Beschreibung
Ein bewegendes Plädoyer für die Kunst des Reisens
Sue Monk Kidd hat mit ihren Romanen Die Bienenhüterin und Die Meerfrau Millionen Leser weltweit begeistert. Mit Granatapfeljahre legt sie ihr bislang persönlichstes Buch vor. Gemeinsam mit ihrer Tochter Ann erzählt sie von ihren inspirierenden Reisen durch Griechenland. Sue steckte in einer Krise: Sie hatte Probleme mit dem Älterwerden, fühlte sich ausgelaugt. Und auch Ann, gerade frisch von ihrem Freund getrennt, den College-Abschluss in der Tasche, wollte ihr Leben neu ausrichten. Gemeinsam brachen die beiden Frauen auf in das Land der Granatäpfel einer Frucht, die seit jeher für Leben und Fruchtbarkeit steht. Dieses Buch ist mehr als ein Reisebericht: Es ist eine Suche nach dem Glück, ein Plädoyer für die Weiblichkeit, das Zeugnis einer tiefen Mutter-Tochter-Verbindung. Es gibt uns ein Rezept an die Hand, wie wir den Weg zu uns selbst am besten beschreiten. Es handelt vom Glück, unterwegs zu sein.
Autorenportrait
Sue Monk Kidd hatte sich in den USA bereits mit dem Schreiben von Biografien einen Namen gemacht, ehe "Die Bienenhüterin" erst zum Geheimtipp, dann zum großen internationalen Bestseller wurde, der sich allein in den USA über 6 Millionen Mal verkaufte und in England für den renommierten Orange Prize nominiert war. Auch "Die Meerfrau" stand monatelang auf den Bestsellerlisten. Ihr lange erwarteter neuer Roman "Die Erfindung der Flügel" sorgte in den USA gleich nach Erscheinen für großes Aufsehen und stieg auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste ein. Die Filmrechte hat sich Oprah Winfrey gesichert. Sue Monk Kidd lebt mit ihrer Familie in South Carolina.
Leseprobe
Archäologisches Nationalmuseum, Athen
Im Sommer 1998 sitze ich auf einer Bank des Archäologischen Nationalmuseums in Griechenland und beobachte, wie meine zweiundzwanzigjährige Tochter Ann ihre Kamera auf ein marmornes Flachrelief richtet, das Demeter und Persephone zeigt. Ihr ist nicht bewusst, dass sie dabei eine kleine Ballettchoreographie absolviert: langsame, präzise Schritte nach vorn, den Kopf geneigt, dann lässt sie sich auf ein Knie nieder, dreht den Oberkörper und lehnt sich dabei in das grelle Nachmittagslicht. Die Szene rührt etwas in mir auf, eine Erinnerung vielleicht, doch ich könnte nicht sagen, woran. Ich weiß nur, dass Ann schön und unfassbar erwachsen aussieht und dass mich aus unerfindlichen Gründen ein heftiges Gefühl von Verlust erfasst.
In ein paar Tagen feiere ich meinen fünfzigsten Geburtstag. Ann und ich befinden uns erst seit siebenundzwanzig Stunden in Athen, und den Großteil dieser Zeit lag ich wach in meinem Bett im Hotel Grand Bretagne und wartete sehnsüchtig auf den Tagesanbruch. Ich sage mir, dass das Gefühl des Verlusts, das mich gepackt hat, nichts zu bedeuten hat - dass mir bloß der Jetlag zu schaffen macht, sonst nichts -, aber sonderlich überzeugt davon bin ich nicht.
Ich schließe die Augen, und selbst im Getümmel dieses Museums mit seinen mindestens zwanzig Touristen pro Quadratmeter ist mir klar, dass diese Empfindung in Wahrheit alles bedeutet. Es ist der unausgesprochene Grund dafür, dass ich mit meiner Tochter ans andere Ende der Welt gereist bin. Ich habe nämlich das unerklärliche Gefühl, sie verloren zu haben - weil sie erwachsen ist, eine Fremde. Und ich vermisse sie so sehr, dass es fast körperlich schmerzt.
Ursprünglich war unsere Reise nach Griechenland als Geburtstagsgeschenk an mich selbst und als Geschenk für Ann zum College-Abschluss gedacht. Ich war ein halbes Jahr zuvor auf diese extravagante Idee verfallen, als die Tatsache, dass ich bald mein fünfzigstes Lebensjahr vollenden würde, immer deutlicher in mein Bewusstsein drang und ich zum ersten Mal eine Vorahnung vom Ende eines Lebensabschnitts hatte.
Damals stand ich häufig vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete mit dem wachsamen Blick eines Seismologen, der die Verschiebung tektonischer Platten beobachtet, jede neue Falte, jeden Millimeter schlaffer Haut um Augen und Mund. Ich durchforstete Fotoalben, suchte nach Aufnahmen von meiner Mutter und meiner Großmutter, als sie um die fünfzig waren, erforschte ihre Gesichter und verglich sie mit meinem.
Das ist doch unter meiner Würde. Ich konnte unmöglich eine von diesen Frauen sein, die sich krampfhaft an die Fassade eines jugendlichen Aussehens klammern. Mir war unbegreiflich, weshalb ich auf die Aussicht des Älterwerdens mit derartiger Oberflächlichkeit und Angst reagierte. Ich wusste lediglich, dass es um mehr gehen musste als um die Spuren der Zeit auf meiner Haut. Fing ich nun etwa an, eitel zu werden, oder war ich so auf mein Gesicht fixiert, um mich nicht mit meiner Seele auseinandersetzen zu müssen? Außerdem schien es in jedem Raum, in dem ich mich befand, unnatürlich heiß zu sein. Nachts schleppte ich mich durch lange Perioden der Schlaflosigkeit. Mein neunundvierzig Jahre alter Körper legte ein unberechenbares, rebellisches Verhalten an den Tag.
Dies waren nicht die einzigen Hinweise darauf, dass ich im Begriff war, in unbekannte Sphären aufzubrechen. Während ich die Veränderungen an meinem Spiegelbild verfolgte, überkam mich das unbändige Bedürfnis, meine vertraute Welt - eine Kleinstadt im nördlichen South Carolina, in der wir zweiundzwanzig Jahre gelebt hatten - zu verlassen und in eine fremde Umgebung zu ziehen. Ich hatte eine Vision von einem abgeschiedenen, unkultivierten Stück Land irgendwo am Wasser. Ruhe, Sumpfgras und Gezeiten. In einem Anfall von Beherztheit oder Tollkühnheit, vielleicht war es auch eine perfekte Mischung aus beidem, verkauften mein Mann Sandy und ich unser Haus und zogen nach Charleston, wo wir fortan in äußerst beengten Verhältnis die zu einem Flecken unbebauten Landes in einem Salzwiesengebiet führte. Bei einem »Zu verkaufen«-Schild hielt ich den Wagen an, stieg aus und ließ den Blick über die weite Fläche schweifen. Zwischen dem Schlickgras schlängelte sich ein Gezeitenfluss dahin. Es war gerade Ebbe. Austern glitzerten auf dem lehmigen Watt, Reiher senkten sich wie Dunstwolken hinab. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Ich gehöre hierher. Vielleicht würde meine Kreativität ja aufschnappen wie eine dieser Austern, wenn ich hier lebte, oder über mich hinwegspülen wie die schäumende, nährende Flut.
In solchen Augenblicken wurde meine Sehnsucht, etwas Neues hervorzubringen, einer frischen Stimme aus meinem Inneren Ausdruck zu verleihen, geradezu überwältigend.
Ich rief Sandy an. »Ich stehe auf dem Stück Land, auf dem wir leben müssen.«
Ich war ihm unendlich dankbar dafür, dass er nicht sagte: »Meinst du nicht, ich sollte es mir erst einmal ansehen?« oder: »Was soll das heißen, du weißt nicht, was es kostet?« Er hörte den Hunger und die Überzeugung in meiner Stimme. Er schwieg eine ganze Weile, dann sagte er: »Nun, gut, wenn es unbedingt sein muss.«
Später erstand ich in einem Kaufhaus ein rotes, in Leder gebundenes Tagebuch. Mit dem leeren, jungfräulichen Tagebuch begab ich mich zu dem Grundstück, auf dem wir unser Haus bauen wollten. Die Arbeiten hatten noch nicht begonnen, erst in ein paar Monaten würde es so weit sein.
Leseprobe
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