Beschreibung
In der jüngsten Zeit hat sich das Verhalten von Konsumenten stark verändert: Immer mehr Verbraucher legen Wert auf nachhaltige Produkte, die Einhaltung von Sozialstandards und faire Handelsbeziehungen. 'Verantwortung' ist zu einem wichtigen Faktor des Konsums geworden. Doch worin genau besteht die Verantwortung des Konsumenten, welche Bedeutung hat sie für die Entwicklung der Marktwirtschaft und der Konsumgesellschaft? Der Band wirft einen aktuellen Blick auf die Grenzen des Wachstums und entwickelt Vorschläge für die nachhaltige Gestaltung der Zukunft.
Autorenportrait
Prof. Dr. Ludger Heidbrink ist Direktor des Center for Responsibility Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und Professor für Corporate Citizenship & Responsibility an der Universität Witten- Herdecke. Imke Schmidt und Björn Ahaus sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Center for Responsibility Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen.
Leseprobe
In den vergangenen Jahren ist ein wachsendes Interesse von Verbrauchern an gesellschaftlich verantwortlichen Formen des Konsums zu verzeichnen. Die Nachfrage nach Produkten mit - zumindest vermeintlich - moralischem Mehrwert nimmt zu, während Unternehmen versuchen, dieser Entwicklung mit ihrer Marktpolitik Rechnung zu tragen, sodass das Angebot an scheinbar nachhaltigen Produkten und sozial verträglichen Dienstleistungen insgesamt wächst. Mit dieser Entwicklung stellt sich aber auch die Frage, inwieweit der Kauf von Elektromobilen oder Äpfeln aus der Region tatsächlich einen nachhaltigen Konsumakt darstellt und wie ernst es dem Verbraucher mit seinem Interesse für umweltfreundliche Autos oder fair gehandelten Kaffee in Wirklichkeit ist. Der Konsum in einer hoch industrialisierten und global vernetzten Marktgesellschaft ist eine äußerst voraussetzungsreiche und folgenreiche Tätigkeit. Tagtäglich werden in Supermärkten, an Tankstellen, in Büros und im Internet Millionen Konsumentscheidungen gefällt, die weltweite Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen, den Verbrauch von Ressourcen und das Angebot von Waren haben. Konsumenten haben einen bedeutenden und häufig unterschätzten Einfluss auf die Dynamik von Marktprozessen, weshalb sie aus Sicht der neoklassischen Ökonomik als die "wirklichen Herren im marktwirtschaftlichen System" (von Mises 2008: 43f.) gelten. Gleichwohl bestehen eine große Unklarheit und Uneinigkeit darüber, welche speziellen Motive den Konsumakten zugrunde liegen und welche besonderen sozialen und ökologischen Folgen die konsumtorischen Einzelentscheidungen in ihrem ungeregelten Zusammenwirken erzeugen. Diese Unklarheit und Uneinigkeit bestehen nicht nur auf Seiten der Konsumforschung und insbesondere der Konsumentenethik, sondern auch bei den Verbrauchern selbst. So zeigen Umfragen und empirische Untersuchungen in regelmäßigen Abständen, dass zwar über die Hälfte der Verbraucher von sich behauptet, an sozialen und ökologischen Standards von Gütern und Dienstleistungen interessiert zu sein (vgl. Borgstedt u.a. 2010), letztlich aber nur etwa 10 Prozent ihre Einstellungen in die Praxis umsetzen (vgl. UBA 2009). Die Kluft zwischen Einstellungen und Handeln - der sogenannte Mind Behaviour Gap - legt nicht nur eine gehörige Skepsis gegenüber einer expandierenden Nachhaltigkeitsrhetorik im Konsumbereich nahe, die bisweilen den Eindruck entstehen lässt, durch den Verzehr von Bio-Produkten und den Umstieg auf Öko-Strom lasse sich der Planet Erde kurieren (vgl. Hartmann 2010). Die scheinbare Kluft zwischen Einstellungen und Handeln führt auch zu der Frage, welchen Einfluss der Verbraucher auf Marktprozesse und ihre politischen Kontexte tatsächlich ausüben kann und worin die spezifischen Voraussetzungen für verantwortliche Praktiken des Konsums bestehen. Konsumkritik und das fehlende Vertrauen gegenüber dem Verbraucher Die unklare und widersprüchliche Rolle, die der Konsument zwischen moralischer Selbsteinschätzung und marktorientierten Verhaltensweisen einnimmt, spiegelt sich in einer langen Tradition der Konsumkritik wider. In dieser Tradition, die sich quer durch linke und rechte Positionen der politischen Ökonomie, Kulturphilosophie und Gesellschaftstheorie hindurchzieht, finden sich vor allem drei Haupteinwände gegen die Konsumgesellschaft und die moralisch-politische Rolle des Konsumenten wieder (vgl. auch König 2008: 270ff.). Danach hat zum ersten der industrielle Massenkonsum zu einer zivilisatorischen Degeneration des Menschen geführt, der durch seine Abhängigkeit von materiellen Formen der Bedürfnisbefriedigung die ökonomische Anspruchs und Wachstumsspirale immer höher treibt (Konsumkritik als Kultur und Wachstumskritik). Durch die Herrschaft des Marktkapitalismus so der zweite Einwand ist der Konsument zu einem Opfer intriganter Marketingstrategien und zum Spielball unternehmerischer Machtinteressen geworden, wodurch jede Form politischer Autonomie und zivilgesellschaftlicher Partizipation im Keim erstickt wird (Konsumkritik als Herrschafts und Machtkritik). Schließlich so der dritte Einwand sorgt der ungehemmte Wohlstandskonsum für eine Externalisierung von sozialen und ökologischen Kosten in Gestalt von ungleichen Einkommensverteilungen und einer fortschreitenden Umweltzerstörung, die zu illegitimen Benachteiligungen in Entwicklungsländern und ungerechtfertigten Belastungen zukünftiger Generationen führen (Konsumkritik als Sozial und Umweltkritik). Diese konsumkritischen Einwände haben zur Konsequenz, dass bis heute dem Verbraucher bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen und der politischen Einflussnahme auf Marktprozesse wenig zugetraut wird. So wie schon 1955 der Soziologe Arnold Gehlen in der "folgenlosen Erlebnisanreicherung" (1978: 6) den unpolitischen Charakter des Konsums ausmachte und der Philosoph Jürgen Habermas 1962 das scheinbar politische Interesse der Konsumenten auf "das falsche Bewußtsein" zurückführte, "daß sie als räsonnierende Privatleute verantwortlich an öffentlicher Meinung mitwirken" (1990: 291), herrscht bis in die Gegenwart die Ansicht vor, dass der Alltagskonsum keine messbare Wirkung auf den nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft ausübt, wenn nicht sogar kontraproduktive Effekte hervorruft. Entsprechend hat auch das bekannte Diktum von Helmut Schelsky über die "politische Ohnmacht des Verbrauchers" (1974) in den jüngsten Diskussionen um die Privatisierung des nachhaltigen Konsums eine Renaissance erlebt. Ähnlich wie Schelsky die Schwierigkeiten darin ausgemacht hatte, dass Konsumenten im Unterschied zu Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden eine organisierte Vertretung fehlt, weswegen sie auf dem "Gruppenmarkt der politischen Interessen und Macht" (1978: 79) unterrepräsentiert seien, wird heute dem Verbraucher vorgeworfen, sich mit dem gelegentlichen Kauf von sozial oder ökologisch verträglichen Produkten zufrieden zu geben, anstatt "die politische Dimension individuellen Handelns" in den Vordergrund zu stellen und durch "bürgerschaftliches Engagement" dazu beizutragen, dass "nachhaltigkeitsfeindliche Rahmenbedingungen oder Anreizstrukturen" (Grunwald 2010: 181) geändert werden. Verbraucher, so ließe sich die aktuelle Kritik am strategischen Konsum zusammenfassen, überschätzen nicht nur die positiven Wirkungen ihrer Bemühungen um einen nachhaltigen Lebensstil, sondern unterschätzen auch die Notwendigkeit weitreichender politischer Veränderungen, die diese Bemühungen begleiten und lenken müssen. Das Problem besteht nach Ansicht der Kritiker darin, dass bei rein privaten nachhaltigen Konsumakten die staatlichen Rahmenordnungen und globalen Marktstrukturen unangetastet bleiben, die für eine unveränderte Wachstumspolitik, einen fortgesetzten Verbrauch endlicher Ressourcen und damit eine ungebremste Belastung der Umwelt sowie die Fortschreibung ungleicher Wohlstandsverhältnisse sorgen (vgl. Geden 2009). Stellt der nachhaltige Konsum somit nur einen symbolischen Akt der Lebensstiländerung dar, der in erster Linie der persönlichen Gewissensberuhigung dient, wodurch an die Stelle des moralischen Konsums ein mehr oder weniger wirkungsloser Konsum der Moral tritt (vgl. Ullrich 2007)? Wird die destruktive Dynamik des Massenkonsums womöglich noch dadurch verstärkt, dass sich die Käufer nachhaltiger Produkte mit dem Fairtrade- oder Öko-Label zufrieden geben, ohne sich um die politischen Ursachen von Menschenrechtsverletzungen in den Herstellungsländern oder die Hintergründe des Zertifikathandels an der europäischen Strombörse zu kümmern? Ist eine "Politik mit dem Einkaufswagen" (Baringhorst u.a. 2007) überhaupt möglich, wenn die Mehrzahl der Verbraucher weiterhin einer infantilen und hedonistischen Bedürfnisbefriedigung frönt (so Barber 2007: 86ff.) und auf den Anlage- und Einkaufsmärkten weiterhin nach möglichst hohen Renditen und niedrigen Preisen strebt (vgl. Reich 2008: 119ff.)?
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