Beschreibung
Man konnte sie Freunde nennen: Als sie zusammen zu malen begannen, damals in Kaiser Richards Garten, gleich nach dem Krieg. Als sie über die Dörfer zogen, um dasselbe Mädchen warben. Ladenbach und Hollweg, so unterschiedlich im Charakter, so gleich aber in ihrem Streben nach Wahrheit in der Malerei. Der eine findet seinen Weg nach mühevollem Experimentieren, in quälender Kleinarbeit, in ständigem Sich-in-Frage-Stellen: spät erst kommt der Erfolg. Der andere, der schon einmal Sieger war, schafft auch den Sprung zur künstlerischen Anerkennung schnell: es gefällt, was er malt. Er bekommt die Aufträge und die Preise, und er malt: gestaltet die Wandflächen in Kulturräumen und Empfangshallen, übernimmt, was sich ihm bietet, und er übernimmt sich. Er merkt nicht, dass die Freunde immer seltener kommen, die Wahrheiten, die er sagt, immer hohler klingen, seine Frau immer zurückhaltender wird. Doch als dann auch Susanne, die ihn bewundernde Faschingsprinzessin, ihn verlässt, beginnt er zu zweifeln, nachzudenken über seine Haltung zur Kunst und zu den Menschen, die ihn liebten und förderten. Und er erkennt: Die Ansprüche sind größer geworden.
Autorenportrait
Geboren 12. Dezember 1932. Abitur, Redaktionsvolontär, Studium (Germanistik),Reporter. Seit 1967 im Schriftstellerverband, freischaffend. Gestorben am 14. Juni 2016.Auszeichnungen:1971 Kunst- und Literaturpreis des Bezirkes Rostock1974 Orden"Banner der Arbeit"1976 Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold1977 Gryf Pomorski der VR Polen1978 Heinrich-Heine-Preis der DDR.
Leseprobe
Es war der Abend eines verkorksten Tages. Stundenlang hatte er am letzten Entwurf des Triptychons, dem mittleren Porträt der zentralen Dreiergruppe, gearbeitet. Behutsam hatte er Pinsel und Tupftuch über den steifen Karton geführt, der die ganze Atelierwand bis zur Dachhöhe ausfüllte. Er hatte genau darauf geachtet, dass nirgends ein Farbtupfer zu viel oder zu wenig aufgetragen wurde oder gar das mit tiefschwarzer Tusche exakt eingezeichnete Gitterwerk berührte, das die künftigen Fugen der vorgesehenen farbigen Emailleplatten markierte. Jedes Mosaikteil musste seinen einheitlichen Ton haben. Er würde wieder selbst in die Brennereien fahren, Lacke ausprobieren, Farbgebungen überwachen müssen. Aber nun fand er, als er zum letzten Mal über die Gesichtsfläche des Porträts strich, dass es gut sei.Er pfiff und sang, während er von der kurzen Trittleiter herunterstieg, Farbenplatte, Pinsel und Tupftücher ablegte, säuberte und in beklecksten Behältnissen verstaute. Es gefiel ihm. Er fühlte sich wohl. Er zog mit Schwung den dünnen weißen Leinenvorhang beiseite, der das Tageslicht milderte und wandte sich um. Der Riesenentwurf des Triptychons erstrahlte in heller Sonne.Hollweg sah genau hin.Ein leichter Unmut befiel ihn.Er tastete Linien und Tönungen ab, künftige Erhöhungen und Vertiefungen, die durch dünne Farbschatten markiert waren. Es war alles in Ordnung: kein Fehler im Schnitt, nirgends eine Schwäche in der Aufteilung. Die Farbkomposition war einwandfrei.Irgendetwas störte ihn.Er griff nach dem weißen Vorhang und deckte die Sonnenstrahlen halb ab. Ungeduldig wartete er darauf, dass sein Unmut verschwand. Aber ihm war, als stünde jemand hinter ihm und drückte seine Rippen zusammen. Ein seltsam dumpfer Schmerz.Langsam löste sich der Krampf. Er griff nach der zweiten Vorhanghälfte und zog auch sie zu. Er berührte den Vorhang so, wie man ein kostbares, altes Gewebe anfasst. Er zögerte einen Augenblick.Dann drehte er sich um und sah hin.Aus der Höhe des Ateliers sah ihn das Gesicht eines Mannes an, klar und starr, neben zwei anderen Gesichtern vor einem stilisierten Kran. Und einen Augenblick lang überfiel Hollweg die schreckliche Erkenntnis, dass sich dies Gesicht in keiner Weise abhob von den Gesichtern neben ihm, ja, dass es sogar zu all den anderen Gesichtern, die er in den vergangenen Jahren geschaffen hatte, kaum einen Unterschied aufwies. Dann versuchte er rasch, sich an den Mann zu erinnern, der Modell für diese Figur gestanden hatte, an die Männer daneben, an die Ausgangspunkte für die künftigen bunten Emaille-Antlitze; daran, ob die Männer gelächelt hatten, wie und worüber. Aber es fiel ihm nicht ein. Er dachte an die Begegnungen mit ihnen, kurze, spröde Begegnungen. Die Leute waren wenig zugänglich, sparsam mit Worten. Dann hatte Hollweg sie tagelang am Arbeitsplatz beobachtet, einfach so. Sie blieben ihm fremd. Dennoch, hatte Hollweg festgestellt, spielte das keine große Rolle. Die Konzeption des Bildes war mit Kohlmann abgesprochen, die ersten skizzenartigen Entwürfe mit Auftraggebern und Werkdirektoren, Sekretären und Vorsitzenden diskutiert, geändert, verbessert worden. Hollweg beherrschte sein Handwerk, er wusste, wie man so etwas machte. Jahrelange Tätigkeit in diesem Metier hatte ihn klug gemacht und seine konzeptionellen und kompositorischen Entscheidungen erleichtert.Nun stand er vor dem fertigen Produkt und sah, dass es gut war. Ja, es war gut, sagte er sich. Der Auftraggeber würde ihn loben, Kohlmann würde zufrieden sein. Hollweg spürte mit einem Mal, dass seine Handflächen feucht wurden, dass die Hitze die Arme hochkroch. Ein erledigter Auftrag. Statt Keramik diesmal kostbares Emaillemosaik, Gisbert Hollweg gestaltete in einem Triptychon für die spätere Kongresshalle auf dem Zentralen Bauplatz das Gesicht unserer Gemeinschaft ein neues Meisterwerk des Künstlers.Die Leute auf dem Blatt waren keine Menschen. Sie waren leblos und kühl. Sie waren Figuren in einem thematischen Ensemble, Funktionen in einer kompositorischen Gleichung. Sie hatten nichts Gemeinsames mit der Vera auf dem Holzstoß in Kaiser Richards Garten, mit dem Gesicht des Staudammfahrers Herbert Treskow, mit den Stahlschmelzern das Bild kannten selbst die Bauarbeiter , sie waren nichts als erstarrte Symbole.Hollweg wandte sich um. Er sah alles ganz klar: die Sonnenflecken auf dem Boden, den Litho-Stein in der Ecke, das graue Tuch über der kaum benutzten Grafikabzugspresse, die Farbdosen und Paletten, alles sah er so deutlich wie noch nie.Er drückte auf einen Knopf an der Giebelwand des Ateliers und ein Schutzrollo aus durchsichtiger dunkelblauer Folie rollte von der Decke her über den Entwurfskarton. Dann setzte er sich auf die Couch und brütete vor sich hin.Er sehnte sich nach einem Menschen. Ladenbach kam nicht infrage. Selbst an Treskow wagte er in dieser Stunde nicht zu denken. Vera war nicht zu Hause. Die Soellnhofer Villa war leer. Er war allein. Er holte sich Kognak und trank.Er erwog, jemanden anzurufen, aber ihm fiel niemand ein.Er lief durch das Atelier, ziellos wie so oft. Dann zog er sich den Mantel über und durchstreifte den Ort. Endlich besorgte er sich ein Taxi und wartete am Tor des Elektronikwerkes auf Susanne.Er lief ihr entgegen; eine wilde, begehrliche Sehnsucht trieb ihn vorwärts. Bei ihr war alles. Frische. Bewunderung, Erfüllung.Er zog sie an sich, mitten im Getriebe des Schichtschlusses. Es störte ihn nicht. Sie wurde rot. Die Leute lächelten sie an. Alles kam Hollweg freundlich vor er wollte an anderes nicht denken.Komm, sagte er und schob sie in das Taxi. Es war ein altes Taxi mit einer unmodernen Trennscheibe zwischen Volant und Fond. Zum Forst, sagte Hollweg rasch und schob die Scheibe zu.Gisbert, sagte das Mädchen, was ist denn?Ach Prinzessin, sagte er zwischen Küssen, mit denen er ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Schultern und Arme bedeckte, was soll schon sein, ich kann es nicht aushalten ohne dich, wir müssen uns öfter sehen, unbedingt Sie sagte erstaunt: Fehlt dir irgendetwas?Nein, sagte er, was sollte mir fehlen außer dir?Ach, sagte sie lächelnd und küsste ihn, aber es war eine leichte Besorgnis in diesem Lächeln. Sie hielt seine Finger fest, als sie die oberen Knöpfe ihrer Bluse öffnen wollten. In ihren Augen stand ein seltsames Staunen, das Hollweg beunruhigte. Er zog die Hände zurück und sagte hastig: Entschuldige, ich vergesse mich. Aber ich kann mich nicht beherrschen, wenn wir zusammen sind, verstehst du das? Sie lächelte nur.Liebst du mich?, sagte er. Sie nickte.Du sollst nicht nicken, sagte er drängend, du sollst es sagen.Ich liebe dich, sagte sie. Ihre Fingerspitzen lagen auf seiner Hand. Ich hab nicht viel Zeit, sagte sie, ich hab eine Versammlung heute Abend, wegen Minsk.Nein, sagte er heftig, heute Abend nicht. Heute Abend bleiben wir zusammen. Ich muss heute bei dir sein. Dieses blöde Minsk, lass doch den Unsinn Sie lächelte immer noch, als sie sagte: Gisbert, lass uns nicht streiten, bitte. Wo fahren wir denn hin?Hollweg empfand ein maßloses Verlangen. Er schob die Trennscheibe zurück und sagte: Halten Sie bitte.Susanne schwieg. Er spürte ihre Fragen, aber er sah sie nicht an. Er bezahlte den Fahrer reichlich und half dem Mädchen beim Aussteigen. Er ließ ihren Arm nicht mehr los und zog sie an sich. Sie gingen durch den Wald am Fluss. Schlängelpfade.Gisbert, sagte sie, und beängstigendes Erstaunen klang durch all ihre Freundlichkeit, was ist denn heute mit dir los?Ich will bei dir sein, sagte er hastig, während er sie zu sich auf den warmen Waldboden zog und ihre Kleider öffnete, ich will dich nicht verlieren, ich möchte, dass du immer für mich da bist, du sollst nicht nach Minsk fahren und überhaupt nicht irgendwohin, ich mag nicht ohne dich sein, du bist wie ein neues Leben Er sah wieder das Staunen in ihren Augen und küsste rasch ihre Fragen fort. Sie sollte nicht fragen, sie sollte da sein. Hollweg fühlte, wie sie ihn ausfüllte mit ihrer Anwesenheit, wie er keine Zeit fand und keine Lust hatte, anderes zu denken. Wo sie war, war keine Ablenkung erforderlich.
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