Beschreibung
Der demographische Wandel - Geburtenrückgang, Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft - wird in Deutschland derzeit vor allem in Krisenszenarien beschrieben. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes (darunter Hans Bertram, Christoph Butterwegge, Ilona Ostner und Annemette Srensen) sehen darin jedoch auch die Chance einer Neuordnung der Geschlechterverhältnisse: Nur in einem Mehr an Emanzipation und Gleichstellung der Geschlechter sowie den entsprechenden sozialpolitischen Reformen können nachhaltige Lösungen für demographische Probleme gefunden werden.
Autorenportrait
Peter A. Berger ist Professor für Allgemeine Soziologie - Makrosoziologie an der Universität Rostock. Heike Kahlert, Dr. rer. soc. habil., ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie/Soziale Ungleichheit und Geschlecht der Ruhr-Universität Bochum.
Leseprobe
Das "Problem" des demographischen Wandels Peter A. Berger und Heike Kahlert Die Beiträge dieses Buches handeln vom "demographischen Wandel", also von Veränderungen in Richtung einer "alternden" oder gar "schrumpfenden" Gesellschaft (Schimany 2003; Kaufmann 2005), die durch den allgemein beklagten Geburtenrückgang einerseits, durch den ebenso allgemein begrüßten Anstieg der Lebenserwartung andererseits ausgelöst wurden und werden. Besondere Aufmerksamkeit wird in den einzelnen Analysen dem Zusammenhang zwischen dem demographischen Wandel und dem Wan-del in den Geschlechterverhältnissen gewidmet. Aus Sicht der Frauen- und Geschlechterforschung soll damit in der Soziologie, der Demographie und der Politikwissenschaft eine Diskussion zum demographischen Wandel, seinen Ursachen und Konsequenzen angestoßen werden, die längst über-fällig ist: Mit großer Selbstverständlichkeit wird nämlich sowohl in der politischen und massenmedialen Öffentlichkeit als auch in einschlägigen fachwissenschaftlichen Diskussionen davon ausgegangen, dass der demo-graphische Wandel ein "Problem" darstellt, das nicht nur der intensiven sozialwissenschaftlichen Erforschung und medialen Aufbereitung, sondern auch der politischen Behandlung und - wenn möglich - Steuerung bedarf. Neben ausgiebig diskutierten Finanzierungsschwierigkeiten bei der Kranken- und Rentenversicherung wird dabei auch immer mal wieder das Gespenst vom "Aussterben der Deutschen" beschworen, deren Zahl nach von der Bild-Zeitung gerne aufgegriffenen Berechnungen des Bielefelder Bevölkerungswissenschaftlers Herwig Birg im Jahr 2300 bei 3 Millionen liegen werde (Bild-Zeitung vom 15. März 2006). Bei der Suche nach Ursachen für den Geburtenrückgang und trotz Fragen danach, ob nicht nur Frauen in einen "Gebär-", sondern auch Männer in einen "Zeugungsstreik" (Dinklage 2005) getreten seien, werden in weiten Teilen der öffentlichen Diskussion "die Frauen" und ihre Emanzipation zu (Mit )Schuldigen gemacht: So meint etwa die Zeit-Autorin Susanne Gaschke (2005), dass sich Frauen mit ihren wachsenden Gleichheitsansprüchen, dem anhaltenden Wunsch nach einem "Stück eigenem Leben" (Beck-Gernsheim 1983) und eigenständigen Bildungs- und Erwerbskarrieren in eine "Emanzipationsfalle" begeben hätten, in der sie oftmals "erfolgreich, einsam, kinderlos" seien. Und die Tagesschau-Sprecherin Eva Herman (2006: 114) fragte in dem Magazin Cicero jüngst sogar, ob die Emanzipation "ein Irrtum" gewesen sei. Solche und ähnliche, zweifellos teilweise plakativ überspitzte, nichtsdestotrotz aber meinungsbildende Veröffentlichungen und Diskussionen verweisen darauf, dass in der Öffentlichkeit wie in den Fachwissenschaften höchst unterschiedliche und bisweilen auch widersprüchliche Vorstellun-gen darüber existieren, was das "Problem" am demographischen Wandel sein könnte - und ob es überhaupt ein "Problem" gibt. Aus soziologischer Sicht stellen sich dann aber Fragen danach, warum der demographische Wandel und verwandte Themen derzeit eine so hohe Aufmerksamkeit erfahren: Kann dies als Anzeichen einer "Demographisierung" gesellschaftlicher Probleme gewertet werden, bei der demographische Entwicklungen als "Sachzwänge" behandelt und zur Legitimierung (sozial)politischer Reformvorschläge - meist neoliberaler Art - herangezogen werden können? Wer würde dann aber vom demographischen Wandel beziehungsweise von den dadurch angestoßenen und damit begründeten Maßnahmen im Bereich der Sozial-, der Arbeitsmarkt-, der Bildungs- oder der Familienpolitik "profitieren", wer würde benachteiligt (werden)? Gibt es im Zuge dieser Aufmerksamkeitsverlagerung Verschiebungen - oder gar einen Paradigmen-wechsel - hin zu einer "neuen" Familien- oder sogar zu einer expliziten Bevölkerungspolitik, die eine auf Gleichstellung zielende Geschlechterpoli-tik in Frage stellen oder ihr entgegenlaufen (vgl. dazu auch Kahlert 2006b; Kreisky u.a. 2003XS
Inhalt
Inhalt Einführung Das "Problem" des demographischen Wandels Peter A. Berger und Heike Kahlert9 Demographisierung und reproduktives Handeln Demographisierung gesellschaftlicher Probleme? Der Bevölkerungsdiskurs aus feministischer Sicht Diana Hummel27 Demographie als Ideologie? Zur Diskussion über Bevölkerungs- und Sozialpolitik in Deutschland Christoph Butterwegge53 Reproduktives Handeln im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Geschlechterregime Regina-Maria Dackweiler81 Kinderlosigkeit, Kinderwunsch und politische Steuerung Zaudernde Männer, zweifelnde Frauen, zögernde Paare: Wer ist Schuld an der Kinderlosigkeit? Günter Burkart111 Kinderwunsch und Kinderlosigkeit im Modernisierungsprozess Waltraud Cornelißen137 Paradigmenwechsel in der (west)deutschen Familienpolitik Ilona Ostner165 Familie, Arbeitsteilung und Zeitpolitik Nachhaltige Familienpolitik im europäischen Vergleich Hans Bertram203 Lebenslauforientierte Sozialpolitik - ein Lösungsansatz zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie im demographischen Wandel Ute Klammer237 Feminisierung der Arbeit im demographischen Wandel? Alexandra Scheele267 Perspektiven Der demographische Wandel im Blick der Frauen- und Geschlechterforschung Heike Kahlert295 Autorinnen und Autoren311
Schlagzeile
Politik der Geschlechterverhältnisse Herausgegeben von Eva Kreisky, Cornelia Klinger, Andrea Maihofer und Birgit Sauer>