Beschreibung
Aulikki ist siebzehn. Sie hat die Schule abgebrochen. Und mit ihren Eltern versteht sie sich nicht mehr. Als ihr Sommerjob im Eiskiosk zu Ende geht, beschließt sie, nach Helsinki zu ziehen und ihr Abitur nachzuholen. In der große Stadt macht sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe, aber verliebt ist sie nicht. Eher erstaunt. Vor allem darüber, dass die Menschen, denen sie begegnet, sich ihrer Gefühle und Gedanken so sicher scheinen. Schließlich verliebt Aulikki sich doch, in den Fotografen und Jazzfan Sauli. Und sie entdeckt, dass die Liebe viele Seiten hat. Nur keine einfache.
Autorenportrait
Marjaleena Lembcke, 1945 in Kokkola/Finnland geboren, studierte Theaterwissenschaften und Bildhauerei und lebt in Münster/Westfalen. Für ihre Kinderbücher erhielt sie zahlreiche Preise; zuletzt erschienen bei Nagel & Kimche die Jugendromane In Afrika war er nie (2003) und Die Fremde im Garten (2005).
Leseprobe
In der Abendschule lasen die Mädchen Summerhill von A. S. Neill und diskutierten die antiautoritäre Erziehung. Sie hatten Hair gesehen und sangen Aquarius und nähten sich weite lange Röcke und trugen Blusen mit Blumenmuster. Alle redeten bewundernd von den Studentenunruhen und Demonstrationen in Deutschland und Frankreich, und es klang, als sei das Recht, zu demonstrieren, ein Privileg, das man erst mit dem Abitur erwarb. In New York gab es Polizeieinsätze gegen die Homosexuellen. Und in Helsinki wurde die Temppeliaukio-Kirche eingeweiht, eine in den Felsen gebaute Kirche. Aulikki besuchte sie oft. Sie war wie eine Höhle mit einer runden Öffnung zum Himmel. Die Kuppel über der Felsenkirche hatte hundertachtzig schmale Fenster, die für Aulikki wie Sonnenstrahlen aussahen. Wenn sie auf einem der violetten Stühle saß, versuchte sie die Fenster zu zählen. Spielte jemand Orgel, blieb sie länger dort, hörte zu und schaute auf die Steinwände, an denen das Felswasser herunterlief. Das Plätschern der Rinnsale wuchs mit der Musik zum Rauschen und Tosen eines Wasserfalls. Sie dachte, in den Kirchen sollte den ganzen Tag Musik erklingen, damit die Menschen sich einen Augenblick von den Worten, von den Wünschen, Träumen und Ängsten, die in den Worten steckten, befreien können. Sie stellte sich die Menschen vor, die früher in Höhlen wohnten, in ihnen Schutz vor den Raubtieren und dem Unwetter suchten. Während sie in der Dunkelheit ausharrten, nahm einer von ihnen einen spitzen Stein und zeichnete die Sonne an die Wand. Er zeichnete einen Elch oder ein Rentier. Vielleicht summte der Zeichner leise vor sich hin. Aulikki überlegte, wie lange es gedauert haben mochte, bis die Menschen die Kraft der Töne und Klänge entdeckten, wann die Worte, um einander Wichtiges mitzuteilen. Und wodurch sie lernten, das auszusprechen, was sie nicht dachten, das zu behaupten, was nicht wahr ist, und zu verschweigen, was sie fühlten. Und sie dachte an die vielen Sprachen, die es auf der Welt gibt, und an die Menschen, die trotzdem nie die richtigen Worte finden. Leseprobe
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