Beschreibung
Früher, da war sie noch in der Morgendämmerung aufgebrochen, um Stunden später im Stoppelgras irgendeines Gipfelhangs zu liegen, im Sommerwind, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, als wäre sie die einzige, für die es keinen Alltag gäbe. Nun hat dieser Alltag sich eingestellt, komfortabel allerdings: Sie hat einen Mann, um den man sie beneidet, einen Beruf, der fordert, aber nicht zu sehr, einen Freundeskreis, der weiß, wie man Abende arrangiert und welchen Wein man dann serviert - wie viele dieser Generation. Sie könnte glücklich sein, war es vielleicht auch, bis sie einem Mann begegnete, der Sehnsucht weckte. Die alte? Eine neue? Was tun, wenn der Wunsch nach Unbedingtheit nicht mit dem Ende der Liebe verschwindet? Was denken, wenn der Mann, mit dem man lebt, von allen Gefährdungen nichts merkt? Gibt es am Ende auch in seinem Leben Wünsche, die er lieber verbirgt, in der Hoffnung, sie kapseln sich dann ein? Beide machen sich auf den Weg, unabhängig voneinander, unabgesprochen. Ihrer führt sie nach Lassing, wo sie vor Jahren im Auftrag ihrer Zeitung vom Grubenunglück berichtete, von der tagelangen Suche nach dem einen verschütteten Mann tief unten im Berg. Seiner führt ihn in eine lichtere Gegend, die sich öffnen könnte, in eine Zukunft. Sieht er sie dort? Nicht sicher. Sicher ist nur, daß sie Sonntag zurück nach Hause kommt. Dort wird er auf sie warten.
Autorenportrait
Martin Prinz, gboren 1973, aufgewachsen in Lilienfeld, Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik. Lebt in Wien. Zuletzt erschienen 'Der Räuber', 2002, und 'Puppenstille', 2004.