Beschreibung
Geldordnungen und Geldkrisen sowie ihre sozialen Grundlagen stehen in diesem Band im Zentrum: Die Autoren beleuchten Geld und Geldkrisen in der Geschichte, in der soziologischen Theorie, in Bezug auf die Eurokrise und schließlich mit Blick auf die Zukunft des Geldes einschließlich alternativer Geldmodelle. Mit Beiträgen von Florian Brugger, Christoph Deutschmann, Heiner Ganßmann, Joseph Huber, Klaus Kraemer, Sebastian Nessel, Michael North, Christian Postberg, Jenny Preunkert, Manfred Prisching und Georg Vobruba.
Autorenportrait
Klaus Kraemer ist Universitätsprofessor für Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Graz. Sebastian Nessel ist dort Universitätsassistent. 2012 gaben sie das Buch 'Entfesselte Finanzmärkte. Soziologische Analysen des modernen Kapitalismus' heraus.
Leseprobe
Einleitung - Geld, Krise und soziale Ordnung: Ein problemorientierter Aufriss Klaus Kraemer und Sebastian Nessel Was ist Geld? Was zeichnet eine Geldkrise aus? Welche Bedeutung hat Geld für soziale Ordnungen? Wie wirkt sich eine Geldkrise auf soziale Ordnungen aus? In ökonomisch stabilen Zeiten werden derartige Fragen kaum aufgeworfen. Allzu sehr scheint der Gebrauch von Geld eine selbstverständliche Angelegenheit zu sein. Das kann kaum verwundern: In komplexen, arbeitsteilig ausdifferenzierten Gesellschaften sind nämlich ausnahmslos alle Individuen und Organisationen darauf angewiesen, dass die Verwendung von Geld reibungslos "funktioniert". Selbst die Frage nach der "Werthaltigkeit" des Geldes bleibt vielfach unhinterfragt. Erst in Krisenzeiten wird die Selbstverständlichkeit des Geldgebrauchs brüchig. Die globale Finanzkrise von 2008, ausgelöst durch die Immobilienkrise in den USA von 2007, sowie die "Eurokrise" seit 2010 haben die fragile Natur von Geld und Kredit wieder sichtbar gemacht. In Zeiten solcher Krisen breiten sich dann in weiten Teilen der Bevölkerung massive Verunsicherungen darüber aus, was das Geld eigentlich noch wert ist und ob dem Bankensystem und den Institutionen der Geldordnung überhaupt zu trauen ist. Die Reaktionsweisen in der Bevölkerung fallen hierbei sehr unterschiedlich aus: So schwoll in den Monaten nach dem Untergang der Investmentbank Lehman Brothers 2008 die Nachfrage nach Bargeld sowohl in den USA als auch in den Euroländern um das Vier- bis Sechsfache des sonst üblichen Umfangs an (Board of the Federal Reserve 2013, Deutsche Bundesbank 2013). Mit dem Ausbruch der Eurokrise 2010 stieg die Nachfrage nach 100-Dollar-Noten signifikant an. Auch wurde Bargeld in Europa verstärkt gehortet. Seitdem kann auch eine ungewöhnlich hohe Nachfrage nach Tresoren, hochklassigen Immobilien und anderen Sachwerten sowie - je nach Krisenphase - eine Flucht in Fremdwährungen beobachtet werden (FAZ vom 27.8.2012 und 9.4.2013). Die Unsicherheit im Umgang mit Geld zeigt sich empirisch auf unterschiedlichste Weise, sogar in teils widersprüchlichen Bewältigungsstrategien. Die einen Geldbesitzer horten 500-Euro-Scheine im heimischen Tresor, oder sie holen ihr Geld vom Konto und hinterlegen es im Schließfach der Bank. Die anderen kaufen Fremdwährungen oder Aktien von "substanzhaltigen" Unternehmen. Und wiederum andere tauschen Geld gegen Immobilien ein. Derartige Verhaltensweisen werfen die Frage nach dem Zusammenhang von Geld, Krise und sozialer Ordnung neu auf. Zwar sind in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen von Ökonomen, Politikwissenschaftlern und auch Soziologen zu den Ursachen und Folgen der Finanz- und der Eurokrise vorgelegt worden. Die sozialen Grundlagen monetärer Ordnungen sind bislang jedoch nur unzureichend erforscht worden. Dies gilt insbesondere für die Frage nach den makro- und mikrosoziologischen Voraussetzungen und Folgen von Geld-, Finanz- und Kreditkrisen. Die Finanzkrise von 2008 und dann die Eurokrise seit 2010 eröffnen jedenfalls eine keineswegs alltägliche Gelegenheit, dem Verhältnis von Geld und Kredit, Vertrauen und Misstrauen in die monetäre Ordnung auf den soziologischen Grund zu gehen. In diesem einführenden Beitrag beleuchten wir einige, uns besonders wichtig erscheinende Fragen zum Verhältnis von Geld, Krise und sozialer Ordnung. Zunächst rekapitulieren wir in aller Kürze zwei klassische ökonomische Geldtheorien und befragen diese nach ihrem Ertrag für eine soziologische Analyse der sozialen Grundlagen monetärer Ordnungen (1.). Hieran anschließend sichten wir ausgewählte neuere Beiträge der soziologischen Geldforschung (2.). Sodann beschreiben wir die sozialen Erwartungs- und Beziehungskonstellationen von Geld- und Kreditbeziehungen (3.). Auf dieser Grundlage unterscheiden wir zwischen Krisen in Geldbeziehungen und Krisen in Kreditbeziehungen und skizzieren abschließend am Beispiel der "Eurokrise" die Auswirkungen von Kreditgeldkrisen zwischen privaten Gläubigern und staatlichen Schuldnern auf die soziale Ordnung (4.). 1. Ökonomische Geldtheorien Die Frage, was genau unter Geld zu verstehen ist, wird in Ökonomie und Soziologie kontrovers diskutiert. Ökonomen verbinden diese Frage vielfach mit einer weiteren nach der Geldentstehung. Grundsätzlich werden Tauschtheorien von Kredit- bzw. Staatstheorien des Geldes unterschieden (vgl. den Beitrag von Brugger in diesem Band). Erstere fassen Geld als Warengeld auf, Letztere als Kreditgeld. In der unter Ökonomen vorherrschenden, auf Carl Menger (1900) und Ludwig von Mises (1924 [1912]) zurückgehenden Tauschtheorie des Geldes wird argumentiert, dass der Tausch von Gütern über Märkte der Geldentstehung vorausgegangen sei. Geld entsteht in dieser Perspektive aus dem Bedürfnis wirtschaftlicher Akteure nach einer allgemeinen Ware, mit der alle anderen Güter ausgedrückt und in ein quantitatives Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Die Verständigung der Akteure auf ein allgemein akzeptiertes Tauschmittel gleich welcher Form - historisch zunächst Güter wie Salz und Metalle wie Gold und Silber - wird auf gleichgerichtete Dispositionen zum wirtschaftlichen Tausch über Märkte und der dadurch erhofften ökonomischen "Effizienz" zurückgeführt. Den historisch langwierigen Prozess der Ausbreitung eines zunächst lokalen Geldgebrauchs zu einem gesellschaftsweiten, allgemeinen Zahlungssystem hat Menger bekanntlich "von unten" her beschrieben, das heißt aus der sachlichen Notwendigkeit individueller Wirtschaftsakteure, in einer sich arbeitsteilig entwickelnden Gesellschaft Güter nur auf Märkten kaufen und verkaufen zu können. Die Diffusion eines allgemeinen Tauschmittels ist für Menger (1900: 65ff.) gleichwohl nur durch Gewohnheitshandeln und Nachahmung möglich. Grundlegend für die tauschtheoretische Erklärung von Geld ist die Annahme, den Wert von Geld über Güterrelationen zu bestimmen: Geld ist, was Geld ausdrückt. Konsequenterweise wird Geld als "neutral" aufgefasst, da es selbst keinen Wert hat, sondern lediglich Güterrelationen abbildet (kritisch zur Neutralitätsthese vgl. Riese 1995; Ingham 2004; Ganßmann 2013). Die Entstehung von Krediten setzt in diesem Ansatz immer schon Geld voraus (all credit is money). In Abgrenzung zu dieser Erklärung von Geld als Tauschmittel (medium of exchange), das Güterwerte lediglich neutral zum Ausdruck bringt, hat Georg Friedrich Knapp eine Staatliche Theorie des Geldes (1905) formuliert und damit den Grundstein für "chartalistische" Geldtheorien gelegt, die Geld zuvorderst als gesetzliches Zahlungsmittel fassen (medium of account) und als "Geschöpf der Rechtsordnung" (ebd.: 1) deuten (vgl. Ingham 2004: 47f.; Wray 2014). Damit beschreiben chartalistische Ansätze Geld nicht als reines Tauschmittel, das gewissermaßen "technisch" den Gütertausch ermöglicht, sondern als Zahlungsmittel bzw. als Schuldverschreibung, die erst in der Zukunft eingelöst werden kann. Ihre zukünftige Einlösbarkeit kann nur durch eine legitime staatliche Ordnung aufrechterhalten werden. Anstatt den Wert des Geldes auf zugrundeliegende Güterquantitäten zu beziehen, wird damit die Nominalität des Geldes bzw. Geldwertes hervorgehoben. Aus dieser Perspektive ist Geld nichts als ein Kredit (all money is credit). Mit der Vergabe eines Kredits werden Zahlungsansprüche und -verpflichtungen zwischen Gläubigern und Schuldnern vereinbart. Ob die Forderungen eines Gläubigers erfüllt werden und der Schuldner seinen Verpflichtungen auch tatsächlich nachkommt, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Aufgrund dieser irreduziblen Ungewissheit ist für Knapp eine dritte Instanz unverzichtbar, namentlich eine staatliche Ordnung, die die Einklagbarkeit der mit der Vergabe eines Kredits verbundenen Rechte und Pflichten garantiert. Folgt man Knapp, dann steht und fällt die Verwendbarkeit von Geld als gesetzliches Zahlungsmittel mit der Legitimität der staatlichen Ordnung. Nur solange die Akteure begründet annehmen können, dass ihre Kontrakte durch staatliches R...
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