Das verqueere Begehren

Sind zwei Geschlechter genug?

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783980567756
Sprache: Deutsch
Umfang: 144 S.
Format (T/L/B): 0.9 x 19 x 13.6 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Die neue Geschlechterforschung stellt alles in Frage was wir bisher über Männer und Frauen zu wissen glaubten. Nicht der Unterschied der Geschlechter, sondern vielmehr wie dieser erzeugt wird, steht im Mittelpunkt. Erstaunliche Erkenntnisse über die Vielfalt der Geschlechter und wie sie gemacht werden, liefern die ethnologischen und historischen Studien. Kritische Männerforschung untersucht die Mechanismen und Strategien, deren sich Männer zur Sicherung der Macht bedienen und zeigt auf, welche massiven Ängste der männerdominierten Kultur zugrundeliegen. Mit der Auflösung der Geschlechter durch andere Lebensentwürfe und -formen erschüttert die Queer-Theory als eine der innovativsten und gesellschaftskritischsten Denkströmungen der Gegenwart unser kulturelles Selbstverständnis. Christa Spannbauer studierte Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt in Geschlechterforschung und feministischer Theorie. In ihren Arbeiten setzt sie sich insbesondere mit der Konstruktion von Männlichkeit und der aktuellen kritischen Männerforschung auseinander.

Leseprobe

AUS EINS MACH' ZWEI: DIE ENTSTEHUNG DES ZWEI-GESCHLECHTER-MODELLS Der Geschlechtsunterschied macht da, wo er mit größter Bestimmtheit und Klarheit hervortritt, die Getrennten durchaus und in jeder Beziehung entgegengesetzt. Es ist nicht bloß eine Differenz der Geschlechtsteile; sondern das Weibliche ist das in jeder Beziehung umgekehrte Männliche. Ph. Fr. Walter Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wird eine folgenreiche und tiefgreifende Neubestimmung der Geschlechter vorgenommen: an die Stelle des Ein-Geschlechter-Modells tritt nun das Zwei-Geschlechter- Modell, das unsere moderne Geschlechterordnung begründet16. Galten Frauen und Männer bis dahin als einander ähnliche und nicht deutlich voneinander abgrenzbare Variationen des einen Geschlechts, werden sie nun als zwei grundsätzlich verschiedene Wesen kontrastiv einander gegenübergestellt. Es setzt der wissenschaftliche Diskurs von der Differenz zweier Geschlechter ein, die in den anatomischen Körpern verortet und als Abbild der natürlichen Ordnung der Dinge ideologisiert wird. In der Folge wird das Verhältnis zwischen den Geschlechtern durch eine radikale Polarisierung und einen scharfen Dualismus bestimmt werden. Frauen, so lautet die neue Botschaft, seien ganz und gar andere Menschen als Männer; nicht nur ihre Geschlechtsorgane seien von denen des Mannes verschieden, sondern überhaupt alle Teile des weiblichen Körpers. In ihrer historischen Untersuchung zeichnete die Soziologin Claudia Honegger den maßgeblichen Einfluss der neuen Wissenschaften an dieser entscheidenden Umbruchphase im westlichen Geschlechterdiskurs nach. Mit dem Aufstieg der Anthropologie als der neuen Universalwissenschaft des 18. Jahrhunderts wurde eine folgenschwere Verschränkung von Anatomie und Philosophie vorgenommen, derzufolge der Geist als vom Körper beeinflusst gilt. Die Anthropologie förderte einen explizit weiblichen und männlichen Körper zutage, die sich fortan nicht nur hinsichtlich der Genitalien, sondern in ihrer gesamten Körperstruktur bis hinein in die kleinsten Partikel und Nervenfasern voneinander unterscheiden sollten. Diese zwei verschiedenen Körper bedingten aufgrund ihrer wechselseitigen Beeinflussung von Leib und Geist fortan die intellektuelle und psychische Verschiedenheit von Mann und Frau. Der Mann zeichnete sich demzufolge nicht nur durch die stärkeren Muskeln, die strafferen Nerven, die unbiegsameren Fasern, den gröberen Knochenbau, sondern zugleich auch durch den größeren Mut, den kühneren Unternehmungsgeist, die größere Festigkeit und den umfassenderen Verstand aus. In der Stärke des männlichen Körpers wurde nun dessen Vernunft begründet, in der (angeblichen) Schwäche des weiblichen Leibes die Sensibilität der Frau verortet. Das besondere Interesse der männlichen Wissenschaft richtete sich in der Folgezeit auf die Reproduktionsorgane der Frau, die zur Quintessenz der weiblichen Identität deklariert wurden. Hatten die Genitalien bei Mann und Frau bis dahin noch als ähnlich gegolten, nur einmal nach innen und einmal nach außen gekehrt, wurden diese nun zu den zentralen Kennzeichen einer elementaren Differenz zwischen den Geschlechtern erklärt. Frauen verdanken ihre Seinsweise ihren Fortpflanzungsorganen und besonders dem Uterus, so der Arzt Gardien, und der berühmte deutsche Arzt Rudolf Virchow verstand es so charmant wie kein anderer zu formulieren: Die Frau ist ein Paar von Eierstöcken, an denen ein Mensch dranhängt, während der Mann ein Mensch ist, der über ein Paar Hoden verfügt. Während die Frau immer enger mit ihrem geschlechtlichen Körper verwoben wurde, gelang es dem Mann im gleichen Prozess, seine Geschlechtlichkeit zu leugnen und auf die Gleichsetzung von Mann mit Mensch-Sein hinzuwirken. Erfolgreich wurde die Natur als Begründung für die 'natürliche' Unterordnung der Frau und die Überlegenheit des Mannes herangezogen. Man erfand zwei biologische Geschlechter, um den sozialen Geschlechtern eine neue und vor allem stabilere Grundlage zu geben. Die Wi