Finanzmarktkapitalismus?

Der Einfluss von Finanzialisierung auf Arbeit, Wachstum und Innovation, International, International Labour Studies 8

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593501741
Sprache: Deutsch
Umfang: 412 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 21.5 x 14.2 cm
Auflage: 1. Auflage 2017
Einband: Paperback

Beschreibung

'Finanzmarktkapitalismus' fungiert als Chiffre für tief greifende Veränderungen in Wirtschaft, Unternehmen und Arbeitswelt. Mit dem Fokus auf Wachstum und Innovation werden in diesem Buch kontroverse theoretische Positionen und empirische Befunde in Bezug gesetzt, um die Debatte über das Zusammenspiel von Finanzmärkten, Finanzmarktakteuren, Unternehmen und Arbeitswelt voranzubringen.

Autorenportrait

Michael Faust, Diplom-Volkswirt und Soziologe, ist wiss. Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) Göttingen und Privatdozent an der Universität Göttingen. Jürgen Kädtler ist geschäftsführender Direktor des SOFI sowie Professor für Soziologie an der Universität Göttingen. Harald Wolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOFI und Privatdozent an der Universität Kassel.

Leseprobe

Vorwort Dieses Buch hat eine längere Vorgeschichte. Der entscheidende Auslöser für das Buchprojekt war die Tagung "Finanzmarktkapitalismus - Arbeit - Innovation", die das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) am 11. und 12. März 2013 im Rahmen seiner Jahrestagungen "SOFI - Work in Progress" in Göttingen veranstaltete. Eine wesentliche Grundlage bildete zudem das von der Hans-Böckler-Stiftung am SOFI geförderte Forschungsprojekt "Finanzmarktorientierung und Mitbestimmung", auf dessen Ergebnisse sich die Herausgeber bei der Konzipierung und Strukturierung der Tagung stützen konnten. Das Buchprojekt nahm den Impetus der Tagung auf, um ihn durch die Ausarbeitung von Diskussionsbeiträgen fruchtbar zu machen und das Konzipieren neuer Beiträge weiterzuentwickeln. Ziel war es, nicht eine weitere Aneinanderreihung thematisch lose verbundener Einzeltexte zum Thema zu präsentieren, die mit gleichem Ertrag auch in beliebiger anderer Kombination stehen könnten. Angestrebt haben wir vielmehr, die unterschiedlichen, in wichtigen Punkten kontroversen Ansätze und Deutungen der aktuellen und absehbaren Rolle von Finanzmärkten und Finanzmarktorientierung(en) im Rahmen der aktuellen und absehbaren kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung miteinander ins Gespräch zu bringen - fokussiert auf die Frage nach Arbeit und Innovation jenseits der Finanzsphäre. Nicht Klärung von Fronten, sondern Lernen aus Kontoversen sollte im Mittelpunkt einer gemeinsamen Anstrengung von AutorInnen und Herausgebern stehen. Ob und in wieweit das gelungen ist, müssen letztlich die LeserInnen des vorliegenden Ergebnisses entscheiden. An den Herausgebern ist es zunächst einmal, zu danken. Dieser Dank gilt an erster Stelle den AutorInnen, die sich im Rahmen des langwierigen Prozesses der aufeinander abgestimmten Konzeption, Erstellung, Diskussion und Überarbeitung ihrer Beiträge bereitwillig und engagiert auf das diskursive Projekt eingelassen haben. Dank gilt darüber hinaus den Institutionen und Förderern, ohne die das Projekt nicht hätte angegangen und realisiert werden können: dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, das Tagung und Publikation im Rahmen seines Programms "ProNiedersachsen" bezuschusst hat; der Hans-Böckler-Stiftung, die das zugrunde liegende Projekt am SOFI materiell und durch inhaltliche Begleitung gefördert hat und hier insbesondere dem zuständigen Referenten Dr. Stefan Lücking für sein großes inhaltliches Engagement und seine fast noch größere Langmut angesichts immer wieder revidierter Endtermine; schließlich Frau Dr. Wilke-Primavesi vom Campus-Verlag, die sich für das Buch eingesetzt hat und der wir ebenfalls allerhand an Terminrevisionen zugemutet haben. Herzlichen Dank dafür. Unser ganz besonderer Dank gilt jenen unsichtbaren Händen und Köpfen, ohne die gar nichts ginge und ohne die auch dieses Buch - wie viele andere Publikationen - nie zustande gekommen wäre, die aber in keinem Inhaltsverzeichnis auftauchen. Namentlich genannt sei hier zum einen Lukas Thamm, der weit über seine Ko-Autorenschaft hinaus mit der Übersetzung des Aufsatzes von William Lazonick, dem Lektorieren von Beiträgen, der Erstellung von Literaturlisten usw. maßgeblich zur Fertigstellung des Buches beigetragen hat. Und dieser besondere Dank gilt zum andern - wie schon so oft - Erika Beller, die mit großer Kompetenz unter widrigen Verhältnissen die Druckvorlage erstellt und damit einen der härtesten Jobs im Rahmen dieses Buchprojekts bewältigt hat - und die trotzdem noch freundlich mit den Herausgebern spricht. Göttingen, im September 2016 Michael Faust, Jürgen Kädtler, Harald Wolf Finanzmarktkapitalismus? Problemaufriss und Einführung Michael Faust, Jürgen Kädtler, Harald Wolf 1. Finanzialisierung: Ein Epochenphänomen? Leben, wirtschaften und arbeiten wir gegenwärtig im "Finanzmarktkapitalismus"? In den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es die ersten Aufsehen erregenden Meldungen, die eine solche neue Lage anzuzeigen schienen. Da war zu lesen, dass gestandene Topmanager deutscher Traditionsunternehmen auf bisher unbekanntem Terrain Londoner Investorenkonferenzen von jungen MBA-Absolventen "gegrillt" wurden. Jürgen Schrempp, später "Mister Shareholder Value" genannt, folgte bei Daimler-Benz Edzard Reuter und erfüllte prompt die Forderungen der Investoren und Analysten, vom "integrierten Technologiekonzern" seines Vorgängers Abschied zu nehmen und sich auf das "Kerngeschäft" Automobil zu konzentrieren. Mit der anfangs viel gepriesenen "Hochzeit im Himmel" mit dem drittgrößten amerikanischen Automobilunternehmen Chrysler stiegen auch die Möglichkeiten für CEOs (wie die bisherigen Vorstandsvorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstands nunmehr auch im deutschen Sprachraum oft schon genannt wurden), exorbitante Gehaltsteigerungen, namentlich durch Aktienoptionsprogramme zu erzielen, die mit dem KonTraG von 1998 nun auch in Deutschland erlaubt wurden. Jürgen Schrempp war auch hier der Vorreiter, der durch die Fusion in "himmlische" Einkommenshöhen aufstieg. Wie man ein börsennotiertes Unternehmen angesichts der "neuen Eigentümer" zu führen habe und wie man es "unternehmenswert" macht, verkündeten nach Alfred Rappaport (auf Deutsch erstmals 1994 erschienen), dem ersten Hohepriester des "Shareholder Value", bald alle namhaften international tätigen Unternehmensberatungen (Froud u.a. 2006), die auch in Deutschland ein neues Betätigungsfeld hierfür fanden. Aber auch für den "Mann auf der Straße" schienen sich die Zeiten zu ändern. Nicht nur dass nun täglich auf allen Nachrichtenkanälen die Börsenkurse als Ticker mitliefen und Börsensendungen (bis heute: Börse vor acht) eingeführt wurden, an der Börse mitzumischen schien auch ein für jedermann gangbarer Weg zu schnellem Reichtum. Zeitgenossen erinnern sich noch an Freunde, die sich plötzlich teure Fernreisen leisten konnten, weil sie (im Nachhinein betrachtet rechtzeitig) ein paar Aktien vormals unbekannter "new economy"-Unternehmen wieder losgeschlagen hatten. Die boomende "Volksaktie" der Deutschen Telekom beförderte auch die Ideen und dann die politische Bereitschaft, die dröge, (zumindest aktuell dem Augenschein nach) unnötig ertragsschwache umlagefinanzierte Rente auf Kapitaldeckung umzustellen. "Uralt" erschien auch für eine gewisse Zeit die traditionelle deutsche Industrie, war doch in den Hochzeiten der Internet-Euphorie nahezu die gesamte deutsche Automobilindustrie, sofern sie als börsennotiertes Unternehmen überhaupt einen Marktwert hatte, zum Preis eines Internet-Emporkömmlings wie AOL zu kaufen. Das Platzen der Internet- oder "New Economy"-Blase war nicht nur Anlass zur Schadenfreude bei Freunden der Bundesschatzbriefe oder konservativer Lebensversicherungen gegenüber den (oft nur kurzzeitig) neureichen Freunden der Aktie, sie entpuppte sich auch als eine veritable Wirtschaftskrise (Brenner 2002), die auch die Wahrnehmung des Börsengeschehens drehte. Nun wurde die "hässliche" Seite des Börsenbooms, des Aufstiegs der "neuen Eigentümer" aus der Finanzwelt und des Rückzugs der stabilisierenden Kräfte aus der alten Deutschland AG registriert. "Der Aktienkurs eines Unternehmens steigt, wenn die Unternehmensführung Personalabbau ankündigt". Meldungen dieser Art alarmierten die Öffentlichkeit. Nicht nur, dass "Jedermann" an der Börse nicht so einfach reich werden konnte, man konnte auch noch seinen Arbeitsplatz verlieren, wenn das Unternehmen, bei dem man beschäftigt war, nicht so spurte, wie die Börse das erwartete. Ob nun die Börsenbewertung von Unternehmenspolitiken ursächlich für unerwünschte Beschäftigungseffekte war oder nicht, nur eine sichtbarere Begleitmusik als bisher lieferte oder womöglich einen Verstärkereffekt zu kurzfristigem Krisenmanagement ausübte, blieb weiterhin strittig (vgl. Faust u.a. 2007). Aber es verdichteten sich die Anzeichen, dass die Börsenentwicklung mit ihren eigenen Beobachtungs- und Bewertungsmaßstäben und die "neuen Eigentümer" die Unternehmenspoliti...

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