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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446205185
Sprache: Deutsch
Umfang: 123 S., Illustriert
Format (T/L/B): 1.5 x 21.8 x 14.7 cm
Einband: Halbleinen

Beschreibung

Natürlich hat der Hecht im Burggraben nichts mit Daniels Mutter zu tun. Trotzdem: Wenn er ihn fängt, wird seine Mutter wieder gesund. Daran glaubt Daniel felsenfest. Und weil richtige Freunde zusammenhalten, auch gegen das Schlimmste, was passieren kann, werden sie es zu dritt versuchen: Anna, Daniel und Lukas. Eine eindringliche Geschichte über Trauer, Freundschaft und den Abschied von der Kindheit - mit poetischen Bildern von Quint Buchholz.

Autorenportrait

Homepage von Jutta Richter

Leseprobe

Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Und dass es unser letzter werden würde, hätte damals keiner geglaubt. Wir konnten es einfach nicht glauben. So wie wir uns auch nicht vorstellen konnten, dass es je wieder einen Winter geben würde, einen Winter, bitterkalt mit richtigem Schnee und einer dicken Eisschicht auf dem Wassergraben. Es war so ein Sommer, der nicht aufhört. Er hatte im Mai angefangen. Die Sonne schien jeden Tag. Die Pfingstrosen setzten Knospen an, die Blütenkerzen der Kastanienbäume explodierten über Nacht. Gelb leuchtete das Rapsfeld und hoch über uns zerschnitten die Mauersegler den unendlich tiefen Himmel. Nur das Wasser hatte noch seine Winterfarbe: schwarz und undurchsichtig, aber wenn wir uns lange genug über das steinerne Brückengeländer beugten, konnten wir doch die kleinen Rotfederfische erkennen, die sich knapp unter dem Wasserspiegel sonnten. 'Wasseraugen', sagte ich. 'Vom langen Hingucken kriegt man Wasseraugen.' 'Stimmt', sagte Daniel. 'Und dann kann man durchgucken und den Grund sehen und da steht der Hecht!' Lukas war ganz aufgeregt und seine Stimme wurde hoch und laut. 'Na klar! Und wenn wir den Hecht sehen können, brauchen wir nur noch eine Angelschnur und Hechthaken.' 'Spinner', sagte Daniel. 'Senke brauchste auch und Kescher!' 'Warum denn?' 'Die Senke für den Köderfisch und den Kescher zum Rausholen. Der Hecht reißt dir die Schnur durch, wenn du den hochziehen willst.' 'Und wofür der Köderfisch?', fragte Lukas. 'Zum Locken', sagte Daniel und spuckte ins Wasser. Neugierig schwammen die kleinen Rotfedern näher. Dann spritzten sie plötzlich auseinander und waren verschwunden. 'Da ist er!', rief Lukas. Und wirklich, eine Zehntelsekunde lang hatte auch ich, dicht unter der Wasseroberfläche, den silbrigen Fischbauch erkannt, bevor der Hecht wieder hinunterschoss in die schwarze, undurchsichtige Tiefe. Über uns flatterte krächzend ein Dohlenschwarm und zwei Blesshühner trieben mit ruckenden Kopfbewegungen unter der Brücke durch. Die Sonne machte den Rücken ganz warm, und als das Wasser wieder glatt und ruhig war, sagte Daniel: 'Den kriegen wir! Wer Wasseraugen hat, der kann auch Hechte fangen!' Das Angeln war nicht erlaubt. An den Uferbäumen hingen Schilder: Angeln verboten. Jedes Zuwiderhandeln wird bestraft. Der Eigentümer. 'Merkt der doch gar nicht!', sagte Daniel. 'Und wenn der Graf vorbeikommt? Oder der Verwalter? Oder überhaupt einer?', fragte Lukas. 'Mann, dann sitzen wir einfach nur auf der Brücke! Die Angelschnur ist durchsichtig. Die Rolle passt in eine Hand! Faust machen, fertig!' 'Und was ist mit Mama? Mama will auch nicht, dass wir angeln!', sagte Lukas. Daniel sagte nichts mehr, sondern starrte ins schwarze Wasser. Beim Verwalterhaus knallte ein Luftgewehrschuss und die Dohlen flogen laut schimpfend über das rote Ziegeldach. Lukas rückte näher an mich ran. 'Weißt du, dass die Humpelhenne jetzt vier Kü- ken hat?', fragte er leise. 'Die sind erst vorgestern ausgeschlüpft. Der Daniel hat sie noch nicht gesehen, aber ich! Und Mama hat gesagt, dass sie mitkommt, und dann fängt sie eins für mich und dann darf ich es anfassen ... Soll ich euch die Küken mal zeigen?' Ich nickte. 'Komm, Alter! Dein Bruder zeigt uns die Humpelhennenküken!' Daniel rührte sich nicht. 'Ich will keine Küken gucken', murmelte er. 'Ich will den Hecht! Küken gucken ist Babykacke!' 'Küken gucken ist Babykacke!', äffte Lukas ihn nach. 'Mein doofer Bruder will das nicht!' Die Pfauenhenne hatte nur noch einen Fuß. Das war die böse Erinnerung, die vom letzten Sommer übrig geblieben war. Und jedes Mal, wenn die Pfauenhenne über den Hof humpelte, musste ich an diese Geschichte denken und ich schämte mich. Denn eigentlich war ich schuld, dass die Henne nur einen Fuß hatte. Schließlich war ich die Älteste. Gisela hatte ins Krankenhaus gemusst ... Leseprobe