Beschreibung
Der jungen Prinzessin Panchali wird eine große Zukunft vorhergesagt: Als mächtigste Herrscherin aller Zeiten wird sie in den Palast der Hoffnung einziehen, dafür muss sie aber auf ihr eigenes Glück verzichten. Doch Panchali will ihr Schicksal selbst bestimmen. Mutig nimmt sie den Kampf um ihre Freiheit auf.
Leseprobe
Feuer Während der langen, einsamen Jahre meiner Kindheit, als der Palast meines Vaters seinen Griff immer fester um mich zu schließen schien, bis ich nicht mehr zu atmen vermochte, flüchtete ich mich oft zu meiner Amme, um mir eine Geschichte erzählen zu lassen. Und obwohl sie aus einem reichen Schatz an allerlei Wunderbarem und Erbaulichem schöpfen konnte, wollte ich doch immer und immer wieder die Geschichte von meiner Geburt hören. Ich glaube, sie gefiel mir so gut, weil sie mir das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein, und in jenen Tagen gab es sonst kaum etwas in meinen Leben, das mir ein solches Gefühl verlieh. Vielleicht war sich Dhai Ma dessen bewusst. Vielleicht war das der Grund, warum sie meinem Verlangen nachgab, obwohl wir beide wussten, dass ich meine Zeit eigentlich gewinnbringender hätte nutzen sollen, auf eine Art, die einer Tochter von König Drupada, des Herrschers von Panchala - einem der reichsten Königreiche des Kontinents Bharata -, eher geziemten. Die Geschichte inspirierte mich dazu, ausgefallene Namen für mich zu erfinden: Abkömmling der Vergeltung oder die Unerwartete. Aber Dhai Ma blies angesichts meines Hangs zum Dramatischen ihre Wangen auf und nannte mich "das Mädchen, das nicht eingeladen war". Wer weiß, vielleicht traf sie es damit genauer. An jenem Winternachmittag, als sie im Schneidersitz in dem dürftigen Sonnenlicht saß, das durch den Schlitz in einem Fenster in meine Gemächer drang, sagte sie: "Als Euer Bruder aus dem Opferfeuer auf die kalten Steinplatten des Palastes trat, schrien die Versammelten voller Verwunderung auf." Sie enthülste gerade Erbsen. Ich beobachtete voller Neid ihre emsigen Finger und wünschte, sie würde mich dabei helfen lassen. Aber Dhai Ma hatte sehr genaue Vorstellungen davon, welche Beschäftigungen für eine Prinzessin angemessen waren, und welche nicht. "Nur ein Augenblinzeln später, als Ihr aus dem Feuer tratet", fuhr sie fort, "da klappten uns die Kinnladen hinab. Es war so still, dass man eine Stubenfliege hätte furzen hören können." Ich rief ihr in Erinnerung, dass Fliegen diese besondere Körperfunktion wohl kaum verrichteten. Dhai Ma lächelte ihr schielendes, listiges Lächeln. "Mein Kind, die Dinge, von denen Ihr keine Ahnung habt, würden den ganzen Milchozean füllen, in dem der Gott Vishnu ruht - und sich über dessen Ränder ergießen." Ich zog in Erwägung, beleidigt zu sein, aber ich wollte unbedingt diese Geschichte hören, daher hielt ich den Mund, und einen Augenblick später fuhr Dhai Ma mit ihrer Erzählung fort. "Wir hatten alle dreißig Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gebetet: Euer Vater, die hundert Priester, die er ersucht hatte, nach Kampilya zu kommen, um die Feuerzeremonie zu vollziehen, angeführt von diesem Yaja und diesem Upayaja mit ihren unsteten Blicken, dazu die Königinnen, die Berater und natürlich die Bediensteten. Und wir hatten außerdem auch noch gefastet - nicht, dass wir eine Wahl gehabt hätten -, für jeden gab es lediglich abends eine Mahlzeit, die aus in Milch eingeweichtem, breit gedrücktem Reis bestand. König Drupada aß nicht einmal das. Er trank nur Wasser, das vom heiligen Ganges heraufgetragen wurde, damit sich die Götter genötigt fühlten, seine Gebete zu erhören." "Wie hat er ausgesehen?" "Er war so dünn wie die Spitze eines Schwertes und ebenso unnachgiebig. Man konnte jeden einzelnen seiner Knochen zählen. Seine Augen, die tief in ihre Höhlen eingesunken waren, glitzerten wie schwarze Perlen. Er vermochte kaum den Kopf hochzuhalten, aber natürlich weigerte er sich, dieses Ungetüm von einer Krone abzulegen, ohne die ihn noch niemals jemand zu Gesicht bekommen hat - nicht einmal seine Frauen im Bett, wie mir zu Ohren gekommen ist." Dhai Ma hatte einen guten Blick für die Einzelheiten. Vater war auch heute noch ein und derselbe Mann wie damals, obwohl das Alter - und die Überzeugung, dass das, was er die ganze Zeit gewollt hatte, endlich zum Greifen nahe war - seine Ungeduld ein wenig gemildert hatte.
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