beschreibung
Italien 1938: Antonio Romanelli, der junge Mann aus einem kleinen Bergdorf in Italien, hat es geschafft: Sein Architekturstudium ist so gut wie abgeschlossen und er will als Ingenieur arbeiten. Dann aber bricht der Zweite Weltkrieg aus und alles kommt anders. Als Kriegsgefangener landet er auf der Farm der Familie Fourie in Südafrika. Dort kommt er wie gerufen, denn es soll eine technisch anspruchsvolle Brücke über den Nijl gebaut werden. Nur Klara, die Tochter des Hauses, hat Vorbehalte ihm gegenüber. Sie gibt ihm die Schuld daran, dass ein guter Freund von ihr im Krieg gefallen ist. Irgendwann jedoch taut das Eis zwischen dem kompetenten Architekten und der misstrauischen Klara und mit jedem Stein, der in der Brücke verbaut wird, wächst auch die Zuneigung zwischen den beiden. Nach und nach lernen sie, dass jeder Feind manchmal auch nur ein Mensch ist
Autorenportrait
Irma Joubert ist Historikerin und lebt in Südafrika. Sie war 35 Jahre lang Lehrerin. Nach ihrer Pensionierung fing sie mit dem Schreiben an. Über ihre Heimat hinaus haben sich ihre Romane auch in den Niederlanden, den USA und in Deutschland zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
Leseprobe
1. Kapitel Die Leute aus dem Dorf hatten schon lange auf eine schöne Geschichte gewartet. Und als sie sich langsam, aber sicher vor ihren Augen abzuzeichnen begann, wagten sie nach und nach, fröhlich zu werden. Das Dorf liegt isoliert und abgelegen. Schon seit Jahrhunderten klammert es sich wie in einem Märchen an einer Bergwand hoch in den Alpen fest. Ein schmaler, steiler Weg führt dorthin, mit Kurven so scharf geschwungen wie die Haarnadeln von Donna Veneto. Die Eisenbahn kommt nicht so weit nach oben, nur zweimal in der Woche ein Bus. Die Menschen können ihn schon von ferne mühsam den steilen Hang hinaufkeuchen hören, und wenn sich die älteren Mädchen auf den ausgetretenen Treppenstufen vor der Kirche auf die Zehenspitzen stellen, können sie den Bus in der Kurve von Guiseppe anhalten sehen und sich dann Stückchen für Stückchen zurücktasten, bis sein Hinterteil weit über die niedrige Steinmauer hinausragt. Die Vorderräder wenden sich scharf nach rechts und die Drehzahl des Motors schnellt in die Höhe, damit es der Bus aus der Kurve herausschafft und sich weiter nach oben zubewegt. Dann läutet Pater Enrico allerdings die Schulglocke, obwohl es manchmal noch ein paar Minuten zu früh ist. Wie ausgelassene Kaninchen springen und rennen die Kinder den Berg hinunter zum Dorfplatz. Nur die Klasse von Schwester Theresa verlässt das Gebäude in einer ordentlichen Reihe, denn die Schwester ist sehr streng. Die Leute im Dorf sind nicht reich, aber seit dem Großen Krieg von 1914 bis 1918 gibt es in Italien sowieso fast keine reichen Menschen mehr. Selbst der Baron von Veneto, der hoch über dem Hang in einer steinernen Villa wohnt und die Aussicht über das ganze Dorf genießt, ist weniger reich, als es sein Vater vor dem Krieg gewesen ist. Das ist ein schrecklicher Irrtum gewesen, dieser Krieg, aber jetzt ist er zum Glück vorbei. Noch weiter oben befindet sich das Kastell, auf der anderen Seite der Ponte del Bartolini, der altertümlichen kleinen Brücke über dem Fluss Bartolini. Das Kastell steht schon sehr lange leer und ist am Verfallen. Nur die dicken Steinmauern stehen noch unverrückbar auf dem Platz, wie sie vor Jahrhunderten hochgemauert worden sind. Es ist eine traurige Geschichte, die von der Prinzessin, die als Letzte dort gewohnt hat. Denn sie wurde, so erzählt man sich, zu einem Opfer auf dem Schlachtfeld der Politik. Es ist eine Geschichte, die die älteren Frauen immer noch den jüngeren Mädchen erzählen und manchmal auch den Neuankömmlingen im Tor, den Leuten, die den Dorftratsch noch nicht kennen. Gegenseitig erzählen sie sich diese Geschichte nie, dazu ist sie viel zu traurig. Heutzutage spielen die Kinder zwischen den dicken Kastellmauern. Die Mädchen sind Prinzessinnen, die in langen Abendkleidern und mit Blumenkränzen in den Haaren über die bemooste Tanzfläche schweben. Die Jungen sind Ritter, die aus den Schießscharten schauen und jeden erkennbaren und erdachten Feind unter Feuer nehmen. Und wenn die Abenddämmerung hereinbricht und die Kinder von ihren Müttern an den Ohren weggezogen worden sind, kommen die Pärchen für ihr Stelldichein hierher. Genau an diesem Ort haben die Leute es gesehen: Da passiert etwas. Etwas, was eine Geschichte werden könnte. Im Dorf unterscheidet man zwischen traurigen, ekelhaften, schlüpfrigen und schönen Geschichten. Eine traurige Geschichte ist nun ja, traurig, und eine ekelhafte Geschichte gibt es von Zeit zu Zeit in jedem Dorf und in jeder Familie. Eine schlüpfrige Geschichte ist eine, die manche Frauen - natürlich nicht alle! - in einer Pause während der Arbeit hinter vorgehaltener Hand weitererzählen, eine Geschichte, die nicht für die Ohren der jungen Frauen bestimmt ist und die die Männer nur hinter verschlossenen Türen zu hören bekommen. 'Also, Frau, wirklich, bist du dir da sicher? Solchen Tratsch solltest du lieber für dich behalten, hörst du? Mit so etwas kommst du nur in Schwierigkeiten.' 'Aber, Mann, du kennst mich doch. Bin ich denn eine, die einfach so irgendwelche Gerüchte in die Welt setzt?' Dann halten die Männer lieber ihren Mund, um des lieben Friedens willen. Im Dorf hat es schon immer Geschichten gegeben, sogar eine ganze Menge. Traurige Geschichten wie die von der Prinzessin im Kastell oder die von der ältesten Tochter von Sofia und dem alten Luigi. Auch schöne Geschichten gab es, zum Beispiel die von dem französischen Flüchtlingskind, das Guiseppe Romanelli in den Bergen gefunden hat, genau da, wo jetzt die Kurve von Guiseppe ist, und das er mit nach Hause genommen hat. Das kleine Mädchen ist erst ein bisschen verwildert und spindeldürr gewesen, aber Mama Romanelli hat es wieder ordentlich aufgepäppelt und schön herausgeputzt. Sie selbst hatte schließlich keine Tochter. Nicht dass das Kind den Romanellis ähnlich gesehen hätte mit seinem zarten Körperbau, seiner Pfirsichhaut und seinen grünen Augen. Die Romanellis sind groß und dunkel. Letztendlich ist die Kleine aber doch eine echte Romanelli geworden, denn Guiseppe hat sie geheiratet, kurz bevor er im Großen Krieg an die Front geschickt worden ist. Eine schöne Geschichte. Und so oft erzählt, dass jeder alle Details kennt. Dann gibt es natürlich auch noch die Geschichte von Don Veneto in der steinernen Villa hoch über dem Dorf. Mensch Maier, sagen die Frauen zueinander, was hat das lange gedauert, bis er endlich darüber hinweg gewesen ist, dass ihm die Großnichte von Graf Aosta dem Zweiten den Laufpass gegeben hat, und das auch noch zwei Wochen vor der Hochzeit, indem sie mit diesem französischen Studenten durchgebrannt ist, der in den Sommerferien auf dem Bauernhof des Barons Oliven gepflückt hat. Eigentlich eine traurige Geschichte, obwohl sie von einigen Frauen natürlich als schlüpfrige Geschichte erzählt wird. Aber auch die ist schon lange vor dem Krieg so oft erzählt worden, dass sie völlig verschlissen ist. Dann kam Don Veneto eines Tages - kurz vor dem Krieg, die Leute erinnern sich noch gut - mit einer ganz frischen, bildschönen, jungen Braut aus Venetien zurück. Blonde Haare und blaue Augen, ein bisschen geziert; sie schien eine österreichische Mutter oder Großmutter gehabt zu haben. Manche behaupten, dass sie nur deshalb gekommen ist, weil sie als einfaches Bürgermädchen über ihrem Stand geheiratet hat, aber von dieser Sorte Tratschgeschichten hat das Dorf nie viel gehalten. Seinerzeit sind jedenfalls alle froh gewesen, dass Don Veneto so eine schöne Frau gefunden hat, auch wenn er einige Jahre älter als sie gewesen ist. Den ganzen Krieg über hat die junge Donna Veneto treu auf ihren Baron gewartet und nicht ein einziges Mal Partei für die Österreicher und gegen Italien bezogen. Allerdings kam sie auch nicht wirklich oft unter die Leute, das ist wahr. Nur sonntags und mittwochsabends bei der Messe - und obwohl Don Veneto nicht zu Hause war, hat sie doch an Weihnachten in dem großen Speisesaal der Villa das traditionelle Weihnachtsessen für das ganze Dorf ausgerichtet. Nachdem Deutschland gezwungen war, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, und alle Männer des Dorfes wieder nach Hause gekommen waren, ist eines Tages die kleine Gina geboren worden. Sie hat das blonde Haar und die tiefblauen Augen ihrer Mutter und sie ist über den Dorfplatz gehüpft, durch die Häuser des Dorfes und über die wilde Blumenwiese, die zum Dorf gehört. Sie ist die Prinzessin geworden, eine Prinzessin aus der Steinvilla über dem Dorf direkt unter dem Kastell. Jeden Samstagnachmittag legen die Männer des Dorfes ihre Meißel, Schaufeln und Spitzhacken zur Seite und die Frauen legen ihre Schürzen ab. Anschließend treffen sie sich mit den anderen aus dem Dorf zu einem gemütlichen Beisammensein. Die Männer spielen auf dem Dorfplatz Boccia, die Jungen spielen mit einem selbst gemachten Ball auf der kleinen Ebene im Westen des Dorfes Fußball und die Mädchen hüpfen Springseil oder Hickekästchen, wobei der erste Preis ein Prinz ist. Jeden Samstagnachmittag findet man Don Veneto, Guiseppe Romanelli, Pater Enrico und den Dorfarzt am Schac...