Beschreibung
Eliten sind im letzten Jahrzehnt in Deutschland wieder im Gespräch. Ihre Notwendigkeit und Förderung ist zu einem beliebten Thema der Reformdiskussion geworden. In den Beiträgen wird die abnehmende Bedeutung traditioneller und die Entstehung neuer Eliten mit neuen Handlungsspielräumen untersucht. Es zeigt sich, dass Skepsis angebracht ist gegenüber der Erwartung, eine Rückkehr zum Modell einer Elitengesellschaft könne die aktuellen Probleme lösen. Mit Beiträgen von Dirk Baecker, Rüdiger vom Bruch, Michael Hartmann, Karl Ulrich Mayer, Herfried Münkler, Armin Nassehi, Frank Nullmeier, Birger Priddat, Nico Stehr, Wolfgang Streeck und anderen.
Leseprobe
Einleitung Herfried Münkler, Matthias Bohlender und Grit Straßenberger Seit geraumer Zeit ist in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft von Eliten die Rede - von ihrem vermeintlichen Versagen, ihren Fehlentscheidungen und ihren Versäumnissen. Elitenversagen zu thematisieren und öffentlich zu debattieren ist an sich nicht überraschend. Was in der aktuellen Diskussion überrascht und bemerkenswert erscheint, ist dagegen die Art und Weise, wie dies geschieht. Denn es bleibt nicht einfach bei einer Kritik der Eliten, es wird zugleich die Forderung nach neuen Eliten, nach neuen Ausbildungswegen, neuen schulischen Förderungsinstrumenten, ja nach Elitehochschulen und Eliteuniversitäten laut. Der Ruf nach neuen Eliten für die "Berliner Republik", nach mehr Verantwortung, Leistung, Innovation und Kreativität in den Topetagen der gesellschaftlichen Führungskräfte reiht sich ein in den allgemeinen und allgegenwärtigen Krisen- und Reformdiskurs einer vermeintlich "blockierten Gesellschaft", deren leitendes Personal und deren zentrale Institutionen angesichts der vielbeschworenen Globalisierung nun auf dem Prüfstand stehen. Können neue Eliten die Blockade auflösen? Welche Eliten sollten das sein? Was sind ihre Kompetenzen und Fähigkeiten? Und woher sollen sie kommen? Es gibt Elitediskussionen, die aus der Grundhaltung von beati possidentes, von "glücklichen Besitzenden" heraus geführt werden: Man ist sich seiner Sache sicher, besitzt Elitenvertrauen und besorgt sich allenfalls um die berühmten Stellschrauben des Elitehandelns und der Elitereproduktion. Verglichen damit hat die in Deutschland seit den 1990er Jahren geführte Diskussion über die vorhandene und die gewünschte Elite des Landes etwas geradezu Hysterisches. Sie ist grundiert von einer Angst des Elitenversagens, das mehr als nur Teilbereiche, sondern die Zukunft des ganzen Landes und seiner Menschen betrifft, wie der Titel des 1992 erschienenen einflussreichen Buches von Peter Glotz, Rita Süßmuth und Konrad Seitz signalisiert: "Die planlosen Eliten. Versäumen die Deutschen ihre Zukunft?". Der Verdacht ökonomischer und kommunikativer Inkompetenz sowie die Sorge um die Leistungsfähigkeit der Universitäten als der wichtigsten Reproduktionsagentur von Eliten machen den Grundtenor dieses Buches aus. Angemahnt wird eine Verbesserung der Elitenqualität, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Daneben gibt es eine kontinuierliche Kritik daran, dass die soziale Zusammensetzung der Eliten in keiner Weise der der Gesellschaft entspricht, sondern der Zugang zu Spitzenpositionen nach wie vor von der sozialen Herkunft abhängig sei. Explizit oder implizit wird hier eine Veränderung der Elitenkomposition eingefordert, die unter dem Stichwort der Gerechtigkeit auf ein Mehr an sozialer Repräsentativität hinauslaufen soll. Und schließlich wird das Elitenethos kritisiert, insofern die Inhaber von Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik mehr an der Erhöhung ihres Einkommens als an den gemeinwohlfördernden Effekten ihres Tuns orientiert seien. Die Altersversorgung der Politiker wie die Jahreseinkommen von Managern waren ein großes Thema, das vor dem Hintergrund von Reformstau und hoher Arbeitslosigkeit verhandelt wurde. Hier wird ein Elitenethos angemahnt, das Spitzenpositionen wieder stärker in die Dimension des Dienstes am Gemeinwesen als der Privilegien für den Positionsinhaber stellt. Die deutsche Elitendiskussion ist keine der beati possidentes, sondern wird von der Befürchtung bestimmt, dass man nicht hat, was man dringlich haben müsste: leistungsfähige, die soziale Zusammensetzung der Gesellschaft repräsentierende und in ihren Einkommens- und Versorgungserwartungen zurückhaltende Eliten. Das Problem ist, dass man das alles zusammen schwerlich bekommen kann und es in der öffentlichen Diskussion keinen Konsens darüber gibt, welche Anforderungen prioritär und welche nachrangig sind. Diese Unklarheit hat nicht zuletzt mit der Diffusität des in der Öffentlichkeit gebrauchten Elitenbegriffs zu tun. Die in der sozialwissenschaftlichen Literatur unterschiedenen Begriffe von Wert-, Leistungs- und Funktionseliten scheinen in den öffentlich kommunizierten Erwartungen an Eliten zu verschmelzen. I. Elitenbegriffe und Elitetheorien Die historisch-semantische Entstehung des Elitebegriffs reicht bis in die Französische Revolution zurück, wo er gegen die Machtansprüche des Geburtsadels auf die bürgerlich-republikanische Legitimität der Ausgewählten und Erwählten (élite, electi) abzielte. Doch eine sozialwissenschaftliche Reflexion und Theoriebildung beginnt erst mit Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels, die das Konzept der Elite vor dem Hintergrund der zweiten großen Industrialisierungs- und Demokratisierungswelle am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickeln. In Abgrenzung zu der marxistischen These vom die Gesellschaft dominierenden Kampf zwischen einer herrschenden und beherrschten Klasse, sehen die Autoren die demokratische Massengesellschaft bestimmt und geführt von Eliten, denen nicht die Beherrschten, sondern Gegeneliten die höchsten Leitungsfunktionen und die Monopolisierung der Macht streitig machen. Die Elite führt die Masse und diese lässt sich von ihnen führen, weil sie zur vielbeschworenen Selbstregierung gar nicht fähig ist. Die Masse ist - wie sich bei Le Bon (1964), dem führenden Massenpsychologen dieser Zeit, nachlesen lässt - eine willenlose, triebhafte, unvernünftige, rohe und barbarische Einheit. Der Kampf findet nicht zwischen Elite und Masse statt, sondern zwischen Eliten und Gegeneliten um die Führung der Masse. Der Elitebegriff wird somit von Beginn an von einer Doppeldeutigkeit beherrscht, die er bis heute nicht verloren hat: Er ist eine sozialanalytische und eine politisch-polemische Kategorie. Seinem Gebrauch haftet prinzipiell die Unklarheit an, Elite normativ behaupten oder nur assertiv beschreiben zu wollen. Darüber hinaus gilt für die klassischen Elitetheorien, dass in ihnen der Elitebegriff noch kaum differenziert genug verwendet wird, um unterschiedliche Typen von Eliten (Wert-, Leistungs-, Funktions- oder Machteliten) zu unterscheiden. Die Elite einer Gesellschaft monopolisiert in allen Bereichen (Kultur, Wirtschaft, Politik, Religion, Militär) die Machtpositionen. Ein drittes und letztes Charakeristikum des von den Klassikern gebrauchten Begriffs ist seine normative Indifferenz gegenüber jeder spezifischen Regierungsform. Es geht darum, wie es in Moscas vielzitierter Passage heißt, "den Herrschenden den Lebensunterhalt und die Mittel der Staatsführung zu liefern" und dies kann gesetzlich, willkürlich oder gewaltsam erfolgen. Wurde der Elitebegriff in seiner Frühphase als politischer Kampfbegriff zur Delegitimation der Adelsherrschaft verstanden, so sollte er nun in den Augen der klasssischen Elitetheoretiker zu einem wissenschaftlichen Grundbegriff jeder Staats- und Regierungssform avancieren. Infolgedessen steht die im Grunde erst nach dem Zweiten Weltkrieg so notorisch werdende Problematik von Elite und/oder Demokratie noch kaum im Zentrum ihrer Überlegungen. Erst mit dem demokratischen Konsens der westlichen Gesellschaften, d. h. der Einsicht ihrer Eliten in die Unhintergehbarkeit der demokratischen Regierungsform, wird der Elitebegriff auf ein neues Reflexions- und Problematisierungsniveau gehoben. Von nun an geht es um die folgenden Fragen: Sind Eliten für die Demokratie erträglich und können Eliten die Demokratie ertragen? Wie sind demokratische Eliten möglich? Mit diesen Fragen einer funktionalistischen bzw. pluralistischen Elitentheorie fassen Autoren von Schumpeter bis Bürklin das Konzept der Elite nicht neu, aber sie sind gezwungen, es vor dem Hintergrund des schon erwähnten demokratisch etablierten Konsenses nach dem Zweiten Weltkrieg zu modifizieren. Schumpeters Überlegungen in seinem Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" sind hier insofern von zentraler Bedeutung als ...
Inhalt
Vorwort Einleitung Herfried Münkler, Matthias Bohlender und Grit Straßenberger I. Macht und Ohnmacht der Eliten: Historische und politische Perspektiven Vom gesellschaftlichen Nutzen und Schaden der Eliten Herfried Münkler Ratlose Eliten: Politik, Demokratie und Beratung Birger P. Priddat Zirkulation der Leitprofessionen und Elitennetzwerke Politiktsoziologische Thesen zur juristischen Elite im deutschen Staatsdienst Karsten Fischer Prominenz und Prestige Zur Geschichte einer geistes- und sozialwissenschaftlichen Öffentlichkeitselite Rüdiger vom Bruch Diskurskoalitionen in den Wirtschaftswissenschaften Ökonomische Deutungseliten in der Schweiz Susanne Burren und Pascal Jurt Elitedebatten in der Bundesrepublik Harald Bluhm und Grit Straßenberger II. Elitekonsens und Elitenintegration nach dem Korporatismus Nach dem Korporatismus: Neue Eliten, neue Konflikte Wolfgang Streeck Vom Netzwerk zum Markt? Zur Kontrolle der Managementelite in Deutschland Jürgen Beyer Zwischen Politik und Arbeitsmarkt Zum Wandel gewerkschaftlicher Eliten in Deutschland Anke Hassel Lobbyismus als Elitenintegration? Von Interessenvertretung zu Public Affairs-Strategien Rudolf Speth III. Eliten in der Wissens- und Netzwerkgesellschaft Die "Entzauberung der Eliten": Wissen, Ungleichheit und Kontingenz Nico Stehr, Christoph Henning und Bernd Weiler Differenzierungseliten in der "Gesellschaft der Gegenwarten" Armin Nassehi Der Fall der Elite Die "Unterführung" der Gesellschaft Stephan A. Jansen Das Willkürhandeln von Persönlichkeiten Die Integrationsfunktion von Eliten im Übergang zur Netzwerkgesellschaft Dirk Baecker Wissensmärkte und Bildungsstatus Elitenformation in der Wissensgesellschaft Frank Nullmeier IV. Eliten-Bildung zwischen Leistung, Habitus und Exzellenz Exzellenz im Kontext gegenwärtiger Bildungsreform Johannes Bellmann Hochbegabung oder Langstreckenlauf? Eliteleistungen aus Sicht der Expertiseforschung Ralf T. Krampe Führungskräfte: Vom Privatbeamten zum Wissensarbeiter Hermann Kotthoff Corporate Universities im Karrieremanagement von Eliten Maike Andresen Vermarktlichung der Elitenrekrutierung? Das Beispiel der Topmanager Michael Hartmann Abschied von den Eliten Karl Ulrich Mayer Literaturverzeichnis Personen- und Sachregister Autorinnen und Autoren
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Eliten als Hoffnungsträger?>
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