Beschreibung
Ein Mönch, der auszog, die Welt zu verändern Europa im Spätmittelalter: Andersdenkende werden verfolgt, es gibt blutige Auseinandersetzungen. Ein junger Mann, der als Meister Eckhart in die Geschichte eingehen wird, wagt ein kühnes und ungeheuerliches Abenteuer: Er sucht die Erkenntnis, will mehr Wissen als erlaubt ist. Doch seine Widersacher wollen ihn stoppen, mit Intrigen, Verleumdung und der Macht der Inquisition Noch Jahrhunderte später inspiriert Meister Eckhart Menschen auf der ganzen Welt. Thomas Hohn lässt in diesem packenden Mittelalter-Thriller den Philosophen und Mystiker lebendig werden und erzählt eine mitreißende und berührende Geschichte über Liebe, Verlust und Genialität.
Autorenportrait
Thomas Hohn (geb. 1969) studierte Philosophie, Psychologie und Religionswissenschaft mit den Schwerpunkten Mittelalter, Zen-Buddhismus und Meister Eckhart. Von Hohn wurden bereits mehrere Kurzgeschichten, ein wissenschaftliches Werk über Meister Eckhart und ein Roman veröffentlicht, unter anderem ist er Mitherausgeber einer Anthologienreihe. Für die Manuskript-Idee des Romans Meister Eckhart - das undenkbare Universum wurde er 2014 für den C.S. Lewis-Preis nominiert. Thomas Hohn lebt und arbeitet als freier Autor in Berlin und Brandenburg.
Leseprobe
Köln, Sommer 1326 Hastig kratzte der Gänsekiel über das Pergament. Eile war geboten. Immer wieder warf er einen nervösen Blick zur Tür, während er seine Worte auf das Pergament bannte. Sie würden gleich da sein. Es gab kein Entkommen. Nicht für ihn. Wütend ballte er seine Faust. Wie konnten sie es wagen? Vielleicht gelang dieser Schrift die Flucht, vermochten diese Buchstaben Weisheit und Licht in die Dunkelheit zu tragen, wenn er es nicht mehr vermochte. Unten im Haus polterte es. Erschrocken hielt er inne, lauschte. Es blieb still. Nichts. Schnell schrieb er weiter, fügte Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätzen, wob seine Gedanken in sie hinein. Sie waren Melodien, die in seinem inneren Universum Form annahmen, wie eine leise Musik, die aus dem Nichts in ihn hineinfiel. Selbst jetzt, trotz all seiner Angst, spürte er das Wunder. Schritte. Rasche, schwere Schritte. Hatten sie es so eilig, ihn zu holen? Wenn er es nur rechtzeitig schaffen könnte. Verzweifelt schaute er auf das Geschriebene. Er war fast fertig. Mit zittriger Hand nahm er noch einmal das Tintenhörnchen aus der vorgesehenen Pultfassung und tauchte den Kiel in das rußige Nass. Krachen. Die Tür zu seiner Zelle flog auf. Erschrocken von der Wucht des Eindringens glitt ihm die Tinte aus den Händen. Das Schwarz ergoss sich über den Boden, glänzte wie eine sternenlose Nacht. Eckhart starrte zur Tür. Aber es waren nicht die erwarteten Häscher, nicht die Boten des Todes und der Unwissenheit. Goswin, der Gute, stand im Rahmen. Atemlos. Der große, überaus korpulente Mann füllte den gesamten Türrahmen, sein Gesicht war puterrot. »Ihr habt mich gerufen, Magister«, stieß er hervor. »Das wäre allerdings kaum nötig gewesen, die Stadt ist wegen Euch in Aufruhr. Ich bin so schnell gekommen, wie es mir möglich war.« »Dank dir für dein eiliges Kommen. Einen kurzen Moment noch, bitte.« Meister Eckhart setzte die Feder erneut an, diesen letzten Satz wollte er noch vollenden, dann musste es reichen. »Sie sind schon unterwegs, Magister, ich habe sie gesehen, wie sie am Bischofspalast aufgebrochen sind. Sie werden jeden Augenblick hier sein.« Sorge stand in Goswins rundem Gesicht. Meister Eckhart schnaubte. Der Bischofspalast. Der Palast war seines Namens nicht wert. Dort wohnte kein Erzbischof. Die Kölner hatten ihre Erzbischöfe in einem Streit vor etwa vierzig Jahren kurzerhand vor die Tür und damit vor die Stadttore gesetzt. Sie residierten seitdem im südlichen Umland von Köln. Doch ein Erzbischof blieb ein Erzbischof, das galt auch in Köln und so hatte dieser immer noch weitreichende Befugnisse innerhalb dieser Mauern. Leider. Über klerikale Fragen saß man in dem »Saal« zusammen, wie die Kölner das Innere des verwaisten Bischofspalastes nannten. Auch in Fragen der Häresie. Nicht wenige ereilte an diesem Ort das Todesurteil. Seine Zelle im Studium generale der Stolkgasse war nur ein Katzensprung von dem »Saal« entfernt. Keine Frage, sie würden jeden Moment hier sein. Eckhart konzentrierte sich auf sein Schreiben. Sei ledig aller Angst. Habe allezeit acht auf dich und deinen Sinn, soweit es nur möglich ist. Herr Gott, du seiest gelobt ewiglich. Amen. Wie weit war er in diesen Momenten von dem entfernt, was er selbst lehrte. Er seufzte, trocknete die frische Schrift mit etwas Sand und blies die Körner vom Pergament. Ein Sonnenstrahl fand seinen Weg in die Zelle, ließ den Sand kurz aufblitzen, ein Schauspiel, das sogleich wieder erlosch. Es blieben einzelne Sandkörner, die sich über den Boden ausbreiteten. Würde auch sein Wirken im Staub der Geschichte verschwinden? Er gab sich einen Ruck. Jetzt war keine Zeit für Sentimentalitäten. Hastig raffte er die losen Pergamente zusammen. »Hier, guter Goswin. Schaffe sie fort, schnell. Der werte Herr Tauler wird wissen, wie es zu verbergen ist.« Mehr zu sich selbst murmelte er: »Hoffe ich zumindest.« Von unten waren aufgeregte Stimmen zu hören. Sie waren da. Daran gab es keinen Zweifel mehr. »Schnell, Goswin. Hinten raus!« Goswin konnte zwar weder lesen noch schreiben, aber er hatte schon oft bewiesen, dass er der Richtige für solche Aufgaben war. Mit einem Sprung war er bei der zweiten Tür und rannte mit einer Behändigkeit die Hintertreppe hinunter, die bei seinem Gewicht niemand vermutet hätte. Eckhart atmete durch und stützte sich auf das hohe Schreibpult. Er konnte nur hoffen und beten, dass sie niemanden an der Hintertür postiert hatten und Goswin mit den Schriften entkommen konnte. Er schüttelte seinen Kopf. In was war er da bloß hineingeraten? Sein alter Lehrmeister in Erfurt hatte einst gesagt: »Ein Gedanke langt aus, die ganze Welt zu verändern.« In diesem Fall wehrte sich die Welt allerdings gegen die Veränderung, und zwar mit Krallen und Klauen. Es klopfte an der offenen Tür. Die heilige Inquisition war da. Erfurt, Frühjahr 1272 Das Leben ist ein beständiges Geheimnis. Wir leben es so dahin, atmen, lachen, weinen, tanzen und lieben, und wie selten sind wir uns bewusst, dass wir ein Wunder erleben. Von Zeit zu Zeit streift uns ein Gedanke, so fein wie ein Schmetterlingshauch, und trägt uns das Geheimnis dieses Wunders offen ans Tageslicht. Wenn ein solcher Gedanke erst einmal einen Menschen berührt, dieser in seinem Bewusstsein erdacht und erfühlt wird, dann ist er in der Lage, die ganze Welt zu verändern. Keiner weiß, woher diese Gedanken kommen und wohin sie gehen. Sie begegnen uns von Zeit zu Zeit, sind aber scheuen Geistern gleich und lassen sich nur schwerlich finden. Sie sind wie Schätze, die sich verbergen, umso mehr wir uns aufmachen, nach ihnen zu suchen. Einst war ein junger Mann auf der Suche nach genau solch einem Gedanken. Sein Name war Eckhart. Als er damals, gerade zwölf Jahre alt, vor dem Klostertor in Erfurt stand, die starke Hand seines Vaters auf den Schultern, ahnte er von alledem noch nichts. Es hatte gerade zu regnen begonnen. Dicke Tropfen fielen aus der Wolkendecke und tanzten auf der Straße. Der Wind pfiff durch die Gassen und zerrte an ihren Überhängen aus Wolle. Eckharts Vater klopfte noch einmal gegen die große Eichentür, die in der Mauer eingelassen war. Auf dem nassen Holz war das Bild eines Hundes zu erkennen, der eine Fackel im Maul trug - das Zeichen der Dominikaner. Eckharts Beine schlotterten und er wäre am liebsten geflohen, flinker als ein gejagtes Wiesel. Zurück über den Platz mit den beiden mächtigen Kirchen Sankt Severi und Sankt Marien, weiter am Petersberg entlang zum Lauentor, hinaus auf die Via Regia, die Königsstraße. Von dort waren sie gekommen. Noch am Morgen hatte alles anders ausgesehen. Sein Heimatort lag einen strammen Tagesmarsch entfernt von der wachsenden Stadt, die Eckhart so verheißungsvoll erschienen war, ein wahrhaftiges Zentrum der Bildung und des Wissens. Sie hatten den ganzen Weg über die bedeutsame Handelstrasse zurückgelegt, Eckhart hatte die wogenden Färberwaidfelder bewundert, die sich in einem leuchtenden Gelb von dem stahlblauen Regenhimmel abhoben. Wie ein Wellenmeer verneigten sich die Sträucher unter dem aufkommenden Wind, ein Wind, der den Duft nach Regen bereits mit sich trug. Sein Vater hatte ihm noch erklärt, dass diese unscheinbare Pflanze, welche die Gelehrten Isatis tinctoria nannten, ein wundervolles Indigoblau zaubern konnte und den Wohlstand der Stadt Erfurt mitbegründete. Und dann hatte er die eindrucksvolle Stadtmauer mit den wehrhaften Türmen gesehen, die Hütten, Häuser und Kirchen, die sich bereits vor den Stadtmauern ausbreiteten. Dass sein Vater meinte, Erfurt floriere derart, dass sie bald eine neue Stadtmauer ziehen müssten, hatte er kaum noch gehört. Er war zu nervös gewesen. Zum ersten Mal waren ihm Zweifel gekommen. Wollte er tatsächlich weg von zu Hause? Für immer? Sie waren an der eingerüsteten Severikirche vorbei gekommen, die gerade renoviert und ausgebessert wurde. Spätestens hier war ihm ernsthaft übel geworden. Nun stand er hier. Vor der Klosterpforte. Nein. Doch lieber nicht. Er wollte nicht mehr hinter diese Tür....