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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783885713968
Sprache: Deutsch
Umfang: 270 S.
Format (T/L/B): 2 x 21 x 13.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2021
Einband: Paperback

Beschreibung

Diese Buch ist ein Schlüsselwerk zur Aufarbeitung der elsässischen Geschichte und zum Verständnis der elsässischen Mentalitäts- und Kulturbesonderheiten.

Leseprobe

Analyse des elsässischen Patriotismus Über die Inbrunst des elsässischen Patriotismus ist alles gesagt. Von Erckmann-Chatrian bis hin zu Barrès und Bazin haben ihm die unterschiedlichsten Schriftsteller ihre Zeilen gewidmet, die zu den schönsten ihrer Werke zählen. Heute weiß jeder, dass die Elsässer seit der Revolution auf allen Schlachtfeldern standen, jeder kennt ihren Heldenmut in den politischen Kämpfen, die sie zwei Mal mit den Deutschen führen mussten. Im letzten Krieg haben das großartige Epos der Brigade Alsace-Lorraine ebenso wie die Glanztaten zahlreicher Elsässer in den Kämpfen der Résistance ein weiteres Kapitel einer schon glorreichen Geschichte geschrieben. Man hat diese patriotische Begeisterung damit erklären wollen, dass die Elsässer dadurch, dass sie an der Grenze leben, ständig vom Feind bedroht sind. Daher ihr unablässig durch die Gefahr angestachelter Eifer. Es steht außer Zweifel, dass die Bevölkerung des französischen Ostens generell patriotischer ist als die der anderen Regionen. Doch das erklärt nicht die besonderen Formen des elsässischen Patriotismus, die so anders sind als etwa die des lothringischen Patriotismus. Die Wahrheit liegt darin, dass der elsässische Patriotismus anders sogar als der der Lothringer auf einer freiwilligen Zugehörigkeit, auf einer freien Entscheidung beruht. Er ist keine Naturerscheinung. Die Burgunder, die Provenzalen, die Pariser sind sozusagen Patrioten, ohne es zu wissen. Bei den Elsässern ist das nicht so. Sie mussten sich zwischen zwei Nationen entscheiden, die um ihr Land und ihre Seele kämpften, und sie haben ihre Wahl getroffen. In ihrem Patriotismus liegt ein Moment der Freiwilligkeit, das bei den anderen fehlt. Die Elsässer wissen, warum sie ihr Vaterland lieben. Was bestimmt ihre Entscheidung? Um diese Frage zu be-antworten, müsste man alle Vorteile aufzählen, die die fran-zösische Zivilisation gegenüber der deutschen hat, und die Gründe analysieren, aus denen sie nach wie vor für die be-nachbarten Völker anziehende Wirkung hat. Wir haben einige dieser Gründe beim Studium des elsässischen Minderwertigkeitskomplexes untersucht. Alles, was französisch ist, genießt ein hohes Ansehen, dessen Wesen indes schwer erklärbar ist. Die Elsässer sind diesem Prestige erlegen. Die am meisten Gebildeten hängen an den schönen Künsten und der Literatur unseres Landes, die Frauen schätzen dieses wegen seines guten Geschmacks, alle mögen es wegen der einfachen und angenehmen Manieren seiner Bewohner, aber nicht weniger wegen dieser Freiheit, die es der Welt im Verlauf der großen Revolution zu schenken vermochte. Über diese Erwägungen hinaus entzieht sich jedoch der tiefere Grund für die Wahl der Elsässer jeglicher Analyse. Es handelt sich um ein erotisches Phänomen. Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. Dieses affektive Element unterscheidet den elsässischen Patriotismus grundlegend von dem der anderen Franzosen. Und doch ist der elsässische Patriotismus keine einfache Erscheinung. Er ist fast immer mit dem einen oder anderen der Komplexe vermischt, die wir analysiert haben und deren Ursprung und Ausdruck er gleichermaßen ist. Wie wir sehen konnten, macht ihre Dualität die Elsässer zu überaus komplizierten Wesen. Deswegen haben bei ihnen die politischen Probleme ein übergroßes Ausmaß angenommen, sodass sie gewissermaßen das Gerüst ihrer Psyche bilden. Ihr Patriotismus spiegelt also die unterschiedlichsten Gefühle, die verschiedensten Bedürfnisse wider. Er bietet daher ein Ensemble an Komponenten, die es nun zu analysieren gilt. Die wichtigste darunter ist vielleicht die soziale Komponente. Ebenso wie von den Motiven, die wir erotisch genannt haben, ist die Entscheidung der Elsässer zugunsten Frankreichs von deren Minderwertigkeitskomplex determiniert. Wie wir gesehen haben, fühlen sich die Elsässer häufig erdrückt und wie gedemütigt von den Franzosen, in denen sie Vertreter einer Zivilisation sehen, die sie zu Recht oder zu Unrecht als ihrer eigenen überlegen einschätzen. Mehr oder weniger französisch zu sein, bedeutet also für sie, einer Welt mehr oder weniger anzugehören, zu der sie stets mit bewunderndem und neidvollem Blick gesehen haben. Kann man in Straßburg nicht genau die soziale Schicht eines Menschen bestimmen, ent-sprechend seiner Durchdringung mit unserer Kultur, seiner Kenntnis unserer Sprache und der Reinheit seines Akzents, wenn er sie spricht? Oftmals wird man sich Frankreich weniger Frankreichs wegen verbunden fühlen als wegen der Aufwertung, die man sich von Frankreich verspricht. Man wird glauben, einem umso höheren Milieu anzugehören, je mehr man französische Manieren und Allüren hat. So werden sich Kleinbürger einbilden, dass sie umso einfacher Zugang zu bestimmten Kreisen, zu bestimmten Salons bekommen, je patriotischer sie sich geben. Schreibkräfte und Midinetten werden auf eine umso vorteilhaftere Partie hoffen, je besser sie französisch sprechen, und klassisch ist der Fall des kleinen Beamten, der, nachdem er seiner Familie seine Beförderung mitgeteilt hat, im Überschwang der Gefühle ausruft: Jetzt untersteht euch, noch elsässisch zu sprechen! Dieses Phänomen zeigt sich am typischsten im Großbürgertum, das schon immer geglaubt hat, im Elsass das Monopol auf den Patriotismus zu besitzen. Es lohnt sich, die Ursprünge dieses bürgerlichen Patriotismus, aus dem man so viele Schlüsse aller Art ziehen kann, näher zu betrachten. Schon im 17. Jahrhundert, als die Massen des Volkes noch in die deutschen Traditionen eingetaucht waren, aus denen sie die Politik der Könige nicht zu ziehen versuchte, strebten die elsässischen Aristokraten und die reicheren Schichten danach, mit den Intendanten und Beamten des Königreichs Berührung aufzunehmen. Man hoffte, so einige Vorteile zu erlangen und, da mischt Eitelkeit mit, auf irgendeine Weise mit den Herren des Landes in Verbindung zu kommen. Man machte sich also daran, französisch zu sprechen, entweder um Karriere zu machen oder um zu zeigen, dass man zu einer Gesellschaft gehörte, in die man weiter vordringen wollte. Vergessen wir dabei nicht, dass wir uns in der Zeit Ludwigs XIV. befinden und dass das Universum auf den Hof von Versailles blickt wie auf eine glanzvolle Welt, die alle Trümpfe innehatte. Es stimmt, dass kein einziger Elsässer je in diese Welt vordrang und dass sich bis zum Sturz der Monarchie kein deutsch klingender Name im Umfeld des Königs finden lässt! (Mit Ausnahme von Jacques Necker, dem Finanzminister Ludwigs XVI., der zwar kein Elsässer, sondern Schweizer war, dessen Familie aber aus Brandenburg stammte.)

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