Hitlers Freunde in England

Lord Londonderry und der Weg in den Krieg - Eine Studie des herausragenden englischen Historikers über die Verstrickungen des englischen Hochadels in den Nationalsozialismus

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783421058058
Sprache: Deutsch
Umfang: 544 S., 17 s/w Illustr., 33 Fotos
Format (T/L/B): 3.6 x 22 x 15.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein genauer Blick auf die Ursachen und die Befürworter der englischen Appeasement-Politik gegenüber Nazideutschland 'Sie und Deutschland erinnern mich an die Schöpfungsgeschichte in der Bibel. Nichts sonst beschreibt den Eindruck richtig', schreibt Lady Londonderry an Adolf Hitler. Wie war es möglich, dass Angehörige der Spitzen der englischen Gesellschaft so für Hitler schwärmten? Und woraus speiste sich die krasse Fehleinschätzung der wahren Ziele Hitlers? Ian Kershaws neues Buch ist eine exzellente Darstellung Englands ambivalenter Beziehungen zu Deutschland in den Dreißigern und der fatalen Versuche einiger seiner hochrangigsten Vertreter, Freundschaft mit Hitler und seinem Regime schließen zu wollen. In Lord Londonderry, Cousin Churchills und zeitweise Mitglied des englischen Kabinetts, finden sich wie in einem Brennglas Motive und Hintergründe für die britische Appeasementpolitik versammelt. Ein differenziertes und gleichzeitig beklemmendes Porträt von Hitlers Freunden in England und ihrem Verkennen der nahenden Katastrophe.

Autorenportrait

Ian Kershaw, geboren 1943, zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Modern History an der University of Sheffield, seine große zweibändige Biographie Adolf Hitlers gilt als Meisterwerk der modernen Geschichtsschreibung. Für seine Verdienste um die historische Forschung wurde Ian Kershaw mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und der Karlsmedaille. 1994 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 2002 wurde er zum Ritter geschlagen. Bei DVA sind außerdem von ihm erschienen 'Hitlers Freunde in England' (2005), 'Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg' (2010) und 'Das Ende' (2013). Die beiden Bände seiner großen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, 'Höllensturz' (2016) und 'Achterbahn' (2019), sind hochgelobte Bestseller.

Leseprobe

Auf Lord Londonderry aufmerksam wurde ich 1991. Während eines Aufenthalts in Belfast, wo ich mehrere Vorträge hielt, nahm ich an einer privaten Führung durch Mount Stewart, den Sitz der Familie Londonderry in Nordirland, teil und war erstaunt, als ich auf dem Kaminsims in Londonderrys Arbeitszimmer eine etwa fünfundvierzig Zentimeter hohe Statuette der Porzellan-Manufaktur Allach entdeckte: die wundervoll geformte Figur eines behelmten SS-Mannes, der eine NS-Fahne trägt. Meine Fantasie war sofort gefangen. Wie kam die Statuette dorthin? Sie passte so gar nicht zum eleganten Mobiliar der damaligen Zeit. Das vornehme Herrenhaus am stillen Ufer des Strangford Lough mit Blick auf die Mourne Mountains und umgeben von einer prächtigen Gartenanlage (einem Werk von Lady Londonderry) - ein überwiegend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteter neoklassizistischer Bau (dessen Ursprünge bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückreichen) - schien Millionen Meilen von Brutalität, Repression, Krieg und Völkermord, die man mit NS-Deutschland assoziiert, entfernt zu sein. Doch der Schlossführer erzählte uns, dass Joachim von Ribbentrop, einer der wichtigsten Gefolgsleute Hitlers, Lord Londonderry die Figur 1936 während eines Wochenendbesuchs in Mount Stewart geschenkt habe. Zehn Jahre nach diesem Ereignis wurde Ribbentrop vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen und gehängt. Warum hatte Lord Londonderry, ein bekannter britischer Aristokrat, einen führenden Nationalsozialisten als Gast bei sich empfangen? Als ich zwei Jahre später wieder in Belfast war, ging ich auf die Suche nach Antworten, indem ich mich in die Briefe vertiefte, die Lord Londonderry und seine Frau an Ribbentrop, Göring und andere prominente Vertreter des NS-Regimes geschrieben hatten. In dem Gedanken, vielleicht einmal einen kurzen Aufsatz über den Hintergrund dieser Korrespondenz zu verfassen, trug ich einiges Material zusammen. Vorläufig war ich jedoch vollauf von meiner Hitlerbiografie in Anspruch genommen. Die Jahre vergingen, und die Akte setzte Staub an. Als ich sie wieder hervorholte, um mich in einer Art geistiger Konvaleszenz nach dem Abschluss des Werks über Hitler mit ihr zu beschäftigen, war das neue Jahrtausend angebrochen. Je weiter ich in den Stoff eindrang, desto komplizierter wurde die Geschichte. Außerdem schien sie, zumindest in meinen Augen, der häufig etwas trockenen Beschwichtigungspolitik, dem Versuch, eine Verständigung mit Hitler zu erreichen, etwas mehr Farbe zu geben. Das heißt, während der genaueren Erforschung von Londonderrys persönlichem Verhältnis zu NS-Deutschland glaubte ich, klarer als bisher zu erkennen, wieso die britische Politik in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts einen derart steinigen Weg eingeschlagen hatte. Mehr noch, ich gewann den Eindruck, dass den führenden Mitgliedern der britischen Regierung für ihre Reaktion auf die von Hitler ausgehende Bedrohung weit weniger Optionen offen standen, als ich gedacht hatte - und das lange vor Neville Chamberlains berüchtigtem Versuch von 1938, durch die Beschwichtigung des deutschen Diktators Frieden zu erkaufen. So nahm der geplante kurze Text über Londonderry immer mehr an Umfang zu. Das Ergebnis ist das vorliegende Buch. Die Vergangenheit, heißt es, sei ein fremdes Land. Aber ein fremdes Land kann man besuchen. Vorausgesetzt, man nimmt sich die Zeit dafür, kann man seine Kultur in sich aufnehmen und verstehen lernen. Bei der Vergangenheit verhält es sich anders. Sie findet man allenfalls in Überresten wieder. Die Einstellungen vergangener Zeitalter lernt man nur durch ihre Hinterlassenschaft kennen. Aber eine verloren gegangene Geisteshaltung nachzuvollziehen ist nicht leicht. Und noch lebendige Erinnerungen an die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dennoch scheint dieses Jahrzehnt, trotz aller mündlichen Aussagen, trotz Zeitungen, Bergen von Dokumenten und plastischen Filmbildern, weit zurückzuliegen. Man nimm

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