Beschreibung
Wenn Fehler Leben kosten - ein Insider legt den Finger auf die Wunde
Wir alle sollen Leistung erzielen, und wir alle spüren die Grenzen, die uns Stress, mangelnde Ressourcen und schlechte Arbeitsbedingungen auferlegen. Doch nirgendwo sind die Konsequenzen so gefährlich wie in der Medizin - denn hier geht es um Leben und Tod. Jede Entscheidung kann ein Menschenleben kosten, hinter jedem Fall verbirgt sich ein persönliches Schicksal. Der Chirurg und Bestsellerautor Atul Gawande gewährt den Lesern einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen. Er erklärt anschaulich, weshalb Krankenhausmitarbeiter durch simples Händewaschen Todesfälle vermeiden können. Er hinterfragt den Einfluss von Geld auf die moderne Medizin. Er stellt die Frage, ob es mit dem Berufsethos der Ärzte vereinbar ist, wenn sie in der Todeszelle den ''humanen'' Tod durch die Giftspritze einleiten. Und er berichtet aufrichtig wie niemand vor ihm von den Ängsten, die Ärzte heute plagen.
Autorenportrait
Atul Gawande ist Facharzt für Chirurgie an einer Klinik in Boston. Als Wissenschaftsredakteur veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in "The New Yorker". Vor seiner medizinischen Ausbildung an der Harvard Medical School studierte der Sohn zweier Ärzte Phil
Leseprobe
Vor einigen Jahren, ich stand kurz vor Beendigung meines Medizinstudiums, hatte ich eine Patientin, an die ich mich noch heute lebhaft erinnere. Ich absolvierte einen Ausbildungsabschnitt in der Inneren Medizin, meinen letzten vor dem Examen. Der Stationsarzt hatte mir die Verantwortung für drei oder vier Patienten übertragen. Unter ihnen befand sich eine runzlige, über siebzigjährige Portugiesin, die eingeliefert worden war, weil - ich benutze hier den Fachbegriff - sie sich nicht gut fühlte. Ihr Körper schmerzte. Sie war ständig müde. Sie hatte Husten. Aber kein Fieber. Puls und Blutdruck waren normal. Einige Laboruntersuchungen ergaben, dass die Anzahl der weißen Blutkörperchen zu hoch war. Eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs wies auf eine mögliche Lungenentzündung hin - das konnte zutreffen oder auch nicht. Also hatte ihr Internist sie ins Krankenhaus überwiesen, wo sie nun in meine Obhut gelangt war. Ich entnahm Sputum und Blutkulturen und verordnete ihr auf Anweisung des Internisten ein Antibiotikum gegen die potentielle Lungenentzündung. Während der folgenden Tage sah ich zweimal täglich nach ihr. Ich prüfte ihre wichtigsten Körperfunktionen, hörte die Lunge ab, verglich die Laborwerte. Ihr Zustand war all die Tage mehr oder weniger unverändert. Sie hatte Husten. Sie hatte kein Fieber. Sie fühlte sich einfach nicht gut. Wir würden ihr Antibiotika verabreichen und abwarten, dachte ich. Sie würde gesund werden. Dann klagte sie an einem Morgen bei der Sieben-Uhr-Visite über Schlaflosigkeit und Schweißausbrüche in der Nacht. Wir verglichen die Vitalfunktionen. Sie hatte noch immer kein Fieber. Ihr Blutdruck war normal. Der Puls war vielleicht ein klein bisschen schneller geworden. Aber das war alles. Beobachten Sie die Frau gut, trug mir der Stationsarzt auf. Natürlich, antwortete ich, auch wenn nichts von dem, was wir gesehen hatten, merklich anders war als am Morgen zuvor. Ich nahm mir stillschweigend vor, gegen Mittag, um die Essenszeit, wieder nach ihr zu sehen. Der Stationsarzt selbst hingegen erkundigte sich an diesem Vormittag zweimal nach ihrem Befinden. Und genau an diese kleine Mühe denke ich seither oft. Es war eine unbedeutende Sache, ein winziger Akt der Gewissenhaftigkeit. Er hatte irgendetwas an ihr bemerkt, was ihn beunruhigte. Und er hatte während der Morgenvisiten auch mich taxiert. Was er sah, war ein Student im vierten Ausbildungsjahr, mit einer Assistenzarztstelle in der Allgemeinchirurgie in Aussicht, im letzten Ausbildungsabschnitt. Vertraute er mir? Nein, das tat er nicht. Also sah er selbst nach ihr. Das war wiederum keine Angelegenheit, die man in wenigen Sekunden erledigt hätte. Die Patientin lag im 14. Stock des Krankenhauses. Der Raum für unsere Morgenbesprechung, die Cafeteria und alle anderen Räume, in denen wir an diesem Tag zu tun hatten, lagen in den beiden untersten Etagen. Die Aufzüge waren für ihre Langsamkeit berüchtigt. Der Stationsarzt sollte eine der Besprechungen leiten. Er hätte abwarten können, bis eine Schwester ihn informiert, dass ein Problem aufgetreten sei, wie es die meisten anderen Ärzte gemacht hätten. Er hätte einen Arzt im praktischen Jahr beauftragen können, nach der Patientin zu sehen. Aber das tat er nicht. Er ging selbst nach oben. Bei der ersten Konsultation stellte er fest, dass sie 38,9 Fieber hatte und dass die Sauerstoffmenge, die sie über eine Nasenbrille erhielt, erhöht werden musste. Bei der zweiten war ihr Blutdruck gefallen und die Schwestern hatten ihr nun zur Sauerstoffversorgung eine Gesichtsmaske angelegt. Er ließ sie auf die Intensivstation verlegen. Bis ich irgendeine Ahnung davon hatte, was überhaupt vor sich ging, behandelte er sie bereits - mit neuen Antibiotika, Infusionen, Medikamenten zur Stabilisierung ihres Blutdrucks. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und die resistente, heftig verlaufende Pneumonie hätte einen septischen Schock ausgelöst. Weil er regelmäßig nach ihr gesehen hatte, überlebte sie. Und sie erholte sich hervorragend. Sie muss
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