Beschreibung
"Fesselnd und beunruhigend." Booklist "Fesselnde, mitunter auch schockierende Geschichten aus dem Alltag einer Profilerin. Ein ungewöhnliches Buch, das einen lange nicht mehr loslässt!" Library Journal "Die spektakulärsten Fälle versammelt dieses Buch, das sich nicht nur an grausigen Tatdetails entlanghangelt, sondern zudem dichte Psychogramme entwirft." Die Welt
Autorenportrait
Dr. Helen Morrison ist forensische Psychiaterin mit einem Examen in Rechtsmedizin. Sie hat zahlreiche Fachpublikationen veröffentlicht und sich durch ihre langjährige Forschungsarbeit und internationale Vortragstätigkeit den Ruf einer anerkannten Koryphäe
Leseprobe
Downtown Chicago. Die Sommernacht ist erfüllt vom verwehten Duft der Rosen und des frisch gemähten Rasens. Meine Kinder sind schon im Bett: Der Jüngere schläft fest mit Träumen von Zauberei und Harry Potter, der Ältere liegt in jenem tiefen Schlummer, der sich nach drei Eishockeyspielen einstellt. Auf der anderen Straßenseite geht händchenhaltend ein Pärchen vorüber, und als sie den Blicken entschwinden, hallt ihr Gelächter auf der Straße wider. Meine Nachbarn steigen gerade vor dem Haus aus ihrem Auto, und ich winke ihnen zu. Beide sind fein angezogen: Sie haben gerade ihren Hochzeitstag gefeiert, und als sie ins Haus gehen, winken sie zurück. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen und das ganze Viertel in tiefes Schweigen versunken ist, denke ich über mein eigenes Leben nach, darüber, dass meine Kinder und Nachbarn nur eine ganz grobe Vorstellung davon haben, was ich beruflich tue. Unsere Bekannten wissen, dass ich Psychiaterin bin und mich mit besonders schwierigen Fällen beschäftige - mehr nicht, und das ist vielleicht ganz gut so. Meine beiden Söhne haben - noch - keine Ahnung, warum ich manchmal wochenlang wegfahre. Was ich tue, ist so weit weg von diesem florierenden, freundlichen Wohnviertel - von der Zufriedenheit, die wir beim Pflanzen junger Eichen mit dem Nachbarschaftsverein empfinden, von der Eleganz der Wohltätigkeitsveranstaltungen und Opernaufführungen -, dass die meisten wohl entsetzt wären, wenn sie es erführen. Nach ein paar Minuten gehe ich in unser vierstöckiges Backsteinhaus. Es ist ein nahezu vollkommenes Heim: Der Großvater meines Mannes, der jahrzehntelang als Arzt tätig war, hatte hier Praxis und Wohnung. Im hinteren Teil des Erdgeschosses befindet sich ein ehemaliges Untersuchungszimmer, das mir heute als Arbeitszimmer dient, wenn ich zu Hause bin. Die Wände sind noch heute mit Blech verkleidet - ein Überbleibsel längst vergangener Zeiten. Die Vergangenheit, die freundliche medizinische Betreuung, die unserem Stadtviertel achtzig Jahre lang durch gute Ärzte zuteil wurde, inspiriert mich. Aus einem beigefarbenen Ordner hole ich ein paar Bilder von einem Kind - ein Mädchen, das nicht nur brutal ermordet, sondern auch durch Schläge fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Manchmal kommt es mir vor, als könnte ich kein einziges solches Foto mehr ertragen, nicht noch ein Bild eines unschuldigen, sinnlos ausgelöschten Lebens. Zur Vorbereitung auf eine Rede vor einer Gruppe von Leichenbeschauern kritzele ich ein paar Notizen über Anzahl und Position der Wunden an ihrem leblosen Körper auf meinen Block. Nicht weit vor mir stehen Drahtkörbe mit Papierstapeln: Notizen und unzählige weitere Bilder von anderen Mädchen und Jungen, alle ermordet. Es ist für mich keine ungewohnte Arbeit. Es ist das, was ich immer tue, und ich glaube, es ist genau die richtige Arbeit für mich. Zugegeben: Eine solche Tätigkeit würde sich kaum einer aussuchen. Ich bin das, was man heute als Profiler bezeichnet - drei kurze Silben, mit denen sich mein Berufsleben zusammenfassen lässt. Seit dreißig Jahren, länger als ich zurückdenken kann, beschäftige ich mich mit den abwegigsten inneren Vorgängen von Serienmördern, damit, wer sie sind, wo sie sich verstecken und warum sie morden. Manchmal kommt es mir vor, als wüsste ich schon zu viel über sie, und sicher weiß ich mehr als praktisch jeder andere auf der Welt. Aber obwohl mein Wissen über Mehrfachmörder jeden Tag wächst, besteht meine größte Angst darin, dass ich nie genug wissen werde. Ich bin nicht der Typ Profiler, den man ab und zu im Fernsehen sieht. Vor ein paar Jahren verkörperte Ally Walker in der Fernsehserie Profiler die schick gekleidete Samantha Waters. Sie erklärte, ihre Arbeit bestehe darin, 'in Bildern zu denken', sich Mörder in farbigen Konstruktionen vor ihrem geistigen Auge auszumalen und so mit fast außersinnlicher Wahrnehmung den Serienmördern auf die Spur zu kommen. Sie konnte zwar ihre Visionen nie genau kontrollieren, aber offensichtlich kamen Leseprobe