Im Atlas

Roman

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783990650677
Sprache: Deutsch
Umfang: 296 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 21.3 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Diesen Urlaub haben David und Stefan dringend nötig. Acht Tage Marokko, von Marrakesch in die Wüste - um dort den einzigartigen Nachthimmel zu sehen. Doch die Reise steht schon vor Beginn unter keinem guten Stern. Einen Tag vor dem Abflug geht ein Video von der Ermordung zweier Däninnen im Touristenort Imhil viral. Stefan will den Flug stornieren. Aber David, der sich von den Bildern auf seltsame Weise angezogen fühlt, überredet ihn, die Reise anzutreten. In Marokko bleibt die Stimmung angespannt. Sie sind sich uneinig, ob sie ihre Beziehung hier offen zeigen sollen, und ihr Fahrer Kalifa erscheint ihnen von Tag zu Tag rätselhafter. Als er David und Stefan im Hohen Atlas auf der Straße sitzen lässt, wandern sie wohl oder übel zum nächstgelegenen Ort: ausgerechnet nach Imhil. Andreas Jungwirth führt uns in seinem Reiseroman versiert und zielsicher auf die abseitigen, unbetretenen Pfade - zu einer Beziehung, zur Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und schließlich über die Grenzen des Erwartbaren.

Autorenportrait

Andreas Jungwirth, 1967 in Linz geboren, lebt nach langer Zeit in Berlin wieder in Wien. Studierte in Wien Germanistik und Theaterwissenschaft sowie am Konservatorium Schauspiel. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit (Theater, Hörspiel) arbeitet er als Hörspielregisseur und moderiert Publikumsveranstaltungen für Ö1 (»Hörspielgala«, »radiophone Werkstatt«). Zuletzt erschienen die Jugendromane »Kein einziges Wort« (2014, Ravensburger Buchverlag) und »Schwebezustand« (2017, CBT) sowie in der Edition Atelier seine Erzählung »Wir haben keinen Kontakt mehr« (2019).

Leseprobe

'David öffnete als Erster die Tür, Wind blies ihm durch die Haare, strich kühl über seine Haut. Sie waren hier hoch oben, auf zweitausend Metern Höhe. Er sah sich um. Die Fahrer standen bei den Autos im Schatten des Felsen beisammen, die Touristen hatten die Straße überquert und sich in der prallen Sonne entlang eines windschiefen und verrosteten Geländers aufgereiht. Vor ihnen ein steiler Abhang, in geschätzten zweihundert Metern Tiefe schlängelte sich ein Rinnsal, von hier oben funkelte es wie eine Silberader. Aber nicht die Schlucht war es, warum die Leute hier standen, es waren die Häuser, die wie Schwalbennester an der gegenüberliegenden Felswand klebten. David erinnerte sich an die Bilder von dem senkrechten Dorf im Reiseführer. Er hatte den Text zu den Fotos nicht gelesen, war aber selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie die Häuser besuchen konnten. Vor Ort wusste er nun nicht, wie sie dort hinüberkommen sollten. Siehst du den Pfad? Nein. Kalifa stand zwischen David und Stefan, hatte sich eine Zigarette angezündet, rauchte genüsslicher als sonst, lange Züge in größeren Abständen, und glotzte, als wäre auch er ein Tourist. Plötzlich zeigte er mit der Zigarette zwischen den Fingern auf das gegenüberliegende Gelände. Wo? Der helle graue Streifen? Hm. Nach einer Weile glaubte David tatsächlich einen in den Felsen geschlagenen Weg zu erkennen. Und da kommt man -? Nicht ihr, unterbrach Kalifa, aber es leben immer noch Menschen dort, Idioten. Kalifa schnipste den Zigarettenstummel den Abhang hinunter. Keine Einheimischen, mutmaßte David. Richtig. Kalifa lachte. Amerikaner, Europäer. Schaut! Lasst euch Zeit! Damit ging er jetzt doch zu den anderen Fahrern hinüber. Die hießen ihn willkommen, Handschläge, eine Umarmung, sie vergrößerten den Kreis, nahmen ihn bei sich auf. Stefan war mit seiner Kamera beschäftigt, fokussierte, suchte den richtigen Ausschnitt, nahm die Kamera herunter. Weiter rechts, forderte er David auf, du sollst weiter nach rechts gehen, ein, zwei Schritte, was stellst du dich denn so an? David war nicht klar gewesen, dass er auf dem Bild mit drauf sein sollte. Aber gut! Stefans Ungeduld: Kannst du dich bitte mal da hinstellen! Da hin! Stefan zeigte zweimal auf die Stelle, die er meinte, aber jedes Mal war es eine andere. Wohin denn nun? Da. David machte einen kleinen Schritt zur Seite und einen rückwärts. Er wusste den Abgrund hinter sich. Wenn ich noch weiter nach rechts gehe, stürze ich ab. Mach schnell! Stefan blickte wieder durch den Sucher. Mach, bat David, als nichts geschah. Das ist eine Digitalkamera, es ist egal. Er schielte nach rechts und links. Da wurde geknipst und fertig. Es ist nicht wie in unserer Kindheit, als man exakt sechsunddreißig Bilder auf einer Filmrolle hatte. Und manchmal ist sich auch noch ein siebenunddreißigstes Bild ausgegangen, sagte Stefan wie nebenbei, nahm dann aber die Kamera vom Gesicht. Fertig?, fragte David, obwohl er wusste, dass es nicht so war. Stefan schaute ihn an, David wusste nicht, wie er ihn ansah, was sein Blick bedeutete, nur dass es nichts mit dem Foto zu tun hatte, das Stefan machen wollte. Was? Auch mit dir habe ich nicht mehr gerechnet, sagte Stefan langsam, wählte jedes Wort mit Bedacht. Du bist das siebenunddreißigste Bild, mit dem man nicht mehr rechnet.'