Beschreibung
Lehr- und Wanderjahre eines chinesischen Abenteurers
Der alte chinesische Bauer mit dem schönen Namen Fugui - das bedeutet ''der Glückliche und Edle'' - blickt zurück auf sein bewegtes Leben: Geboren als Sohn eines Gutsbesitzers verspielt er Hof und Äcker, wird zum Tagelöhner und muss schließlich in den Kampf gegen die Rote Armee ziehen, deren Kriegsgefangener er wird. Wieder in Freiheit hält das Glück nicht lange an: Er verliert all seinen Besitz und seine Familie. Doch Fugui ist ein Überlebender, ein Kämpfer, der gelernt hat, die wenigen Momente des Glücks zu schätzen.
Leseprobe
Als ich noch zehn Jahre jünger war, hatte ich einen richtigen Faulenzerjob: Ich sollte übers Land fahren und bäuerliche Volksdichtung sammeln. Wie ein umherflatternder Sperling führte ich den ganzen von Grillengezirp und Sonnenlicht erfüllten Sommer lang ein lustiges Vagabundenleben zwischen Bauernhütten und Äckern. Ich mochte den bitteren Geschmack des Tees, den die Bauern tranken, und es machte mir gar nichts aus, mir aus dem Teekübel, der unter einem Baum am Feldrain stand, den braunverfärbten Becher und danach auch noch meine eigene Wasserflasche zu füllen. Dann wechselte ich vielleicht ein paar belanglose Worte mit den Männern auf dem Feld und ging, begleitet vom verstohlenen Kichern der Mädchen, meines Weges, ohne mich noch einmal umzudrehen. Mit einem alten Mann, der ein Melonenfeld bewachte, verplauderte ich einmal einen ganzen Nachmittag. Nie zuvor hatte ich so viele Melonen auf einmal gegessen, und als ich aufstand und mich verabschiedete, merkte ich plötzlich, daß mir das Gehen schwerfiel, als wäre ich eine schwangere Frau. Ein andermal saß ich mit einer Bäuerin, die meine Großmutter hätte sein können, auf der Schwelle ihres Hauses und ließ mir von ihr, die unentwegt weiter ihren Strohschuh flocht, ein Lied über die sich von Monat zu Monat wandelnden Gefühle einer Schwangeren vorsingen. Am schönsten fand ich es immer, wenn ich gegen Abend irgendwo ankam, mich dann vor die Hütte setzte, den Bauern zuschaute, wie sie das Wasser, das sie aus dem Brunnen gezogen hatten, auf die Erde spritzten, um den Staub zu binden, während die Strahlen der Abendsonne die Baumwipfel vergoldeten und ich mir mit dem wie selbstverständlich gereichten Fächer Kühlung zuwedelte, das wie pures Salz schmeckende eingelegte Gemüse kostete, ein paar junge Mädchen beobachtete und mich mit den Männern unterhielt. Auf dem Kopf trug ich einen breitkrempigen Strohhut, die Füße steckten in Pantoffeln, und ein am Gürtel befestigtes Handtuch klatschte mir wie ein Schwanz gegen das Hinterteil. Den ganzen Tag trottete ich, mit weit aufgerissenem Mund gähnend, ohne Hast die schmalen Pfade zwischen den Feldern entlang, wobei ich mit meinen schlappenden Pantoffeln den Staub aufwirbelte, als wären sie die Räder eines vorüberrollenden Wagens. So viele Orte besuchte ich, daß ich manchmal nicht mehr sagen konnte, ob ich schon einmal dort gewesen war oder nicht. Es kam oft vor, daß ich bei der Ankunft in einem Dorf die Kinder rufen hörte: "Der Gähner ist wieder da!" Dann wußten die Leute, der Mann, der pikante Geschichten erzählen und traurige Lieder singen kann, war wiedergekommen. In Wirklichkeit hatte ich natürlich alle diese pikanten Geschichten und all diese traurigen Lieder erst von ihnen gelernt. Ich wußte, wofür sie sich am meisten interessierten, und eben dafür interessierte auch ich mich. Einmal stieß ich auf einen alten Mann, der mit blutender Nase und einem blauen Auge am Feldrain hockte und so kummervoll schluchzte, daß es ihn richtig schüttelte. Als er mich kommen sah, blickte er auf und plärrte noch lauter als zuvor. Ich fragte, wer ihn so zugerichtet habe. Dreckbatzen von seinen Hosenbeinen klaubend, erzählte er mir zornbebend, sein eigener Sohn habe sich an ihm vergriffen. Ich fragte weiter, warum er ihn denn verprügelt habe. Da fing er an, ausweichend herumzustottern, so daß ich gleich wußte, er hatte bestimmt mit seiner Schwiegertochter angebändelt. Ein andermal war ich nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs. Plötzlich erblickte ich im Licht meiner Taschenlampe an einem Teich zwei unbekleidete Körper, die aufeinander lagen. Als ich sie anleuchtete, blieben sie absolut bewegungslos, nur eine Hand kratzte fast unmerklich einen Oberschenkel. Schnell knipste ich die Lampe aus und machte, daß ich weiterkam. Eines mittags, es war während der Hauptsaison im Feldbau, trat ich auf der Suche nach einem Schluck Wasser durch das weit geöffnete Tor eines Hauses, wo sich mir ein Mann in kurzen Hosen mit allen Zeichen der Erregung in den Weg stellte. Leseprobe
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