Beschreibung
"Früchte des Zorns" legte den Grundstein zu John Steinbecks literarischem Ruhm; ein Jahr nach Erscheinen des Romans erhielt er den Pulitzer-Preis. Aufgrund seiner harten Kritik an der herrschenden Gesellschaftsordnung löste das Buch jedoch auch heftige Kontroversen aus und wurde zeitweilig sogar verboten. Der Autor schildert naturverbundene, einfache Menschen. Im Mittelpunkt steht die Mutter, die in Not und Verzweiflung der Familie immer wieder neue Kraft zu geben vermag. Steinbeck schreibt mit großer Menschlichkeit und sprachlicher Kraft vom Leben.
Autorenportrait
Homepage von John Steinbeck
Leseprobe
Ein mächtiger roter Lastwagen stand vor der kleinen Raststätte. Aus dem senkrechten Auspuffrohr knatterte es leise, und ein fast unsichtbarer Dunst von stahlblauem Rauch schwebte darüber. Es war ein neuer Lastwagen, glänzend rot, und auf seinen Seitenwänden stand in Zwanzig-Zentimeter-Lettern: OKLAHOMA CITY TRANSPORT COMPANY. Seine Doppelreifen waren neu, und ein Messingschloß stand stramm ab von der Krampe an den großen Hintertüren. Im Gasthaus spielte ein Radio Tanzmusik. Es war leise gestellt, so, wie es ist, wenn niemand zuhört. In seinem runden Loch über der dicht verrammelten Eingangstür summte ein Abzugsventilator, und Fliegen brummten aufgeregt an den Türen und Fenstern herum und stießen gegen die herabgelassenen Jalousien. Ein Mann, der Lastwagenfahrer, saß auf einem Schemel, hatte die Ellbogen auf die Theke gestützt und blickte über seinen Kaffee hinweg die magere, einsame Kellnerin an. Er redete mit ihr in der flotten, nachlässigen Sprache der Leute auf der Landstraße. "Vor drei Monaten habe ich ihn mal gesehen. Hat 'ne Operation gehabt. Irgendwas rausgeschnippelt. Habe vergessen, was." Und sie: "Mir kommt's vor, als hätte ich ihn erst vor 'ner Woche gesehen. Sah gut aus. Er ist 'n netter Kerl, wenn er nicht besoffen ist." Hin und wieder dröhnten die Fliegen leise an der Tür. Die Kaffeemaschine spie Dampf aus, und ohne sich umzublicken, griff die Kellnerin hinter sich und drehte sie ab. Draußen ging ein Mann am Rand der Straße entlang, überquerte sie und trat an den Lastwagen heran. Er ging langsam um ihn herum, legte seine Hand auf den glänzenden Kühler und blickte auf einen Aufkleber an der Windschutzscheibe, auf dem "Keine Mitfahrer" stand. Einen Augenblick schien es, als wollte er weitergehen, statt dessen aber setzte er sich auf das Trittbrett. Er war nicht über dreißig. Seine Augen waren dunkelbraun, und selbst das Weiße hatte einen Schimmer von braunem Pigment. Seine Backenknochen waren hoch und breit, und starke, tiefe Linien hatten sich zu beiden Seiten des Mundes eingeschnitten. Seine Oberlippe war lang, und da seine Zähne vorstanden, dehnten sich die Lippen, um sie zu verdecken; denn dieser Mann hielt seine Lippen geschlossen. Seine Hände waren hart, mit breiten Fingern und Nägeln, die so dick und gekerbt waren wie kleine Muschelschalen. Die Spannen zwischen Daumen und Zeigefinger und die Handflächen waren voller Schwielen. Die Kleider des Mannes waren neu - billig und neu war alles, was er anhatte. Seine graue Mütze war so neu, daß der Schirm noch steif war und daß sie sogar den Knopf noch hatte, nicht formlos und ausgebeult, wie sie gewesen wäre, wenn sie bereits den verschiedenen Zwecken einer Mütze gedient hätte - als Tragsack, Handtuch, Taschentuch. Sein Anzug war aus billigem grauem Tuch und so neu, daß die Hosen noch Bügelfalten hatten. Sein blaues Hemd war steif und glatt von Appretur. Die Jacke war zu groß, die Hosen waren zu kurz: er war ein hochgewachsener Mann. Die Schulternähte der Jacke hingen an den Ärmeln herunter, und selbst dann noch waren die Ärmel zu kurz, und das Vorderteil hing ihm lose über den Bauch. Er trug ein Paar neue braune Schuhe, "Armeeschuhe", wie sie genannt wurden, genagelte Schuhe mit Hufeisen an den Hacken, damit sie sich nicht abnützen. Dieser Mann saß nun auf dem Trittbrett und nahm seine Mütze vom Kopf und wischte sich mit ihr über das Gesicht. Dann setzte er sie wieder auf, und indem er sie herunterzog, begann der künftige Ruin des Mützenschirms. Er betrachtete seine Füße. Er bückte sich und lockerte die Schnürbänder und band die Enden nicht wieder zu. Über seinem Kopf stieß der Auspuff des Dieselmotors blaue Rauchwolken aus. Im Restaurant brach die Musik ab, und eine Männerstimme ertönte aus dem Lautsprecher, aber die Kellnerin drehte ihn nicht ab, denn sie wußte nicht, daß die Musik aufgehört hatte. Ihre suchenden Finger hatten un ... Leseprobe
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