Beschreibung
Lenka Reinerová war die letzte lebende Kronzeugin der Prager deutschsprachigen Literatur aus der Generation Franz Kafka, Max Brod, Egon Erwin Kisch. Sie war Tschechin, Deutsche, Jüdin und bekennende Europäerin in einer Person, mit einem unerschütterlichen Glauben an das Gute, an die Gleichheit und die Gerechtigkeit. Sie hat die letzten Tage Habsburgs erlebt, Masaryks Erste Republik, die deutsche Besatzung, die erstarrten Jahre im Kommunismus und das Scheitern des 'Prager Frühlings', die samtene Revolution und heute den von ihr nicht gerade geliebten Kapitalismus. Der Radiojournalist Norbert Schreiber (Hessischer Rundfunk) besuchte die Literatin, die in den kulturellen Zirkeln der 20er und 30er Jahre in Prag ein und aus ging, von den Nazis und Kommunisten verfolgt, als Exilantin eine Irrfahrt rund um Welt erlebte. Lenka Reinerovä starb am 27. Juni 2008 im Alter von 92 Jahren in Prag. Mit ihrem Tod ist diese Epoche der 20er und 30er Jahre in Prag aus dem Leben in die Bücher versunken. Ihre Stimme erklingt im 'Prager Deutsch' Ein letztes Dokument aus einer untergegangenen Welt. Lenka Reinerová, die Grande Dame der Prager deutschsprachigen Literatur, ist im Alter von 92 Jahren verstorben. Nach einem bewegten Leben, als Exilantin ständig auf der Flucht, hat die Autorin auch internationale Anerkennung erhalten. Lenka Reinerová ist im Prag der 30er Jahre aufgewachsen. Das multikulturelle Prag des deutschen, jüdischen und tschechischen Zusammenlebens hat sie geprägt. Am 17. Mai 1916 wurde Lenka Reinerová in Prag geboren. Als Journalistin kam sie mit den Vertretern der deutschen Emigration in Kontakt, vor allem mit ihrem Freund und Mentor Egon Erwin Kisch, bevor sie selbst verfolgt wurde und emigrierte. Ihre Fluchtwege führten über Frankreich, Marokko nach Mexiko. Sie verlor ihre gesamte Familie, die den Holocaust nicht überlebte. Eine Warnung ihrer Schwester hatte sie davon abgehalten, ins Nazi-Deutschland von einem Auslandsaufenthalt zurückzukehren. Reinerová wurde nach dem Krieg auch Opfer der kommunistischen Säuberungen und verbrachte ein Jahr im Gefängnis. Norbert Schreiber traf die Schriftstellerin in ihrer Prager Wohnung zum hr2-Kultur Doppelkopfgespräch kurze Zeit bevor sie nach langjähriger Krankheit verstarb. Ihr gesamtes Leben lag ihr das deutsch-tschechische Verhältnis am Herzen und das von ihr gegründete Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Lesen und hören. Einsam und doch gemeinsam. Eine Verbindung, die die Tonalitat der Sprache zum Klingen bringt und die uns in gedruckter Form beim Lesen die Möglichkeit gibt, die Entwicklung des Gedankens in all seiner Zerbrechlichkeit nachzuzeichnen, dem Sich - Hintasten zu folgen, alle Seiten der Unsicherheit zu spüren, und dem Lesenden das Zugeneigtsein - zum Gedanken, zum Autor, zur Autorin, zum Thema - finden lasst. Die Idee kam von Norbert Scheiber vom Hessischen Rundfunk. Man müsse sehen, wie die vielen Geäprache, die von ihm und seiner Kollegenschaft im Laufe der Jahrzehnte geführt wurden, für die Leserschaft nutzbar gemacht werden. Wie macht man eine CD, die man gut lesen kann, und wie macht man ein Buch, das man gut hören kann? Es folgten viele Gespräche und Abwägungen. Viele sinnvolle und zu verwerfende Gedanken wurden gewälzt und nicht zuletzt viele Versuche in der Buchbinderei gemacht, bis die richtige Form der Umsetzung gefunden war. GEHÖRT GELESEN ward geboren. Ein Buch mit doppeltem Umschlag, wo sich im aufklappbaren und doch nicht flattrigen Schutzumschlag die CD zum Herausnehmen und Hören befindet und das sich von aussen doch nicht von einem Buch unterscheidet. Nun liegt der zweite Band der neuen Reihe GEHÖRT GELESEN im Wieser Verlag vor.
Autorenportrait
Norbert Schreiber, langjahriger Horfunkjournalist der ARD, ist im Programmbereich Kultur, Bildung, Wissenschaft des Hessischen Rundfunks tätig. Er moderiert unter anderem die Talksendung 'Doppelkopf'. Als Initiator der Tschernobyl-Hilfsbewegung erhielt er den Robert-Bosch-Preis für ehrenamtliches Engagement in Osteuropa. Buchveröffentlichungen u. a. Verstrahlt-vergiftet-vergessen. Die Folgen von Tschernobyl (Insel), Die Zukunft unserer Demokratie (dtv), Zuletzt bei Wieser: Anna Politkowskaja, Chronik eines angekündigten Mordes, Russland, Der kaukasische Teufelskreis, Europa Erlesen Böhmerwald herausgegeben mit Lojze Wieser
Leseprobe
Auszug aus dem Einleitungstext Eine Haushälterin empfängt freundlich auf tschechisch und bittet mich in das Wohn-Arbeitszimmer. Die Grande Dame der deutschsprachigen Literatur in Prag begrüsst mich sehr herzlich, ihre munteren Augen verraten, daß sie sich freut auf ein Gespräch mit einem Deutschen aus Frankfurt am Main - trotz ihrer körperlichen Beschwernisse durch die langjährige Krebskrankheit und Chemothearpie. Sie trinkt einen Tee und bietet mir etwas zu trinken an. Sie sitzt etwas versunken in ihrem kleinen Sesselchen und blickt auffordernd zu mir auf: Lass uns beginnen, scheint sie zu signalisieren und beginnt schon selbst mich auszufragen, wer ich bin, was ich tue, woher ich komme, sie stellt die W-Fragen der Journalisten, was das Interview soll, wo es gesendet wird, was ich vom deutsch-tschechischen Verhältnis halte, wie es denn ankomme, daß sie nun die Ehre hat, vom deutschen Parlament zum Gedenktag der nationalsozialistischen Opfer etwas äussern zu dürfen. Sie stellt die Fragen so, als müsste sie selbst noch etwas über unsere Begegnung schreiben. Derweil habe ich ein schlechtes Gewissen, daß ich ihr vielleicht ein zu langes Gespräch zumuten werde, aber auf die Frage kurzes oder langes Interview, hat sie selbst entschieden und wie selbstverständlich, nachdrücklich betont: Wir haben Zeit. Ein Tag nach unserem Interview wird die Schauspielerin Angela Winkler ihre Rede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag verlesen und sie wird es nur im Fernsehen anschauen können, wenn ihre Rede von jemand anderem verlesen wird, das deutsche Volk wird Lenka Reinerová nicht mehr hören können, ihr Gesundheitszustand bindet sie an ihr Zuhause. Aber ich werde sie gleich hören können, ihre Stimme einer untergegangenen Welt für mich ganz allein, für einen einzelnen Deutschen der sie besucht, wird sie erklingen in ihrem: Prager Deutsch. Auszug aus dem Interview Es gibt einen Kafka-Spruch über Sie, und der stammt vom Verleger Klaus Wagenbach, der besagt: Wenn man hören will, wie Kafka gesprochen hat, dann muss man nur der Reinerová zuhören, denn sie spricht Prager Deutsch. Eben, genau, das ist mein Prager Deutsch, und ich wurde schon unendlich oft gefragt, was das eigentlich sei, das Prager Deutsch. Es ist kein Dialekt, es ist meiner Meinung nach eine besondere und ein bisschen eigenwillige Art vielleicht des Deutschen, der deutschen Sprache. Zweifellos beeinflusst durch die geographische Lage. Darin sind österreichische Einflüsse. Für mich, ich bin ja kein Wissenschaftler, ist das Prager Deutsch weicher und - wenn ich so sagen darf - ein bisschen schlampiger als das deutsche Deutsch. Das deutsche Deutsch ist exakt, sehr präzis, und wir sind, das kommt vielleicht vom Tschechischen wieder, wir sind etwas lockerer. Ich höre diesen Unterschied. Aber dass ich als geborene Pragerin, als eine in dieser Stadt aufgewachsene Person, Prager Deutsch schreibe, kommt mir ganz natürlich vor. das ist eben diese Art, das wirkliche Leben darzustellen. Das ist alles. Lenka Reinerová