Beschreibung
Wie entkommt man dem Blick des Vaters oder dem des Lehrers? Maria ist jung und rebellisch, ihre Augen sehen mehr, als sie sehen sollten. Fliegen wie die Vögel um Mutters Trauerweide wollte sie schon als Kind. Nun folgt sie der schönen, dunkelhäutigen Isabelle, die sie während eines Sprachkurses in Marseille kennengelernt hat, nach Kalifornien. Die Neue Welt empfängt sie mit Musik und breiten Freeways. Mit einem Sommer, der selbst im Winter nicht vergeht, und einer Sprache, die alles Vergangene auszulöschen verspricht. Doch neben glatten Fassaden und vermeintlichen Familienidyllen findet Maria auch deren Kehrseiten. Versteckten Rassismus und latente Gewalt. Verletzte Kinderseelen und therapiesüchtige Erwachsene. Ausgerechnet bei einem Exil-Äthiopier, dessen Italien-Trauma durch das Mädchen aus dem Land Mussolinis wieder aufbricht, findet Maria den nötigen Halt. Und schließlich den Weg zurück in die eigene Sprache, der sie sich zaghaft stellt. Anne Marie Pircher legt einen packenden und berührenden Roman vor, der kraftvoll und poetisch die innere und äußere Welt einer jungen Frau in den 1980er Jahren auslotet. Eine Welt, die bei aller Abgründigkeit voller Musik und Leben ist.
Autorenportrait
Anne Marie Pircher 1964 geboren, aufgewachsen in Schenna/Südtirol, lebt in Kuens bei Meran. Seit dem Jahr 2000 schreibt sie Lyrik, Erzählungen und Theaterstücke. 2002 wurde sie zum österreichischen Literaturwettbewerb "Floriana" eingeladen.
Leseprobe
Die Kirschbäume blühen. Es klang, als wollte mein Vater mich nach Hause locken. Ich setze mich zu Dara aufs Sofa und sage, dass zu Hause alles gut ist, meine Karte aus Mexiko aber noch nicht angekommen sei. Kaum ist das Telefon frei, klingelt es und Ron meldet sich mit seiner Therapeutenstimme. Ich versuche, mich auf den Film zu konzentrieren, aber ich mag diesen Jack Nicholson nicht. Nach zehn Minuten wünsche ich Dara eine gute Nacht und verschwinde in meinem Zimmer. Zum ersten Mal, seit ich in diesem Land angekommen bin, vermisse ich die Dachluke. Es ist nicht Heimweh. Es ist nur der Wunsch nach jenem Stück Himmel und dessen Möglichkeiten. Wolken. Regen. Schnee. Dunst. Ein Gewitter. Hagel. Sonne. Licht. Dunkelheit. Sterne. Die Mondsichel. Mutter hat einmal erwähnt, dass ich mit einem furchtbaren Gewitter gekommen sei. Bei Blitz und Donner. Eine Woche zu früh. Es klang wie ein Vorwurf. Gleichzeitig wie Bewunderung.