Leseprobe
Vorwort Zum Thema Gewalt bin ich rein zufällig gekommen. Das war vor etwa 15 Jahren. Damals arbeitete ich in einem Freizeitzentrum für Kinder- und Jugendliche. Ich war Berufseinsteigerin und meistens die einzige Erwachsene dort, entsprechend oft kam ich an meine Grenzen. Dann bekam ich die Gelegenheit eine Ausbildung zur Anti-Aggressivitäts-Trainerin zu besuchen. 'Prima, da gehe ich hin', dachte ich. 'Aggressionen kenne ich. Es kann schon mal vorkommen, dass ich bei der Arbeit wütend werde, zum Beispiel wenn ein Jugendlicher, der ein Hausverbot hat, sich weigert, wieder zu gehen.' In dem Kurs merkte ich dann aber, dass ich das missverstanden hatte. Es ging in erster Linie gar nicht um meine Aggression, sondern um die der Personen, mit denen ich arbeitete. Ich wurde hier dazu ausgebildet, Menschen mit ihrem Fehlverhalten zu konfrontieren und zu einem sozial verträglichen Umgang miteinander zu verhelfen. Das war für meine Arbeit noch viel besser. Je mehr ich mich mit dem Thema Aggression und alternativen Verhaltensweisen zur Gewalt befasste, desto begeisterter war ich. Plötzlich hatte ich viel mehr Möglichkeiten, den Jugendlichen und Kindern bei Grenzverletzungen zu begegnen. Das war großartig! Ich suchte immer neue Herausforderungen, arbeitete mit jugendlichen Gewalttätern und trainierte ihre Bewährungshelfer. Ich war voller Enthusiasmus und hoffte, diese Menschen dazu bringen zu können, ihre Taten zu bereuen und in Zukunft ein straffreies Leben zu führen. Aber das gelang mir natürlich nicht immer. 'Aha', dachte ich, 'man muss also früher ansetzen. Ein Training dieser Art ist effektiver, wenn jemand noch keine längere kriminelle Karriere hinter sich hat.' Daraufhin entwickelte ich cooldown, ein Konzept, in dem ich Elemente des Anti-Gewalt-Trainings mit Ritualen und Symbolen kombiniere, die den Transfer in den Alltag erleichtern. So begann ich mit Schulen zu arbeiten, mit Lehrern, Eltern und Schülern, die auf die eine oder andere Weise Probleme mit Aggression hatten, später auch mit Kindergartenkindern und Erziehern. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher sich auffällig verhielt, ohne dass er bereits mehrfach straffällig geworden war, konnte ich noch viel bewegen. Ich zeigte also Kindern, die mit ihren Wutausbrüchen ihre Lehrer, Eltern und Erzieher zur Verzweiflung brachten, wie sie ihre Wut loswerden konnten, ohne sie unterdrücken zu müssen und vor allem, ohne dabei jemanden zu verletzen oder einzuschränken. Und ich zeigte Eltern, Pädagogen und Erziehern, wie sie ihrerseits mit diesen Kindern umgehen konnten. Bis heute mache ich diese Arbeit - und das sehr gerne. Aber seit ein paar Jahren bemerke ich eine Veränderung. Die Jugendlichen und auch die Kinder, mit denen ich arbeite, sind weniger kooperativ, sie brauchen immer länger, bis sie einsehen, was sie anderen antun, wenn sie bedrohen, erniedrigen und verletzen. Ich begann mich zu fragen, woran das liegt und, was man dagegen tun könnte. Als dann die Literaturagentin Marion Appelt auf mich zukam und mich bat, meine Einschätzung zum Thema 'aggressive Jugendliche' aufzuschreiben, sagte ich ohne Zögern zu. So entstand dieses Buch. Die meisten Erziehenden, die zu mir kommen, berichten von einem Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Kindern und Jugendlichen. Oft haben sie das Gefühl, von ihren Schützlingen schlichtweg ignoriert zu werden. Ein Vater sagt beispielsweise zu seiner Tochter: 'Räum bitte dein Zimmer auf', und das Kind sagt: 'Nö!' Er bittet sie, sich zu waschen, sie behauptet: 'Mach ich später', und es geschieht - nichts. Er schickt sie am Abend ins Bett, aber sie bleibt stur vor dem Fernseher sitzen. Nach gefühlten zehn Aufforderungen verliert der Vater die Geduld, schreit seine Tochter an und erteilt ihr Fernsehverbot für die nächsten drei Wochen. Am nächsten Abend sitzt das Mädchen wieder vor der Glotze und der Vater ist verzweifelt. Noch schlimmer ist es, wenn andere Personen Zeugen dieser Ohnmacht werden, zum Beispiel in der Schule. Eine Lehrerin bittet während des